Investoren befürchten schwere Krise in Argentinien

Aktienmarkt erleidet weltweit zweitstärksten Tageseinbruch der vergangenen siebzig Jahre

Investoren befürchten schwere Krise in Argentinien

Von Andreas Fink, Buenos AiresDie dramatische Reaktion der Finanzmärkte auf eine Wahlschlappe der Regierung Macri nährt die Furcht vor einer erneuten schweren Krise in dem chronisch anfälligen Argentinien. Nachdem am Montag der Aktienindex Merval in Buenos Aires um 48 % gefallen war – es war der zweithöchste weltweit registrierte Börsenabsturz der letzten sieben Jahrzehnte -, stieg am Abend der vom Bankhaus J.P. Morgan errechnete Renditeaufschlag argentinischer Staatsanleihen auf ihre amerikanischen Gegenstücke um gut 68 % von 8,67 auf fast 15 Prozentpunkte. Ein Jahrzehnt weggewischtDer Merval-Index fiel am Montag von 44 435 auf 27 530 Punkte. Damit wurden die Wertzunahmen der letzten zehn Jahre binnen eines Tages zunichtegemacht. Argentinische Bonds verloren am Montag im Durchschnitt 20 %. Und der Peso gab nach der Börsenöffnung am Morgen massiv nach und konnte erst stabilisiert werden, als die Notenbank am frühen Nachmittag 105 Mill. Dollar aus den Währungsreserven in den Markt schoss und ihren Leitzins auf 74 % anhob. Zum Schluss war die Landeswährung 24 % weniger wert als vor der Wahl am Sonntag.Die verpflichtenden Vorwahlen waren 2009 eingeführt worden, um die stärksten Kandidaten innerhalb der Parteien zu küren. Inzwischen sind sie nicht mehr als ein nationaler Stimmungstest zehn Wochen vor dem offiziellen Wahltag. Viele Bürger nutzten am Sonntag diese Gelegenheit, um ihre Unzufriedenheit über die Engpässe kundzutun, die der Sparkurs erfordert, den die Regierung Macri ihren Bürgern abverlangen muss, um das Budgetdefizit zu reduzieren. Das ist eine Kernforderung des Internationalen Währungsfonds, der dem Land im Vorjahr den höchsten jemals frei gegebenen Standby-Kredit gewährte. Insgesamt soll Argentinien 56,3 Mrd. Dollar aus Washington bekommen, bis Ende dieses Jahres werden bereits 90 % ausgezahlt sein. Die Rückzahlung soll 2021 beginnen, doch ob dieser Zeitplan eingehalten werden kann, ist nach dem Wahlausgang am Sonntag mehr als fraglich.An den Finanzmärkten wird damit gerechnet, dass Argentinien ab Dezember von Alberto Fernández, dem einstigen Kabinettschef des Ex-Präsidenten Néstor Kirchner, regiert wird. Als dessen Stellvertreterin kandidiert die Ex-Präsidentin Cristina Kirchner. Beide Namen wecken auf den Finanzplätzen dunkle Erinnerungen. Die Kirchner-Jahre von 2003 bis 2015 waren geprägt von Streit, Zahlungsverweigerungen, Schuldenschnitten und dem partiellen Default 2014. Darum beziffern die Anbieter von Credit Default Swaps die Wahrscheinlichkeit eines neuen Zahlungsausfalls mit 75 %.Argentinische Anleger fürchten vor allem die politischen Folgen des Sonntags. Institutionell hat der Urnengang keine Auswirkung, der Verlierer Macri bleibt im Amt, wenn auch extrem angeschlagen. Und der Sieger Fernández kann vorerst nichts bewegen, selbst wenn er denn wollte. Während Medien und Märkte eine gewisse Kooperation der Kontrahenten einfordern, bleiben beide im Wahlkampfmodus und schieben die Verantwortung dem jeweiligen Gegner zu. Fernández möchte offenbar, dass Macri in den nächsten Wochen die Schmutzarbeit macht und ihm eine stark abgewertete Wirtschaft überlässt. Und Macri scheint zu hoffen, dass die Finanzgewitter vor allem jene Mittelklasse-Wähler zurückholen, die er an die Konkurrenz verloren hat.Die meisten argentinischen Finanzmarktbeobachter glauben, dass die Notenbank imstande ist, den Wechselkurs bis zum Wahltag im Oktober zu stabilisieren, laut IWF-Vertrag dürfen täglich bis zu 250 Mill. Dollar aus den Reserven für Stabilisierungskäufe verwendet werden. Am Dienstag schwankte die Währung sehr stark. Nach einer Spanne von 51 bis 58,75 lag der Dollar am frühen Abend mit einem Plus von 3,5 % bei 53,97 Peso. Der Renditeaufschlag argentinischer auf US-Anleihen kletterte weiter und lag am Dienstagnachmittag bei 16,53 Prozentpunkten. Der Merval lag zuletzt mit einem Plus von 7,3 % bei 29 526 Punkten.