Mailand

Italiens Börse hofft auf Rekordjahr

Die Unsicherheiten hinsichtlich der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung in Europa und Italien sind groß. Dennoch erwarten die meisten Analysten auch für 2022 eine positive Entwicklung für Mailänder Börse .

Italiens Börse hofft auf Rekordjahr

bl Mailand

Nach einem guten Start ins neue Jahr und dem IPO des Nutzfahrzeugherstellers Iveco hat die Mailänder Börse im weiteren Verlauf an Boden verloren. Corona-Pandemie, Inflation, Versorgungsengpässe in der Industrie und hohe Energiepreise sowie die Unsicherheit über die weitere Entwicklung Italiens waren die Ursachen.

Die weitere Entwicklung hängt neben externen Faktoren davon ab, wer künftig in Italien regiert, und vor allem davon, welche Rolle Premierminister Mario Draghi künftig spielen wird. Denn er war seit Februar 2021 Garant für einen Reformkurs, der den internationalen Ruf Italiens kräftig aufpolierte. Draghi erarbeitete einen glaubhaften Plan zur Verwendung der Mittel des europäischen Wiederaufbauprogramms, dessen größter Nutznießer Rom war.

Risiko für Staatsanleihen

Nach Einschätzung von Analysten ist der Reformkurs ohne eine starke Rolle Draghis als Premierminister oder womöglich als Präsident in Gefahr. Natwest und Barclays, aber auch ING entwickeln denn auch abhängig vom Wahlausgang unterschiedliche Szenarien, was etwa die Entwicklung des Zinsabstands (Spread) zwischen deutschen und italienischen Staatsanleihen betrifft. Je größer die Unsicherheit, desto höher der Spread und desto stärker wären der Aufschwung und die Entwicklung an der Börse gefährdet. Denn dann würden die Schwächen des Landes wie die geringe Produktivität, vor allem aber die hohe Verschuldung von 155% des Bruttoinlandsprodukts in den Vordergrund rücken. Das würde erneut die Frage der Tragfähigkeit der Schulden in den Mittelpunkt stellen.

Trotz dieser womöglich nur „kurzfristigen politischen Sorgen“ erwartet die UBS einen Anstieg des Zinsabstands (Spread) für zehnjährige deutsche und italienische Staatsanleihen, der schon in den letzten Tagen auf mehr als 140 Basispunkte gestiegen ist. Das sind schon jetzt mehr als 50 Basispunkte über dem Wert vom Februar 2021, als Draghi Premierminister wurde. Damit – und mit der vermutlichen Verringerung der Anleihekäufe durch die Europäische Zentralbank (EZB) – würden sich die Finanzierungsbedingungen für italienische Unternehmen weiter verschlechtern. Dennoch bleibt die Schweizer Bank bei ihrer grundsätzlich positiven Einschätzung der Entwicklung des italienischen Aktienmarktes und hat den Ausblick von unter- auf übergewichten korrigiert. Attraktive Bewertungen, gute Gewinnchancen und die starke Gewichtung von Value-Werten sprächen für Investitionen in Italiens Aktienmarkt.

Positiv hatte sich zuletzt auch die erste Hochstufung von Italiens Kreditrating seit fast 20 Jahren durch die Ratingagentur Fitch im Dezember ausgewirkt. Auch Intesa Sanpaolo ist optimistisch. Deren Analysten sind der Auffassung, dass die Wolken am Konjunkturhorizont „in Italien derzeit weniger bedrohlich erscheinen als anderswo“.

Zu den möglichen Risiken gehören neben der Pandemie, dass der Erfolg Italiens fast ausschließlich an der Person Draghis festgemacht wird, auch die makroökonomische Entwicklung. Noch vor wenigen Wochen war für 2022 eine Wachstumsrate von 4 bis 4,5% erwartet worden. Nun rechnet die Regierung nur noch mit einem Anstieg von 4%, IWF und Notenbank mit 3,8%. Die jüngste Entwicklung im Tourismussektor sowie in allen Branchen, die einen hohen Energieeinsatz haben, und in der Autoindustrie ist negativ. 2021 ist Italiens Wirtschaft um etwa 6,3% gewachsen.

Nebenwerte liegen vorn

Die Borsa Italiana blickt auf ein sehr erfolgreiches Jahr 2021 zurück. Der Leitindex FTSE MIB legte um etwa 24% auf 27347 Zähler zu. Die Nebenindizes wie das STAR-Segment und das Kleinwertesegment Euronext Growth Milan entwickelten sich noch besser. Die Gesamtkapitalisierung der 407 (im Vorjahr 377) börsennotierten Unternehmen stieg um 24,7% auf 757 Mrd. Euro. Das entspricht 43% des italienischen Bruttoinlandsprodukts. Nach einem Rekordwert von 49 (im Vorjahr 22) neuen Notierungen, davon fünf im Hauptmarkt, mit einem Emissionsvolumen von mehr als 2,4 Mrd. Euro erwartet Mailand 2022 eine Reihe von weiteren Börsengängen.

Nach Iveco steht die Notierung von Plenitude, einer Abspaltung des Mineralölkonzerns Eni, der seine Aktivitäten in den Bereichen erneuerbare Energien, Retail und Elektromobilität ausgliedert, als größter Börsengang an. Weitere Kandidaten sind Fedrigoni (Spezialkarten und Luxusverpackungen), Technoprobe (Halbleiter), Epta (Kühlungssysteme) und De Nora (Elektroden, Spezialbeschichtungen). Auch die Stellantis-Robotiktochter Comau und die Modekonzerne Marco Marchi (Liu Jo, Blumarine), Renzo Rossi (u.a. Diesel) und Golden Goose könnten sich zu einem IPO entschließen.

Zu den Favoriten der Investoren gehören Finanzwerte. Barclays setzt vor allem auf Intesa Sanpaolo. Die Bank will am 4. Februar – zusammen mit den Jahreszahlen – ihren neuen Strategieplan vorstellen. Gespannt sind Beobachter insbesondere auf Aussagen zur Dividendenpolitik und zur internationalen Strategie. „Top Pick“ der Mediobanca ist die HVB-Mutter Unicredit, die im vergangenen Jahr mit einem Plus von 77% zu den großen Gewinnern zählte und bis 2024 rund 16 Mrd. Euro an ihre Aktionäre ausschütten will.

Zu den weiteren Favoriten der Mediobanca gehören die Banken Credem und Bper, die Versicherung Unipol und die Post (Poste), MFE (früher Mediaset) sowie der Modekonzern Moncler, der Autokonzern Stellantis, Iveco und Pirelli (Reifen) sowie Prysmian (Kabel).

Vorsichtiger sind die Mediobanca-Analysten bei den Pharma-Unternehmen Recordati und Diasorin, bei Ferrari und dem Bremsenhersteller Brembo sowie beim Bau- und Landmaschinenkonzern CNH Industrial, der im Vorfeld des Spin-off des Nutzfahrzeuggeschäfts (Iveco) 2021 um 68% zugelegt hatte. Abzuwarten ist, wie sich der Stromversorger Enel, der massiv auf erneuerbare Energien setzt und 2021 der große Verlierer am Aktienmarkt war, in diesem Jahr aus der Affäre ziehen wird. Mit einem Börsenwert von derzeit 68 Mrd. Euro ist Enel noch immer das bei weitem teuerste Unternehmen Italiens.

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