GASTBEITRAG

In Zeiten steigender Zinsen sollte die Idee der Risikoparität überdacht werden

Börsen-Zeitung, 6.2.2014 Wenn Anleger ihr Portfolio diversifizieren, wollen sie damit Risiken reduzieren. Aber verringert eine Aufteilung des Vermögens auf unterschiedliche Assets und Assetklassen wirklich das Risiko? Wäre es nicht sinnvoller, eine...

In Zeiten steigender Zinsen sollte die Idee der Risikoparität überdacht werden

Wenn Anleger ihr Portfolio diversifizieren, wollen sie damit Risiken reduzieren. Aber verringert eine Aufteilung des Vermögens auf unterschiedliche Assets und Assetklassen wirklich das Risiko? Wäre es nicht sinnvoller, eine direkte Diversifikation der Risiken vorzunehmen? Das ist die Grundidee der risikoparitätischen Investitionsansätze, die in den vergangenen Jahren sehr populär und erfolgreich waren. Im letzten Jahr trübten steigende Zinsen jedoch die Freude an den meist sehr rentenlastigen Risk Parity-Fonds. Anlass genug, sich über Stärken und Schwächen von Risk Parity Gedanken zu machen. Vernünftiger MittelwegDer Risk Parity-Ansatz beruht auf der Idee, die Portfoliogewichte in einem Fonds ausschließlich auf der Basis von Risikokennziffern zu bestimmen. Erwartete Erträge spielen keine Rolle. Der Charme dieses Vorgehens liegt darin, dass eine bedeutende Fehlerquelle bei der Portfolioallokation eliminiert wird, denn schon kleine Ungenauigkeiten in der Ertragsprognose können erhebliche Auswirkungen auf die Portfoliogewichte haben.Die Idee der risikobasierten Allokation kommt aus der klassischen Portfoliotheorie. Das Minimum Varianz-Portfolio ist so konstruiert, dass die marginalen Beiträge zum Portfoliorisiko für alle im Portfolio enthaltenen Assets identisch sind, was der Idee paritätischer Risikobeiträge entspricht. Paradoxerweise neigen Minimum Varianz-Portfolios aber dazu, in wenigen Assets konzentriert zu sein. Das entspricht nicht der intuitiven Vorstellung von geringem Risiko. Risikoreduktion wird üblicherweise mit hoher Diversifikation, also breiter Streuung der Portfoliopositionen identifiziert. Dieser Anspruch wird aber vom Minimum Varianz-Portfolio gerade nicht erfüllt.Die maximale Diversifikation der nominalen Portfoliogewichte wird erreicht, wenn alle Gewichte gleich sind. Das gleichgewichtete Portfolio wird manchmal auch als “naiv” bezeichnet, denn für seine Berechnung sind keine Informationen über erwartete Renditen oder Risikokennziffern nötig. Die Performance gleichgewichteter Indizes ist, gerade auch im Vergleich zu kapitalisierungsgewichteten, erstaunlich gut. Allerdings schwankt sie stark. Denn nominale Diversifikation ist nicht identisch mit einer Diversifikation von Risikofaktoren.Der Risk Parity-Ansatz kann als Kompromiss verstanden werden. Er versucht, den Risikoreduktionsgedanken des Minimum Varianz-Portfolios mit dem Diversifikationsgedanken eines gleichgewichteten Portfolios zu verbinden. Dies geschieht über das Konzept des Gesamtrisikobeitrags. Der Gesamtrisikobeitrag eines Assets entspricht dem Produkt seines marginalen Risikobeitrags mit dem Portfoliogewicht. Die Summe der individuellen Gesamtrisikobeiträge entspricht dem Portfoliorisiko. Geringere UngleichgewichtungDie Idee des Risk Parity-Ansatzes lässt sich am einfachsten am Beispiel eines gemischten Mandats aus Aktien und Renten erklären. In einem gleichgewichteten Portfolio wird der überwiegende Teil des Portfoliorisikos von den Aktien generiert. Die Portfoliogewichte des Risk Parity-Ansatzes sind erreicht, wenn die Gesamtrisikobeiträge beider Assetklassen identisch sind. Das Risk Parity-Portfolio wird im Vergleich zum