Handelsstreit erreicht die Wall Street

Verschärfte Rhetorik schürt Sorge vor Eskalation - Marktbeobachter warnen vor weitreichenden Effekten

Handelsstreit erreicht die Wall Street

Die von der US-Regierung angestachelten Handelskonflikte treiben jetzt auch die Wall Street um. Die Gewinnaussichten der US-Konzerne sind zwar weiterhin rosig, weil der Impuls der US-Steuerreform bislang das Ausmaß des Handelsstreits überwiegt. Marktbeobachter warnen vor weitreichenden Effekten.sp New York – Die vergangene Woche dürfte sich der eine oder andere Wirtschaftshistoriker und Verfasser von Börsenalmanachen dick im Kalender angestrichen haben. Sollten sie demnächst die Frage zu klären haben, wann die Sorge vor einem eskalierenden Handelskonflikt zwischen den USA und China an den Aktienmärkten angekommen ist, dürfte die Antwort in die Vorwoche fallen, als der Dow Jones Industrial Index die längste Verlustserie seit mehr als einem Jahr komplettierte und auch die breiteren Börsenindizes wie der S & P 500 und der Nasdaq 100 über die Woche gesehen leichte Verluste verzeichneten. USA heizen Konflikte anAm Freitag machten die US-Börsen mit Unterstützung der Organisation Erdöl exportierender Länder (Opec) zwar etwas Boden gut. Doch schon am Montag standen Aktien erneut unter Druck, weil sich die Zeichen für eine Verschärfung der schwelenden Handelskonflikte mehrten. Berichte über zusätzliche Beschränkungen für Investitionen aus China in US-Hochtechnologieunternehmen sowie zu geplanten Ausfuhrbeschränkungen für kritische Technologien aus den USA nach China drohten den Handelsstreit zwischen den beiden größten Volkswirtschaften anzuheizen. Noch vor dem Wochenende hatte US-Präsident Donald Trump außerdem seine Drohung für Zölle auf Autoimporte aus Europa wiederholt und damit die Auseinandersetzung über die Handelsbeziehungen mit verbündeten Staaten weiter angestachelt. Im Hintergrund schwelt außerdem der Konflikt mit den Partnern Kanada und Mexiko im nordamerikanischen Handelsbündnis Nafta weiter, über dessen Zukunft die Vorstellungen weit auseinandergehen.Bisher hat der US-Aktienmarkt die Risiken eines eskalierenden Handelskonfliktes weitgehend ausgeblendet. Marktbeobachter verweisen unbeirrt auf die ausgezeichneten Gewinnaussichten von US-Unternehmen. Im Durchschnitt trauen Analysten den US-Konzernen im S & P 500 im zweiten Quartal laut einer Umfrage von Factset einen Gewinnzuwachs von 19 % zu, nachdem sie mit Hilfe von Steuererleichterungen der US-Regierung und einer robusten US-Konjunktur im ersten Quartal sogar ein Viertel mehr verdient hatten. Über den Verlauf des Jahres rechneten die Experten zumindest vor der jüngsten Eskalation im Handelsstreit mit einem Ergebnisplus von 19,8 %. Der Umsatz dürfte im zweiten Quartal um 8,7 % wachsen und über den ganzen Turnus 7,6 % zulegen. Dem S & P 500, der kurz vor Abschluss der ersten Jahreshälfte um 3 % vorangekommen ist, trauen Marktbeobachter im zweiten Halbjahr noch einmal doppelt so viel zu, wie eine Umfrage von Reuters vor der jüngsten Zuspitzung im Handelskonflikt ergeben hat. Bis zum Jahresende erwarten die 58 befragten Aktienstrategen den Leitindex im Schnitt bei 2 850 Punkten, nachdem sie im Februar noch mit 2 900 Punkten gerechnet hatten. Bis Ende 2019 soll der S & P 500 auf 2 950 Punkte klettern. Auch dem Dow Jones trauen die Analysten im zweiten Halbjahr im Mittel ein Plus von knapp 6 % auf 25 750 Punkte zu. Im nächsten Jahr erwarten sie per Ultimo einen Zählerstand von 27 200 Punkten. Bullen sehen KaufgelegenheitEin selbstbewusster Bulle wie Tony Dwyer, Chefstratege von Canaccord Genuity, ist noch optimistischer und hat sein Ziel für den S & P 500 gerade auf 3 200 Punkte bis Ende 2018 erhöht. Das Geschäftsklima unter mittelständischen Unternehmen liege ebenso wie das Verbrauchervertrauen nahe historischen Höchstständen, erklärt Dwyer seinen Optimismus. Kurzzeitige Schwächen am US-Aktienmarkt, die durch exogene Einflüsse wie die verschärfte Rhetorik im Handelsstreit hervorgerufen werden, sieht Dwyer als Kaufgelegenheit. Der Handelsstreit geht freilich längst über bloße Rhetorik hinaus. Am 6. Juli werden zunächst auf 818 Produkte aus China zusätzliche US-Zölle von 25 % aufgeschlagen, die zunächst ein Handelsvolumen von 34 Mrd. Dollar umfassen und dann schnell auf 50 Mrd. Dollar steigen werden. Das entspricht einer Steuer im Volumen von 12,5 Mrd. Dollar und wird von der US-Steuerreform mit Entlastungen in Höhe von 75 Mrd. Dollar für Private und 130 Mrd. Dollar für Unternehmen mehr als ausgeglichen, wie die Bank of America vorrechnet. Doch auch die darüber hinaus bereits angedrohten Zölle und Vergeltungsmaßnahmen wären nur die unmittelbaren Auswirkungen im eskalierenden Handelskonflikt. Noch schädlicher könnten nachgeordnete Effekte sein. Solche Effekte zweiter Ordnung umfassen laut Nancy Lazar von Cornerstone Macro die Eintrübung des Geschäftsklimas wegen der wachsenden Unsicherheit, den Gegenwind eines stärkeren Dollar und die Belastung bis hin zum Bruch von globalen Lieferketten, der einen Verlust der Wettbewerbsfähigkeit bedeuten kann. Das gilt auch für kleinere US-Unternehmen aus dem Russell 2000, bei denen viele Investoren vor dem Handelskonflikt Schutz gesucht haben, was dem Mittelstandsindex seit Jahresbeginn ein Plus von 10 % beschert hat.