Impfstoff-Aktien im Nebel
Von Alex Wehnert, Frankfurt
Bei Curevac ist nach hochfliegenden Hoffnungen Ernüchterung eingekehrt: Nachdem das Unternehmen in der vergangenen Woche mitgeteilt hatte, dass sein Corona-Impfstoff in der entscheidenden klinischen Studie nach vorläufigen Daten nur eine Wirksamkeit von 47% erzielte, verlor seine in Frankfurt notierte Aktie innerhalb eines Tages 43% an Wert. Erholung ist seither kaum eingetreten, das zwischen Handelsschluss am vergangenen Mittwoch und gestern Abend verzeichnete Minus beläuft sich noch auf 39% – beim New Yorker Pendant sind es 41%.
Die Analysten haben jedenfalls erst einmal auf Vorsicht geschaltet: Der Anteil der Analysten, die auf „Halten“ votieren, ist bei beiden Papieren im Juni gestiegen, während die Zahl der Kaufempfehlungen zurückgegangen ist. Laut dem Informationsdienstleister Bloomberg stehen derzeit einem Drittel an „Kaufen“-Vota zwei Drittel an Empfehlungen zum Halten gegenüber.
„Es bestehen nur geringe Chancen darauf, dass die finale Analyse eine höhere Wirksamkeit des Curevac-Vakzins aufzeigt“, kommentieren die Analysten von Bloomberg Intelligence die Aussichten für Curevac. Schließlich beruhe die jüngst veröffentlichte Studie auf 134 Fällen, einer statistisch robusten Zahl. Nun stelle sich die Frage, ob die Wirksamkeit tatsächlich wie von Curevac angegeben durch die Einbeziehung neuerer Virusvarianten in die Studie gedrückt worden sei. Denn dann müssten wohl auch andere Impfstoffe angepasst werden. Wenn jedoch die Technologie von Curevac das Problem darstelle, dann werde die zeitliche Koordinierung bei der Einführung zukünftiger Impfstoffe des Unternehmens beeinträchtigt sein.
Einseitiger Anlegerfokus
Die durch den Curevac-Misserfolg verursachten heftigen Kursrücksetzer haben auch die BaFin auf den Plan gerufen – laut Medienberichten geht die deutsche Finanzaufsicht dem Verdacht nach, dass Verantwortliche bei Curevac oder Kooperationspartner Bayer vor Bekanntmachung der enttäuschenden Studienergebnisse Anteile abgestoßen haben. Ob es tatsächlich zu Insiderhandel gekommen ist oder nicht – der Einbruch unterstreicht, wie stark sich die Investoren auf den Corona-Impfstofferfolg von Biotech- und Pharmaunternehmen fokussieren, während sie andere Geschäftsbereiche dieser Hersteller offenbar fast vollständig ausblenden.
Auch unter Analysten dreht sich die Diskussion um die Unterschiede hinsichtlich der Wirksamkeit der Vakzine von Moderna, Johnson & Johnson, AstraZeneca sowie der Kooperation zwischen Biontech und Pfizer. Dabei steht die in Großbritannien weit verbreitete indische Coronavariante besonders im Fokus. Laut offiziellen Studien aus dem Vereinigten Königreich bieten zwei Dosen des Wirkstoffs von Pfizer-Biontech einen hohen Schutz gegen die Virusausprägung, AstraZeneca schneidet schlechter ab. Laut Bloomberg Intelligence ist dies, gepaart mit der niedrigen Wirksamkeit von 33% nach der ersten Impfung, für die Aussichten des britisch-schwedischen Konzerns ein ernstes Risiko. Dies treffe insbesondere in Staaten wie Großbritannien und Kanada zu, die das Fenster zwischen Erst- und Zweitimpfung ausgedehnt haben.
Optimismus für AstraZeneca
Dennoch ist der Anteil der „Overweight“-Einstufungen und Kaufempfehlungen für die Aktie von AstraZeneca zuletzt wieder gestiegen und liegt mittlerweile bei 83,3% – damit ist der Konzern Analystenfavorit im Segment. Dem stehen 10% an „Halten“-Vota und ein Verkaufsempfehlungsanteil von 6,7% gegenüber. Die britische Großbank Barclays rät dazu, die Aktie überzugewichten, und verweist dabei auf eine vergleichsweise hohe Effektivität gegen die erstmals im September 2020 in der britischen Grafschaft Kent festgestellte Alpha-Variante des Virus.
Seit dem pandemiebedingten Marktcrash im März 2020 betrachtet hinkt AstraZeneca der Konkurrenz an der Börse indes noch leicht hinterher. Seit Beginn des laufenden Jahres gerechnet ergibt sich inzwischen aber immerhin eine leichte Outperformance gegenüber den Aktien von Pfizer sowie Johnson & Johnson.
Weit enteilt ist hingegen Moderna, deren Aktienkurs sich allein im laufenden Jahr mehr als verdoppelt hat. Die Konsensschätzungen für den Impfstoffabsatz des US-Unternehmens im laufenden und kommenden Jahr haben in den vergangenen Wochen signifikant angezogen. Im Rahmen der Veröffentlichung zum ersten Quartal kündigte Moderna für 2021 vorab geschlossene Kaufvereinbarungen im Volumen von 19,2 Mrd. Dollar an. Insgesamt will der Konzern im laufenden Jahr 1 Milliarde Impfdosen produzieren und diesen Wert 2022 noch einmal um 50% steigern. Da die Preise laut Bloomberg Intelligence aufgrund der wachsenden Popularität von mRNA-Vakzinen im Vergleich zu anderen Wirkstoffen noch steigen dürften, könnte sich der Impfstoffumsatz im laufenden und kommenden Jahr auf bis zu 45 Mrd. Dollar ausweiten.
Allerdings stellt sich für Moderna wie auch für die anderen Hersteller mit fortschreitendem Erfolg der Impfkampagnen – inzwischen haben laut dem Dienstleister „Our World in Data“ 22% der Weltbevölkerung und über 47% aller EU-Bürger eine Erstimpfung erhalten – die Frage nach der Nachhaltigkeit der Erlöse aus dem Vakzingeschäft. Denn auch wenn Moderna und die Pfizer-Biontech-Kooperation betonen, dass dieses aufgrund von Impfauffrischungen auch künftig Chancen biete, bestehen Unsicherheiten. Welche Art von Impfstoffen Patienten präferieren, kann sich schließlich je nach Nachrichtenlage ändern. Zudem ist noch unklar, in welcher Frequenz Corona-Impfungen aufgefrischt werden müssen. Diese Faktoren vernebeln auch die Aussichten am Aktienmarkt.