gleichgewichteten Portfolio eine höhere Renten- und eine niedrigere Aktienquote haben. Die Ungleichgewichtung der beiden Assetklassen ist jedoch immer geringer als die des Minimum Varianz-Portfolios, das im Extremfall nur aus Renten besteht.Wenn das Portfolio nur aus zwei Assets besteht, können die Risk Parity-Gewichte ganz einfach berechnet werden. Das Verhältnis der Standardabweichungen bestimmt das Verhältnis der beiden Gewichte. Wenn also die eine Standardabweichung 10 % und die andere 20 % beträgt, dann werden die beiden Assets im Verhältnis 2:1 gewichtet, also zwei Drittel Gewicht für das schwankungsärmere und ein Drittel Gewicht für das riskantere Asset. Sinkt das Risiko des einen Assets von 10 auf 5 %, steigt das Gewicht der relativ sicheren Anlage auf 80 %, während das Gewicht der relativ riskanten Anlage auf 20 % sinkt. Dynamische AllokationZwei Dinge sind bemerkenswert: Zum einen spielt die Korrelation zwischen den beiden Assets für die Höhe der Risk Parity-Gewichte keine Rolle. Das gilt allerdings nur für den einfachen Fall mit lediglich zwei Assets. Zum anderen führen schon kleinere Schwankungen des Risikoverhältnisses der beiden Assets zu deutlichen Anpassungen der Fondsgewichte. Eine dynamische Steuerung der Portfoliogewichte hat also zur Folge, dass der Anstieg des relativen Risikos zu einem Abbau des riskanteren Assets führt, während eine Abnahme des relativen Risikos eine stärkere Gleichgewichtung der beiden Assets zur Folge hat. Macht diese dynamische Allokationsregel Sinn? Im Fall von Aktien und Renten durchaus. Die Einbruchsphasen der Aktienmärkte waren meist mit einem Anstieg des relativen Risikos von Aktien gegenüber Renten verbunden. Die Rentenquoten in solchen Phasen zu erhöhen, ist eine vernünftige Idee. Hohe Rentenquote rächt sichGrob gerechnet beträgt das relative Risiko von Aktien zu Renten im Durchschnitt etwa 4:1, so dass ein Risk Parity-Fonds mit Aktien und Renten eine durchschnittliche Rentenquote von etwa 80 % hat. Steigt das relative Risiko von Aktien zu Renten an, kann die Rentenquote sogar noch deutlich höher liegen. Die hohen Rentenquoten waren in den vergangenen Jahren der Schlüssel zum Erfolg der Risk Parity-Fonds. Fallende Zinsen sorgten für ein ganzes Jahrzehnt mit freundlichen Rentenmärkten. Im vergangenen Jahr aber waren die hohen Rentenquoten ein Bumerang, denn die Zinsen scheinen die Talsohle durchschritten zu haben. Die exzellente Performance der vergangenen Jahre hat die Illusion genährt, Risikostreuung nach dem Prinzip paritätischer Risikobeiträge würde wie eine Kapitalgarantie wirken. Ein solches Element fehlt den Risk Parity-Ansätzen aber gänzlich. Die Illusion entstand, weil über einen langen Zeitraum Assets mit niedrigem Risiko fast immer höhere Erträge als riskantere Anlagen lieferten. Ob dies auch zukünftig so sein wird, steht in den Sternen. Um auch in Zukunft weiterhin erfolgreich mit dem Konzept der Risikoparität anlegen zu können, sollten sich Anleger bewusst sein, unter welchen Bedingungen Risk Parity am besten funktioniert und welche Modifikationen am ursprünglichen Konzept vorgenommen werden sollten.Im einfachsten Fall zweier Assets oder Assetklassen entspricht der Risk Parity-Ansatz einer “Vola-Parität”. Das ändert sich, wenn das Portfolio aus mehr als zwei Anlagen besteht. Die Portfoliogewichte werden dann auch von den wechselseitigen Korrelationen zwischen den einzelnen Assets beeinflusst. Die Grundidee bleibt dennoch unverändert: Assets mit niedrigem Risiko werden übergewichtet, Assets mit hohem Risiko untergewichtet. Am meisten Sinn macht ein solcher Ansatz in einem