„In der aktuellen Situation ist auf Realkapital zu setzen“
Christopher Kalbhenn.
Herr Stranz, an den Aktienmärkten ist zuletzt etwas Unruhe aufgekommen wegen der Ausbreitung der Deltavariante und wieder zunehmender Lockdowns, wovon jetzt auch die asiatisch-pazifische Region betroffen ist. Wie beurteilen Sie die Lage?
Ich bin natürlich kein Virologe, aber die Deltavariante scheint ein Risiko zu sein. Aber nach allem, was wir derzeit sehen, helfen die Impfungen auch gegen die Deltavariante sehr gut. Das gilt auch für Großbritannien, wo die Inzidenz zuletzt auf über 300 gestiegen ist. Die britische Regierung scheint trotzdem an der geplanten Lockerung festhalten zu wollen. Sie traut sich das, auch weil dort schon mehr als 80% der über 50-Jährigen geimpft sind. Wenn Europa mit dem bestehenden Impftempo weitermacht, brauchen wir uns vielleicht keine so großen Sorgen zu machen. In unserem zentralen Szenario rechnen wir angesichts der Impfsituation nicht mit größeren Lockdowns in den Vereinigten Staaten und in Europa.
Was könnte Ihrer Einschätzung nach in Asien geschehen?
In Asien hat man auf Eindämmung des Virus mit harten lokalen Lockdowns gesetzt. Außer in China liegen die Impfquoten in der Region unter 20%. Wir sehen einen starken Anstieg der Infektionen in Ländern wie Indonesien und Vietnam. Vor diesem Hintergrund könnte es wieder zu Störungen in den Lieferketten kommen. Das ist ein ernstzunehmendes Risiko, dennoch nicht unser Basisszenario, aber durchaus möglich.
Was halten Sie von der neuen Strategie der Europäischen Zentralbank?
Die neue Strategie hat für etwas Aufregung gesorgt. Die EZB hat ein neues Inflationsziel kommuniziert. Es lautet nicht mehr auf unter 2%, sondern auf plus 2%, verbunden mit der Bereitschaft, ein kurzfristiges Überschießen der Inflation zu tolerieren. Ich kann verstehen, dass das von Politikern kritisiert wird. Denn wir haben einen Gleichlauf von ultralockerer Geldpolitik und einer Fiskalpolitik, die die Schleusen öffnet. Die Erwartung war, dass die Fiskalpolitik die Schleusen öffnet und die EZB ihre Geldpolitik normalisiert. Die Lage ist nun so, dass die Fiskalpolitik äußerst expansiv wird und die Geldpolitik bis auf weiteres noch nicht eindämmt. Die Unruhe ist sicherlich auch ein Stück weit auf die historischen Erfahrungen Deutschlands mit der Hyperinflation der 1920er Jahre zurückzuführen und die seitdem immer wieder hochgehaltene Angst vor einer Inflation.
Wie stehen Sie zu der Veränderung?
Wir sehen es im Augenblick entspannt. In den USA hat die Notenbank signalisiert, dass es im Jahr 2023 oder sogar bereits 2022 eine erste Leitzinsanhebung geben wird und Ende 2022 die Reduzierung der Anleihekäufe beginnen könnte. Die Fed reagiert bereits auf die kräftige wirtschaftliche Erholung. In Europa kann die Notenbank das aufgrund der stark gestiegenen Verschuldung nicht tun. Deutschland hat eine Schuldenquote von 70% und könnte eine geldpolitische Normalisierung gut verkraften. Im europäischen Durchschnitt beläuft sich die Schuldenquote allerdings auf 98%. Eine restriktivere Geldpolitik wäre nur möglich, wenn über eine Veränderung des Vertrages ein Teil der italienischen Staatsschulden übernommen würde.
Womit rechnen Sie?
Wir gehen von einer Art Durchlavieren aus. Es könnte über eine stärkere Wachstumsdynamik gehen, verbunden mit einer leicht höheren Inflation. Nach unserer Einschätzung wird es nicht zu einer Lohn-Preis-Spirale kommen, dies wäre aber eine Grundvoraussetzung für eine nachhaltig höhere Inflation. Die Inflation wird daher nur temporär höher sein, etwa aufgrund der höheren Energie- und Nahrungsmittelpreise. Auch die Löhne werden etwas steigen, aber ohne eben die gefürchteten sich selbst verstärkenden Lohn-Preis-Spiralen. Etwas mehr Inflation könnte letztlich positive Effekte haben. Wenn Güter und Dienstleistungen zu höheren Preisen angeboten werden, steigen die Umsätze der Unternehmen, und wenn dann noch Effizienzgewinne hinzukommen, steigen die Unternehmensgewinne und damit auch die Unternehmenssteuereinnahmen. Eine moderat höhere Inflation ist keineswegs schädlich, sondern ist durchaus nützlich.
Was bedeutet die aktuelle Situation für die Anleger?
