Goldpreis erreicht Rekord-Quartalsschluss
Von Jörg Scherer*)
Mit einem Kursplus von gut 5% zählt der Goldpreis zu den wenigen Assetklassen mit einem positiven Vorzeichen im bisherigen Jahresverlauf 2022. Das Edelmetall hat also den Herausforderungen des ersten Quartals erfolgreich getrotzt und wurde seinem Ruf als Krisen- bzw. Fluchtwährung wieder einmal gerecht. Doch welche charttechnischen Auswirkungen hat diese Entwicklung? Behält der Goldpreis seine Attraktivität im Jahresverlauf 2022? Was bedeutet das für Goldminenengagements? Wir wagen im Folgenden eine charttechnische Bestandsaufnahme.
Als Ausgangspunkt unserer Analyse wählen wir den Monatschart des Goldpreises. Das Edelmetall hat zuletzt fast punktgenau sein bisheriges Allzeithoch vom Sommer 2020 bei 2072 Dollar erreicht. Das Wiedersehen mit dem historischen Rekordlevel zog zwar zunächst eine Atempause nach sich, doch es gibt auch Positives zu berichten. Schließlich bildet die Kursentwicklung seit August 2020 eine trendbestätigende Korrekturflagge (obere Begrenzung aktuell bei 1771 Dollar). Das Kursziel aus dem beschriebenen Konsolidierungsmuster lässt sich langfristig auf rund 2280 Dollar taxieren. Die beiden Hochpunkte bei 2070/2072 Dollar sollten perspektivisch also noch nicht das Ende der Fahnenstange markieren. Interessanterweise harmoniert das diskutierte Anschlusspotenzial sehr gut mit der 138,2-Prozent-Fibonacci-Projektion der gesamten Goldpreis-Korrektur von 2011 bis 2015 (2254 Dollar). Unterschiedliche Verfahren der technischen Analyse unterstreichen also die Bedeutung dieses wichtigen Zielbereiches.
2011er-Hoch überwunden
Die Analyse der höheren Zeitebene – auf Quartalsbasis – fördert darüber hinaus ein äußerst spannendes Detail zutage. Trotz einiger Versuche und dem oben genannten Rekordstand vom August 2020 bei 2072 Dollar blieb dem Goldpreis bisher ein Quartalsschlusskurs oberhalb des alten Allzeithochs vom September 2011 (1920 Dollar) verwehrt. Deshalb war der März-Schlusskurs von 1937 Dollar einer mit besonderer Relevanz: Erstmalig gelang dem Edelmetall per Quartalsultimo der Spurt über das ehemalige Rekordlevel. Mit anderen Worten: Es steht der höchste Quartalsschlusskurs der Historie zu Buche – charttechnisch sicher nicht das schlechteste Signal! Aufgrund der Bedeutung des ehemaligen Rekordhochs sollte der Goldpreis nicht mehr nachhaltig darunter zurückfallen – sprich, das März-Tief bei 1889 Dollar bietet sich als engmaschige Absicherung an. Letzteres gilt umso mehr, als ansonsten im Tagesbereich eine kleine Top-Bildung vorliegen würde.
Innerhalb des US-Präsidentschaftszyklus stellt das laufende Zwischenjahr den besten Teilabschnitt dar. Die „goldene Periode“ des Wahlzyklus besitzt allerdings einen kleinen Schönheitsfehler. Von Anfang Mai bis Anfang Juli kommt es – gemessen am Durchschnittsverlauf des US-Zwischenwahljahres – zu einer zyklischen Dürreperiode, ehe der Goldpreis in der zweiten Jahreshälfte wieder eine starke saisonale Entwicklung nehmen sollte. Als besonderes Bonbon neigt das Zwischenwahljahr oftmals zu einer deutlichen Jahresendrally beim Goldpreis.
Minen einen Blick wert
Mehr als einen verstohlenen Blick sind derzeit die Goldminentitel wert. Schließlich hat sich der Philadelphia-Gold/Silver-Index im bisherigen Jahresverlauf deutlich von der Schlüsselzone bei rund 115 Punkten nach oben absetzen können. Dieses Level definiert die Nackenlinie der langfristigen Bodenbildung seit 2013 (siehe Chart). Mit dem Bruch des kurzfristigen Korrekturtrends sowie dem Spurt über das Hoch vom November 2021 bei 145 Punkten folgten im Verlauf des ersten Quartals weitere konstruktive Signale. Besonders letztere Weichenstellung vervollständigt einen kleinen Doppelboden. Das Anschlusspotenzial aus der unteren Umkehr lässt sich auf rund 28 Punkte taxieren, was zu einem Kursziel von 173 Punkten führt. Das Interessante an dieser Formation ist, dass sie einen Anstieg über die Hochpunkte der letzten Jahre bei 165/167/166 Punkten nahelegt. Gelingt dieser Befreiungsschlag, kann die Kursentwicklung seit Mai 2020 gleichzeitig als nach oben aufgelöste Schiebezone interpretiert werden. Im Erfolgsfall liegt also das nächste trendbestätigende Kursmuster mit einem Anschlusspotenzial von rund 50 Punkten vor. D.h., das im Erfolgsfall aktivierte Kursziel „rechtfertigt“ einen Anstieg über die Marke von 200 Punkten – immerhin Niveaus, welche der Philadelphia-Gold/Silver-Index seit 2012 nicht mehr gesehen hat. Die große Bodenbildung der letzten Jahre impliziert zumindest einen Kursanstieg bis in den Bereich von gut 190 Punkten. Der Goldminensektor befindet sich somit in einer doppelt attraktiven Ausgangslage, zumal auch der MACD gerade ein neues Einstiegssignal generiert.
Eine zusätzliche Dimension eröffnet die Analyse des Ratio-Charts im Vergleich zum eigentlichen Goldpreis. Nach dem Bruch des Abwärtstrends seit 2006 liegt hier inzwischen auch eine langjährige Bodenbildung vor. Selbst im Vergleich zum S&P 500 dürfte die lange Phase der Underperformance der Goldminentitel mittlerweile ein Ende gefunden haben. Um die gute Ausgangslage nicht zu gefährden, sollte der Philadelphia-Gold/Silver-Index indes die Marke von 145 Punkten nicht mehr nachhaltig unterschreiten.
*) Jörg Scherer ist Leiter Technische Analyse bei HSBC Deutschland.