Rohstoffe

Kampf um den Ölmarkt zeigt schwer­wiegende Folgen

Um die Kontrolle des globalen Ölmarktes ist ein heftiger Kampf zwischen den westlichen Industrieländern und den Produzentenländern ausgebrochen. Neue heftige Preisanstiege könnten die Folge sein.

Kampf um den Ölmarkt zeigt schwer­wiegende Folgen

Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt

Der Brent-Ölpreis hat im laufenden Jahr eine ungewöhnlich hohe Volatilität gezeigt. Anfang März, kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs, wurde das bisherige Jahreshoch von beinahe 130 Dollar erreicht. Kürzlich sackte der Ölpreis bis auf fast 80 Dollar ab, erreichte danach aber zeitweilig schon wieder annähernd 100 Dollar.

Die starken Preisschwankungen sind in erster Linie das Ergebnis politischer Entwicklungen und Konflikte – so etwas hat es seit den Krisen der 1970er Jahre nicht mehr gegeben. Die auffälligen Preiseinbrüche sind auf Panikattacken der Marktteilnehmer wegen der drohenden ausgeprägten Rezession zurückzuführen, die auch auf westlichen Sanktionen gegen den weltweit wichtigsten Rohstofflieferanten Russland fußt. Hinzu kommen Sorgen wegen einer schwachen Konjunkturentwicklung in China.

Die Preisanstiege wiederum sind die Folge aktueller geopolitischer Konflikte sowie letztlich eines Kampfes um die Kontrolle des globalen Ölmarktes, der aktuell mehr oder weniger offen geführt wird. Seit den 1970er Jahren hat das Produzentenkartell Opec – seit wenigen Jahren in seiner um Russland erweiterten Form Opec plus – den Ölmarkt weitgehend kontrolliert und sich dabei meistens um eine Glättung der Preisbewegungen bemüht. Aktuell jedoch versuchen die westlichen Industrieländer als die neben China wichtigsten Nachfrager, die Kontrolle über den Ölpreis und den gesamten Markt zu übernehmen, was auf heftigen Widerstand der Anbieter trifft. Im Rahmen der Auseinandersetzung könnte der Ölpreis zumindest zeitweilig Niveaus von mehr als 200 Dollar je Barrel erreichen.

Zwei Hauptschauplätze

Es gibt derzeit zwei Hauptschauplätze des Konfliktes. So bemüht sich die US-Regierung mit Blick auf die Wahlchancen der Demokratischen Partei bei den Kongresswahlen vom November um eine deutliche Senkung des Ölpreises, indem sie Druck auf die Opec und ihr Schwergewicht Saudi-Arabien ausübt. Riad ist je­doch auf einen Ölpreis in der Größenordnung von rund 79 Dollar angewiesen, um den eigenen Staatshaushalt ausgeglichen zu halten, und hat ein Interesse an einem Ölpreis zwischen 90 und 100 Dollar.

Um den Ölpreis zu drücken, hat Präsident Joe Biden die strategische Reserve der USA bereits weitgehend auf ein Niveau reduziert, das sie zuletzt kurz nach ihrer Einführung aufwies. Biden ist nun zur Erreichung seiner relativ kurzfristigen politischen Ziele auf einen Kurs der offenen Konfrontation gegenüber dem über Jahrzehnte engsten US-Verbündeten in der arabischen Welt gegangen und droht Saudi-Arabien auf Basis des Vorwurfs der Kooperation mit Russland harte Sanktionen an.

Da die Biden-Administration mit Soft Power bislang nichts erreichte, hat sie in Zusammenarbeit mit dem Kongress ein schweres Geschütz aus der politischen Mottenkiste geholt. Es geht um den bereits seit Jahrzehnten diskutierten Gesetzentwurf des „No Oil Producing and Exporting Cartels Bill“ (Nopec). Mit diesem Stück exterritorialer Gesetzgebung könnten die Mitglieder der Opec vor US-Gerichten auf Basis amerikanischer Kartellgesetzgebung zur Zahlung hoher Schadenersatzsummen gezwungen werden.

