Gewinne sollen Japans Aktien treiben
Von Martin Fritz, Tokio
Auf den Kauflisten vieler Anleger steht Japan im neuen Jahr weit oben. Zu ihren Argumenten zählen der schnelle Anstieg der Firmengewinne, das starke Wirtschaftswachstum, der rekordhohe Nachtragshaushalt, die günstige Marktbewertung, die hohe Dividendenquote von über 2%, eine mögliche Rotation aus Tech-Werten in zyklische Werte infolge steigender US-Zinsen und die Neuorganisation der Börse in drei Segmente im April.
Zu den konkreten Kaufempfehlungen gehören bei UBS die Aktien von Materialspezialist Ibiden sowie Mitsubishi Chemical und Hitachi. Credit Suisse hält u.a. Toyota, Denso, Keyence, Sony Group, Yakult Honsha und Seven & I Holdings für kaufenswert. Als mögliche Risiken im Land selbst gelten eine Änderung der Geldpolitik, eine verschlechterte Beziehung zu China, Turbulenzen durch die Oberhauswahl im Juli, eine höhere Kapitalertragssteuer für Aktienanleger, ein zu starker Währungsverfall sowie eine verschärfte Regulierung von Aktienrückkäufen.
Nach einem Plus von 16% 2020 kletterte der Nikkei 225 im abgelaufenen Jahr um weitere 4,9% auf den höchsten Stand seit 32 Jahren. Der breit gefasste Topix mit rund 2200 Titeln konnte 2021 um 10,1% zulegen. Japanische Analysten sehen den Nikkei 225 im neuen Jahr zwischen 26000 und 34000. Das entspräche einem Plus von bis zu 18% gegenüber dem Jahresschluss. Goldman Sachs und Morgan Stanley sagen einen Topix-Stand von 2250 für Ende 2022 voraus. Daraus ergibt sich ein Zwölfmonatszugewinn von 13%. Dagegen begnügt sich UBS mit einem bescheideneren Kursziel von 2140 für das Jahresende, da das Kurs-Gewinn-Verhältnis des Topix über dem Zehn-Jahres-Schnitt liege.
Die optimistischen Ausblicke ergeben sich nur teilweise aus dem Aufholpotenzial, da japanische Titel im abgelaufenen Jahr gegenüber den Märkten in den USA und Europa zurückgefallen sind. Wegen des Corona-Notstandes bis Ende September spürten die Japaner keine Konsumlust, so dass sich der Binnenaufschwung verzögerte. Zudem bremste der Halbleitermangel die wichtige Autoindustrie. Doch für steigende Aktienkurse spricht auch der positive Gewinntrend. Jesper Koll von der Monex Group Japan sagt eine hohe Zahl von Aufwärtskorrekturen bei den Gewinnschätzungen vorher. Die Vorsteuergewinne im Geschäftsjahr 2022 (bis 31. März 2023) sollen laut japanischen Brokerhäusern im Schnitt um 8 bis 10% wachsen. Die Investmentbank Nomura geht von einem Gewinnwachstum 2021 (bis 31. März 2022) von 28% und in 2022 von 20% aus. Jedoch werde der Nikkei 225 sein Jahreshoch von 34000 schon zwischen April und Juni erreichen, da die Aktienkurse dem Gewinnmaximum in der Regel sieben bis zehn Monate vorausliefen.
Als möglicher Unsicherheitsfaktor gilt der geldpolitische Kurs der Bank of Japan (BoJ). Denn einerseits hat sie eine Zinserhöhung bis 2023 ausgeschlossen und lediglich einen Teil ihrer Corona-Sondermaßnahmen zurückgenommen. Andererseits beweist ihre Bilanz, dass man die Wertpapierkäufe „klammheimlich“ stark gedrosselt hat. Der Bestand an japanischen Staatsanleihen stieg nur um 13,5 Bill. Yen (103 Mrd. Euro), obwohl die Regierung eine Rekordmenge an Staatsanleihen emittierte. Die Gesamtmenge an staatlichen Wertpapieren in der BoJ-Bilanz schrumpfte sogar um 3% erstmals seit 13 Jahren. Vor allem verringerte die Notenbank ihre ETF-Käufe um 86% zum Vorjahr auf 1 Bill. Yen (7,7 Mrd. Euro). Der Aktienmarkt steckte diesen stillen Rückzug besser weg als erwartet – es fanden sich genug andere Käufer. Allerdings sitzt die Notenbank nun auf einem ETF-Berg im Kaufwert von 36,3 Bill. Yen (277 Mrd. Euro). Die meisten Brokerhäuser gehen jedoch laut Chefstratege John Vail von der Vermögensverwaltung Nikko AM davon aus, dass die Notenbank diese Bestände frühestens in fünf bis zehn Jahren abschmelzen wird.
Yen auf Fünfjahrestief
Einen schwer absehbaren Einfluss dürfte der Yen haben. Die Währung fiel in dieser Woche auf ein Fünfjahrestief zum Dollar. Laut J.P. Morgan sackte sie gegenüber einem inflationsbereinigten Währungskorb sogar auf ein Rekordtief ab. Capital Economics erwartet 2022 eine Abwertung auf bis zu 120 Yen pro Dollar. Grund der Schwäche ist einerseits die wachsende Realzinsdifferenz zwischen Japan und den USA. Zudem ist der Yen als sicherer Hafen wegen der Erholung der Weltwirtschaft weniger gefragt. Die Yen-Schwache stützt die Exportunternehmen, aber drückt den Binnenkonsum durch höhere Importpreise.