Für die Anleger gibt es durchaus attraktive Investmentmöglichkeiten. Wer auf Anleihen angewiesen ist, hat allerdings kaum Chancen, auf längere Duration zu setzen, weil das sehr abträgliche Folgen hat, wenn die Inflation steigt. Teilweise kann das mit inflationsgebundenen Anleihen ausgeglichen werden. Aber das ist nur etwas für langfristige Investoren wie Lebensversicherungen und Pensionsfonds. Lebensversicherer müssen einen Mismatch zwischen Duration und Verbindlichkeiten mit Eigenkapital unterlegen. Investoren ohne Restriktionen sind eher mit dem Laufzeitenbereich von drei bis fünf Jahren und dem Segment der Kreditanleihen gut beraten. Im Hochzinsbereich sind die Spreads mit 320 bis 350 Basispunkten mittlerweile zwar ebenfalls niedrig. Damit sind sie aber immer noch doppelt so hoch wie die Ausfallrate. Im Investment-Grade-Segment sind die Spreads mit 60 bis 80 Basispunkten sehr niedrig. Andererseits entwickelt sich die wirtschaftliche Lage sehr gut. Wir rechnen für dieses und das kommende Jahr mit einem globalen Wachstum von 4,5 bis 5%.
Halten Sie auch Schwellenländeranleihen für interessant?
Diese Frage ist sehr differenziert zu beantworten. Sicherlich profitieren gerade rohstoffexportierende Staaten von den global zu beobachtenden Rohstoffpreisanstiegen. Andererseits zeigen die Frühindikatoren, das heißt die Purchasing-Manager-Indices für das verarbeitende Gewerbe, in Schwellenländern nicht die gleiche positive Tendenz wie in den USA oder der EU. Grund hierfür dürften Sorgen vor erneuten Produktions- und Lieferkettenengpässen für den Fall eines wieder dynamischeren Pandemiegeschehens sein, da Impfquoten in Schwellenländern mit Ausnahme Chinas noch vergleichsweise niedrig sind.
Die Aktienmärkte haben sich sehr stark vom Corona-Crash erholt und haben sogar Rekordhöhen erreicht. Sind die Bewertungen nicht allmählich etwas anspruchsvoll?
Wir haben eine nach wie vor positive wirtschaftliche Dynamik und damit auch eine positive Dynamik bei den Unternehmensgewinnen. Wenn die positive Korrelation von Industrieproduktion und Unternehmensgewinnen weiterhin Bestand hat, wovon wir ausgehen, müssten die Gewinne global in einer Größenordnung von 25 bis 30% steigen. Es ist kein Grund erkennbar, warum die Gewinne nicht stark steigen sollten. Und wenn es nur 20% sein sollten, wäre das auch gut. Die Bewertungen an den Aktienmärkten sind zwar nicht mehr günstig. Mit KGVs von 20 bis 25 haben sie einen Bereich erreicht, der zuletzt während der Technologieblase Ende der neunziger Jahre gesehen wurde. Aber wenn wir ein Wachstum der Unternehmensgewinne von 25% haben, erhalten wir ein KGV von unter 20. Hinzu kommt, dass die Alternativen zu Aktien unattraktiv sind. In der aktuellen Situation ist auf Realkapital zu setzen, das heißt Immobilien und Aktien sind angesagt.
Sie gehen also von weiter steigenden Aktienkursen aus?
Unserer Einschätzung nach sollte ein breit gestreutes Aktienportfolio in den kommenden Jahren die höchsten Erträge bringen. Anders sähe dies aus, wenn der schon sehr lange anhaltende Trend einer niedrigen Güterpreisinflation bei gleichzeitiger Asset-Preis-Inflation sich umkehren würde. Das würde Aktienkurse und Immobilienpreise drücken. Aber wir glauben nicht, dass das geschehen wird. Denn dazu müsste, wie bereits erwähnt, eine Lohn-Preis-Inflationsspirale losgetreten werden. Aber das ist in der stark wettbewerbsintensiven globalen Wirtschaft wenig wahrscheinlich. Natürlich bewegen sich Aktien volatil und temporäre Rückschläge sind niemals auszuschließen, grundsätzlich haben wir aber immer eher die langfristigen Ziele im Blick und versuchen entsprechend auch langfristige Anlagestrategien zu verfolgen.
Gehen denn von den derzeitigen Deglobalisierungstendenzen keine preissteigernden Effekte aus?
Deglobalisierungstendenzen sind aufgrund der Pandemie unvermeidlich. Als sie Europa erreichte, musste man beispielsweise feststellen, dass hier keine Schutzausrüstung verfügbar war, ein unhaltbarer Zustand. Eine Produktion hierzulande wirkt preiserhöhend. Wir reden hier aber über kleinere Adjustierungen gemessen an der globalen Wirtschaftsleistung. Deswegen wird man nicht gleich die Produktionsketten in der gesamten Wirtschaft umstellen. Wir werden höhere Preise sehen, was eigentlich geschieht, ist aber, dass schädlicher Deflationsdruck weicht. Die Zeiten mit einer Inflation von 0% sind vorbei, eine Teuerungsrate von 2 bis 3% ist aber auch nicht so schlimm.
Sollten Anleger angesichts sich abzeichnender höherer Inflationsraten auch Investments in Edelmetalle in Betracht ziehen?
Edelmetalle, insbesondere Gold, gelten durchaus als valider Inflationsschutz. Es gibt allerdings auch eine ausgeprägte negative Korrelation zwischen der Dollar-Euro-Relation und dem Goldpreis. Steigt der Dollar zum Euro, dämpft das den Goldpreis, und umgekehrt. Bei sich ausweitenden Zinsdifferenzen zwischen den USA und der Eurozone ist eine weitere Dollarstärke nicht unplausibel, was wiederum Druck auf den Goldpreis ausüben dürfte. Für Euro-Anleger kann das schnell zum Nullsummenspiel werden.
Das Interview führte