„Höhere Inflation ist ein strukturelles Problem“
Christopher Kalbhenn.
Herr Meier, die Zentralbanken werden nicht müde zu betonen, dass der starke Inflationsanstieg vorübergehender Natur ist. Teilen Sie diese Meinung?
Ich gehe davon aus, dass die Inflationsrate in den kommenden Monaten hoch bleibt oder noch weiter zunimmt. Entscheidend sind dabei für mich nicht primär volkswirtschaftliche Analysen, sondern strukturelle Ursachen, die ich als Fondsmanager über die Kontakte mit den Unternehmen erlebe. Schon im März haben wir gesagt, dass die Lieferengpässe aufgrund der Verwerfungen durch das Runterfahren sowie auch das Hochfahren der Wirtschaft länger anhalten werden als allgemein erwartet.
Was sagen Ihnen die Unternehmen?
Wir haben von vielen Unternehmen gehört, dass sie sich in diesem Zusammenhang mit den Lehren, die aus der Pandemie zu ziehen sind, beschäftigen. Sie sind zu dem Schluss gekommen, dass die Lieferketten überprüft werden müssen. Diese waren geprägt von der Globalisierung und der Just-in-Time-Produktion, häufig wurde ein Single Sourcing betrieben. Das sah dann so aus, dass ein Unternehmen einen einzigen asiatischen Anbieter mit der Lieferung eines Vorprodukts beauftragte, der kostengünstig, mit hohen Skaleneffekten produzieren konnte und reibungslos lieferte. Die Unternehmen haben während der Pandemie die Unterbrechung dieser Ketten erlebt. Viele überlegen nun, ihre Vorproduktebelieferung regional zu diversifizieren, beziehungsweise überprüfen ihre Logistik- und Produktionsketten. Dadurch verliert man Economies of Scale, was die Produkte teurer macht.
Und das wirkt inflationär.
Wir sind da erst am Anfang eines Prozesses, der sich über die nächsten Jahre hinzieht. Es gibt verschiedene preistreibende Faktoren. Zunächst bedeuten teurere Vorprodukte, dass auch die Produkte teurer werden. Als Fondsmanager muss ich also nun darauf achten, dass ich Unternehmen im Portfolio habe, die die gestiegenen Kosten weitergeben können. Hinzu kommt, dass nach den Erfahrungen aus der Pandemie wahrscheinlich die Lagerhaltung wieder hochgefahren wird, was ebenfalls einen negativen Effekt auf die Unternehmen haben wird. Ein weiterer, bereits sehr deutlich sichtbarer Treiber ist, dass es für die Unternehmen sehr schwierig geworden ist, Fachkräfte zu finden. Teilweise ist das auf den demografischen Wandel zurückzuführen. In vielen Berufsgruppen besteht aber auch das Problem, dass die Fachkräfte gar nicht mehr in ihren alten Beruf zurückkehren wollen.
Steigen also als Folge von Corona auch die Lohnkosten?
Das ist zu erwarten. Die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften ist sehr stark gestiegen. Nicht zuletzt auch aufgrund der sehr hohen Inflationsraten werden sie sehr deutliche Akzente setzen. Sie werden auf die wieder gestiegenen Gewinne verweisen und darauf, dass sie in der Krise Verzicht geübt haben, um Unternehmen am Laufen zu halten.
Halten Sie die Inflationsproblematik also eher für hartnäckig als für vorübergehend?
Wir sehen die angesprochenen Probleme in allen Wirtschaftsbereichen. Daher glauben wir, dass die höhere Inflation ein strukturelles Problem ist. Und wenn wir jetzt noch die Klimakonferenz in Glasgow berücksichtigen: Kommen Auflagen wegen des Klimawandels, steigen dadurch strukturell die Kosten für die Unternehmen, und diese werden versuchen, die Kosten weiterzugeben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir kurz- bis mittelfristig wieder in ein deflationäres Umfeld zurückfallen werden.
Wie gehen sie die Lieferketten- und Kostenproblematik als Fondsmanager an?
Bei jedem Gespräch mit Unternehmen fragen wir, wie sie mit den gestiegenen Kosten umgehen, wie die Lagerhaltung aussieht und wie sich all dies in Zukunft entwickeln wird. Ich habe viele Unternehmen im Portfolio, die sogenannte Hidden Champions sind, die in Nischen aktiv sind und dort hohe Marktanteile haben. Sie sind weit besser in der Lage, höhere Kosten weiter zu geben, als dies in sehr wettbewerbsintensiven Branchen der Fall ist. Preissetzungsmacht ist in den nächsten Jahren ein wichtiger Aspekt für das Fondsmanagement. Hidden Champions sind auch sehr agil und können schnell reagieren.