Dies stellt für Saudi-Arabien und die Golf-Emirate eine existenzielle Bedrohung dar, weil sie sich als Gegenleistung für amerikanische Protektion Anfang der 1970er Jahre dazu verpflichtet hatten, Öl nur gegen Dollar zu verkaufen und die Überschüsse in den USA anzulegen. Vor diesem Hintergrund ist der öffentlich geäußerte Vorwurf Bidens, Saudi-Arabien nähere sich zunehmend Russland an, ohne Zweifel zutreffend: Ausgehend von der Bildung der Opec plus aus einer Übereinkunft zwischen Saudi-Arabien und Russland auf dem G20-Treffen im chinesischen Hangzhou im Jahr 2016, bewegen sich Saudi-Arabien wie auch andere Staaten der Region nun auf die chinesisch dominierte Shanghai Corporation Organisation (SCO) und das BRICS-Bündnis zu. Dieses arbeitet an einer neuen globalen Reservewährung, die den Dollar in dieser Rolle ablösen soll.

Preisobergrenzen im Blick

Die Inkraftsetzung des Nopec-Gesetzes birgt damit für die USA erhebliche Risiken, denn sie könnte die Abkehr Saudi-Arabiens und der Golf-Emirate von den USA und vom Dollar erheblich beschleunigen. Bereits jetzt haben die USA einen großen Teil ihres Einflusses in der Region eingebüßt. Aber auch Saudi-Arabien hätte sich in diesem Fall auf hohe Belastungen einzustellen, die sich bis zu einem ähnlichen Sanktionsregime wie gegen Russland auswachsen könnten. Aber es kommt für die Öl­produzenten noch schlimmer. Auf Vorschlag der amerikanischen Fi­nanzministerin Janet Yellen will der Westen eine von ihm festgelegte Preisobergrenze für russisches Öl diktieren und durchsetzen, wobei die Opec-Mitglieder den Verdacht haben, dass es sie über kurz oder lang ebenfalls treffen könnte. Es gibt bereits einen Beschluss der EU gegen Russland, was gegenwärtig den zweiten großen Konfliktherd auf dem Öl­markt darstellt. Allerdings zeichnet sich ab, dass sich auch die USA und andere verbündete Indus­trieländer wie Japan und Südkorea anschließen werden.

Situation wie 1979

Durchgesetzt werden soll die Preisobergrenze mit zwei Hebeln. Zum einen nehmen Tankschiffe aus der EU, nämlich von griechischen Reedereien, eine zentrale Position bei der weltweiten Verschiffung von Öl ein. So wurden in den Monaten April bis August nach Branchenangaben rund 55% des russischen Öls von griechischen Tankern transportiert. Zum anderen dominiert der Westen, hier vor allem der Finanzplatz London, den Markt für die Versicherung von Tankschiffen. Künftig soll für Lieferungen russischen Öls oberhalb der vom Westen festgelegten Preisobergrenze die Nutzung der großen griechischen Tankerflotte und auch die Versicherung von Tankschiffen aus anderen Ländern untersagt werden.

Die Bestimmungen der EU sollen so ausgestaltet werden, dass eine Um­gehung, beispielsweise durch Um­flaggen der Tanker, stark er­schwert wird. So soll für umgeflaggte Tanker, mit denen nur ein einziges Mal die EU-Preisobergrenze umgangen wird, die Regelung gelten, dass nie wieder die Nutzung von Dienstleistungen aus der EU erlaubt sein wird. Da Russland gegenwärtig über seine Häfen in der Arktis, an der Ostsee und dem Schwarzen Meer rund 4,5 Mill. Barrel pro Tag (bpd) exportiert, könnten die Folgen für den Ölpreis zumindest kurzfristig dramatisch sein. Russland hat angekündigt, keine Länder mehr mit Öl zu beliefern, die sich dem Regime der Preisobergrenze anschließen. Damit besteht die Gefahr, dass dem Markt im Extremfall mehr als 4 Mill. bpd verloren gehen. Die Situation erinnert an den Sturz des iranischen Schahs im Jahr 1979, als dem Weltmarkt durch die politischen Ereignisse kurzfristig 4% des Angebots entzogen wurden. Die Folge war eine Panik der Marktteilnehmer und ein mehr als verdoppelter Ölpreis.