breit gestreuten Portfolio mit vielen weitgehend unkorrelierten Assetklassen. Der ursprüngliche Risk Parity-Ansatz ist also weniger ein Konzept für reine Aktien-Renten-Mandate, sondern eher geeignet für Multi-Asset oder Multi-Strategy-Portfolios. Aber auch in solchen Mandaten impliziert Risk Parity keine Wertsicherung.Der vielleicht naheliegendste Weg, den Risk Parity-Ansatz weiterzuentwickeln, ist die Integration von Ertragserwartungen. Dabei sollte allerdings der Grundgedanke der risikobasierten Asset Allocation beibehalten werden, nämlich die Portfoliokonstruktion auf Risikomaße zu stützen. Erwartete Verluste für ein Asset erhöhen in diesem Sinne dessen Risikobeitrag und führen dann zu einem niedrigeren Portfoliogewicht. Thierry Roncalli hat kürzlich ein Arbeitspapier veröffentlicht, in dem er zeigt, wie sich ein Risikomaß konstruieren lässt, das sowohl von Ertragserwartungen als auch von der Volatilität beeinflusst wird. Unter bestimmten Annahmen können Risk Parity-Portfolios aus solchen Risikomaßen abgeleitet werden. Risk-Budgeting-AnsatzNatürlich können Ertragserwartungen auch falsch sein. Genau das war ja ursprünglich der Grund für den Erfolg der risikobasierten Allokationsansätze: Ihre Unabhängigkeit von möglicherweise fehlerhaften Ertragsprognosen. Das Problem der Risk Parity-Konzepte besteht aus dieser Sicht weniger in der ausschließlichen Konzentration auf Risikomaße bei der Bestimmung der Portfoliogewichte, sondern in der Forderung paritätischer Risikobeitrage. Eine Gleichgewichtung der Risikoquellen lässt sich durch den Diversifikationsgedanken rechtfertigen. Aber es kann auch gute Gründe geben, Risikobeiträge ungleich zu verteilen. Durch die gezielte Verteilung von Risikobeiträgen lässt sich der Risk Parity-Ansatz zu einem Risk Budgeting-Ansatz erweitern. Der Investor hat damit die Möglichkeit, Risiken gezielt einzugehen und dabei das Verhältnis der Risikobeiträge wie im herkömmlichen Risk Parity-Ansatz konstant zu halten. Interessanterweise sind die Portfoliogewichte nicht mehr unabhängig von der Korrelation, wenn die Risikobeiträge ungleich sind. Es lässt sich zeigen, dass ein Anstieg der Korrelation zwischen Aktien und Renten zu einem höheren Portfoliogewicht jenes Assets führt, dem ein höherer Risikobeitrag zugeordnet ist. Korrelation ändert sich starkIst dieser Effekt erwünscht? Die Korrelation von Aktien und Renten ändert sich stark im Zeitablauf. In Krisenphasen wird sie negativ: Anleger fliehen aus Aktien und kaufen Renten. In normalen Phasen ist die Korrelation gering oder sogar positiv. Wenn Aktien einen höheren Risikobeitrag als Renten haben, wird ihr Gewicht in Krisenphasen also reduziert und in Phasen der Normalisierung erhöht. Das ist sinnvoll und führt zu einer deutlichen Verbesserung der Performance von gemischten Mandaten. Und es ist ein guter Grund, von der Risikoparität abzuweichen und den Aktien einen höheren Risikobeitrag zuzuordnen.In Zeiten steigender Zinsen sollte die Idee der Risikoparität also überdacht werden. Das kann zum einen über die Integration von Ertragserwartungen in das rein risikobasierte Allokationsschema erfolgen. Aber auch die Zuordnung eines höheren Risikobudgets für riskantere Assets kann sinnvoll sein. In einem gemischten Aktien-Renten-Mandat werden dadurch nicht nur die verbesserten relativen Ertragsaussichten für Aktien berücksichtigt. Ein höheres Risikobudget für Aktien führt gleichzeitig auch zu einer sinnvollen Reallokation des Portfolios, wenn sich die Korrelation zwischen beiden Assetklassen im Zeitablauf ändert.—-Christoph Kind, Leiter Asset Allocation Frankfurt-Trust