Wie viele Titel halten Sie im Portfolio?
In unserem globalen Dividendenfonds, dem Mainfirst Global Dividend Stars, halten wir 60 Titel, in unserem Euroraum-Value-Produkt, dem Mainfirst Euro Value Stars, sind es 38, das heißt, wir haben konzentrierte Portfolios. Wir betreiben ein sehr aktives Fondsmanagement. Das Inflationsthema schauen wir uns aus der Bottom-up-Perspektive an. Wir beobachten einen sehr markanten Unterschied zur Vergangenheit. Über nahezu alle Sektoren hinweg sehen wir derzeit eine höhere Preissetzungsmacht, selbst in der Konsumbranche, die eigentlich nicht besonders dafür prädestiniert ist. Wir erleben eine sehr gute Zeit für das Stockpicking. Alle reden derzeit nur über Logistikprobleme. Das Thema strukturell höherer Kosten rollt erst an. Nach unserer Überzeugung muss mit dem höheren Niveau länger gerechnet werden, als vielen lieb ist.
Können Sie Beispiele für Unternehmen nennen, die über eine hohe Preissetzungsmacht verfügen?
Ein gutes Beispiel ist der Autovermieter Sixt. Als Folge der Pandemie und der Lieferkettenprobleme gibt es einen Mangel an Fahrzeugen. Das hat zur Folge, dass sich mit der steigenden Nachfrage eine sehr starke Preissetzungsmacht ergibt. Hinzu kommt, dass wir hier von einem oligopolistischen Markt reden. Zwei der Spieler, Europcar und Hertz, sind aufgrund der Coronakrise durch eine finanzielle Restrukturierung gegangen. Sie haben aufgrund der Knappheiten, unter denen die Autoproduktion leidet, nun große Schwierigkeiten, die Flotten wieder hochzufahren. Sixt gewinnt in diesem Umfeld Marktanteile, gerade in den Ländern, in denen das Unternehmen expandiert hat.
Finden Sie auch im europäischen Ausland Unternehmen mit starker Preissetzungsmacht?
Es gibt beispielsweise ein italienisches Unternehmen namens Carel Industries, das uns gefällt. Das ist ein Zulieferer für Klima- und Heizungstechnik. Das Unternehmen ist in einer Nische aktiv und hat dort einen hohen Marktanteil. Carel Industries ist auch ein sehr innovatives Unternehmen. Es hat Vorprodukte in Asien fertigen lassen, wird aber die Belieferung nun regional diversifizieren. Das ist natürlich ein Grund, sich über die Marge Sorgen zu machen. Aber Carel Industries ist in der Lage, die Preise zu erhöhen. Das Unternehmen ist auch sehr schnell in der Reaktionsfähigkeit. Ein weiteres Beispiel ist Fluidra. Dieses spanische Unternehmen stellt Zubehör für die Schwimmbadtechnik her. Es erwirtschaftet einen Umsatz von 3 Mrd. Euro und ist in einer Nische tätig. Die Marktstruktur dieses Bereichs ist oligopolistisch mit vier Anbietern, die sehr hohe Marktanteile haben. Fluidra konnte in diesem Jahr bereits zwei deutliche Preiserhöhungen durchsetzen.
Eine nicht auf den ersten Blick auffallende Form von Inflation bietet die Autoindustrie, der Wegfall der Rabatte, was ja letztlich auch nur eine Preiserhöhung ist.
Die Autobranche hat immer einen harten Wettbewerb über Rabatte geführt. Das Kalkül war, über Preissenkungen erst Marktanteile zu gewinnen, um anschließend die Preise anzuheben. Das hat noch nie funktioniert, in keiner Branche. Klüger wäre es, weniger zu produzieren und sich nicht gegenseitig auf die Füße zu treten. Die Folge wären gigantisch höhere Margen. Wir sehen jetzt eine deutlich niedrigere Produktion, aber als Folge des pandemiebedingten Halbleitermangels. Es wird interessant zu sehen, ob die Branche die Konsequenzen ziehen wird.
Das Interview führte