Die Opec-Mitglieder unter Führung Saudi-Arabiens haben mit dem jüngsten Beschluss einer Kürzung ihrer Produktionsquoten um 2 Mill. bpd auch signalisiert, dass sie im Zweifel Russland unterstützen und nicht daran denken, russisches Öl durch eine gesteigerte eigene Produktion zu ersetzen. Es hat sich dabei um die umfangreichste Produktionskürzung seit der ersten Covid-Pandemiewelle gehandelt.

Russland wiederum verfügt dank der jüngst stark gestiegenen Einnahmen aus dem Export von Energieträgern über genügend finanzielle Reserven, um den dann faktischen eigenen Boykott der Preisobergrenze für eine längere Zeit durchzuhalten. In diesem Szenario wäre ein Ölpreis von 200 Dollar und mehr durchaus realistisch. Hauptleidtragender wäre erneut Europa, aber eingeschränkt wohl auch die USA, wobei das Ausmaß der Belastungen über die mögliche Verdopplung des Ölpreises hinausgeht. Russland exportiert riesige Mengen an Dieselkraftstoff, die in den Industrieländern dann fehlen würden, was zu einem Zusammenbruch der Logistiknetze und Lieferketten führen könnte.

Viel Widerstand

Dementsprechend gibt es außerhalb der westlichen Industrieländer weltweit kaum eine Stimme, die das Vorhaben von EU und G7 gutheißt. Trotz umfangreicher Motivierungsversuche seitens der Biden-Administration haben China und Indien als wichtige Nachfrager des Energieträgers durchblicken lassen, dass sie sich einer Preisobergrenze nicht anschließen würden. Aktuell hat sich der indonesische Finanzminister Shri Mulyani gegen eine Preisobergrenze ausgesprochen, obwohl das Land mittlerweile ein Nettoimporteur von Öl ist. Mulyani befürchtet, dass eine solche Maßnahme auch die Märkte für andere Rohstoffe beeinträchtigen und damit die weltweite wirtschaftliche Instabilität verschärfen könnte.

Während die Maßnahmen des Westens zur Erlangung der Kontrolle über den Ölmarkt kurz- und mittelfristig für einen starken Anstieg des Ölpreises sorgen dürften, könnten sie langfristig nachteilige strukturelle Folgen haben. Dazu gehört, dass sich Länder wie Russland, China, Indien und Saudi-Arabien um eigene Tankerflotten bemühen und einen eigenen Markt für die Versicherung von Schiffen aufbauen werden. Noch tiefgreifender dürfte die Perspektive sein, dass sich voraussichtlich zwischen großen Produzenten und wichtigen Verbrauchern wie Indien und China neue langfristige Vertragsverhältnisse bilden werden, die den traditionellen Lieferbeziehungen am Markt für Erdgas ähneln und Produzenten wie Nachfragern langfristige Preissicherheit geben.

Während sich die USA mit Erdöl – aber nicht mit Diesel – selbst versorgen können, wäre Europa von einer solchen Entwicklung erneut am härtesten betroffen, zumal die EU-Kommission in den vergangenen Jahren bei Erdgas daran gearbeitet hat, dass langfristige Verträge durch das kurzfristige Spiel von Angebot und Nachfrage auf den Märkten ersetzt werden. Es besteht also die Gefahr, dass sich Europa eines weiteren wichtigen Energieträgers entledigt.

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