Kurs der Osteuropabank Procredit ist Spielball des Kriegs
Von Jan Schrader, Frankfurt
Wenn zwei komplexe Phänomene aufeinandertreffen, ist die Verwirrung groß. Weder Kriege noch Börsenkurse verlaufen so, wie dies viele Beobachter erwarten. Die Frankfurter Bankengruppe Procredit, die kleine Unternehmen in Mittel- und Osteuropa bedient, ist als Geldhaus auch in der Ukraine präsent und steht seit dem Überfall Russlands auf das Land unter Druck. Während der Krieg die meisten Unternehmen lediglich indirekt betrifft – etwa über steigende Energiepreise oder Zinsen –, ist der Kriegsverlauf in der Ukraine für eine dort operierende Bank unmittelbar relevant.
Deutlich zeigt sich der Kriegsbeginn: Der Kurs der Procredit brach von Ende Januar, als ein Angriff Moskaus zunehmend wahrscheinlich schien, bis eineinhalb Wochen nach Kriegsbeginn am 7. März an der Börse in Frankfurt um 55 % auf 3,26 Euro ein. Dabei gab die Aktie auch stärker nach als das Papier der ungleich größeren österreichischen Rivalin Erste Group, die ebenfalls in etlichen Ländern in Mittel-, Ost- und Südosteuropa präsent ist, nicht aber in der Ukraine.
Die gesamte Procredit wies per Ende September einen Kreditbestand von insgesamt 6,3 Mrd. Euro aus. Noch zu Jahresbeginn betrug das Kreditportfolio in der Ukraine 757 Mill. Euro. Das Eigenkapital der Gruppe belief sich zum Quartalsende auf 893 Mill. Euro. Hätte Moskau die Hauptstadt Kiew erobert und das Land komplett unterworfen, wäre die Procredit vermutlich von den Besatzern enteignet worden und ein Totalausfall aller Kredite die Folge gewesen – mit weitreichenden Folgen für die Bankengruppe. Kein Wunder, dass der Kurs tief gefallen ist.
Seither besserte sich die Perspektive für die Bank. Die ukrainische Armee wehrte den Vorstoß Richtung Kiew erfolgreich ab, die russischen Truppen zogen sich Ende März aus dem Umland der Hauptstadt zurück. Es war dies eine schwere Niederlage für Russland. Ein Fortbestand der Bank in der Ukraine erscheint wahrscheinlich.
Keine Kurserholung
Doch der Kurs der Gruppe erholte sich trotzdem kaum und dümpelte über Monate um die Marke von 4 Euro. Am Donnerstag notierte die Aktie mit 3,62 Euro. Zwar sind die Risiken für die Bank in der Ukraine mitnichten gebannt: Etwa ein Zehntel der Kredite entfällt auch heute noch auf besetzte Gebiete im Osten und Süden des Landes und sind somit im Grunde ausgefallen. 73,1 Mill. Euro stellte die Bankengruppe allein für die Risikovorsorge in der Ukraine bis Ende September bereit. Bis Juli galt in der Ukraine wegen des Kriegs ein Kreditmoratorium. Die Bank zählt viele Kunden in der Landwirtschaft, die derzeit ihre Güter nicht wie zuvor exportieren können. Gründe für einen weiterhin niedrigen Aktienkurs gibt es also zuhauf. Doch gestaltet sich die Situation für die Bank-Tochter viel besser, als sie im Falle einer Niederlage der Ukraine gewesen wäre.
Die fehlende Erholung ab Ende März verblüfft. Zwar verzeichneten die Aktienmärkte im April insgesamt ähnlich wie auch Banktitel tendenziell weitere Kursverluste, so dass die Procredit nicht erneut negativ auffiel. Die Bankengruppe entschied sich im März allerdings dafür, auf eine Gewinnausschüttung im laufenden Jahr zu verzichten – eine Nachricht, die möglicherweise einer Erholung entgegenwirkte. Die spätere Publikation der Zahlen für das erste Quartal zeigte einen Verlust von 1,7 Mill. Euro. Und auch wenn das schlimmste Szenario für die Ukraine nicht eintrat, lief der Krieg erbarmungslos weiter. Die russische Armee führte fortan einen zermürbenden Artilleriekrieg im Osten des Landes. Somit zeichnete sich immer deutlicher ab, dass der Konflikt noch lange dauern würde. In ihrem Bericht für das erste Quartal wies die Bank auch auf die Risiken in Georgien und Moldawien hin, wo eine russische Aggression ebenfalls als möglich gilt.
Hinzu kommt, dass die Aktie in Frankfurt mit einem Börsenumsatz von durchschnittlich täglich rund 100000 Euro seit Jahresbeginn nur selten gehandelt wird – das schmälert die Aussagekraft des Kurses etwas. Der Streubesitz des Nischentitels ist mit 39% gering, wesentliche Eigner sind die KfW, die Weltbank-Tochter IFC, die Firma Zeitinger Invest und die niederländische Doen-Stiftung. Auch die Marktkapitalisierung ist mit zuletzt 213 Mill. Euro vergleichsweise niedrig.
Jenseits der Ukraine läuft es
Zugleich erholte sich die Procredit insgesamt. Die Gruppe zählt zwölf Banken und macht insbesondere in Serbien und Bulgarien viel Geschäft. Die Zinswende sorgte in vielen Märkten für höhere Erträge, der Zinsüberschuss kletterte gruppenweit um 31% auf 192,1 Mill. Euro. Kreditausfälle blieben jenseits der Ukraine weitgehend aus. In den neun Monaten bis Ende September erwirtschaftete die Gruppe einen Gewinn von 17,3 Mill. Euro.
Das Management arbeitete bisher daran, die Folgen eines etwaigen Ausfalls des Ukraine-Geschäfts auf die Bankengruppe zu begrenzen. Im August einigte sich die Gruppe mit einem wesentlichen Teil ihrer Anleihegläubiger: Bis Mitte 2024 gilt ein Zahlungsverzug oder eine Insolvenz der Ukraine-Tochter nicht mehr als ein Ereignis, das eine Rückzahlungspflicht der deutschen Holding an die Gläubiger auslöst. Im Gegenzug verpflichtet sich die Gruppe, das Risiko gegenüber der Procredit Bank Ukraine nur um bis zu 50 Mill. Euro zu erhöhen.
Doch anders als zu Beginn des Krieges sorgten die jüngsten Nachrichten nicht mehr für Turbulenzen. Anfang September befreite die ukrainische Armee im Nordosten des Landes weite Teile um die Stadt Charkiw, vor annähernd zwei Wochen zog sich die russische Armee aus der südlichen Stadt Cherson zurück. Zugleich bekräftige Russland seinen Kriegswillen durch Scheinreferenden in den besetzten Teilen der Ukraine und einer groß angelegten Mobilisierung weiterer Soldaten. Dass der Börsenkurs der Procredit nun nicht mehr so stark wie noch zu Kriegsbeginn reagiert, ist ein Zeichen dafür, dass Marktteilnehmer einen noch langen Kriegsverlauf erwarten.
Die wenigen Analysten, die das Institut bewerten, zeigen sich optimistisch. Pareto Securities und M.M.Warburg geben als Kursziel 8,00 Euro und 11,50 Euro an. Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 6,1 bezogen auf einen zurückliegenden Zeitraum von zwölf Monaten ist das Papier günstig bewertet. Ein rasches Kriegsende und ein Rückzug der russischen Besatzer wäre der Ukraine zu wünschen. Am Kapitalmarkt erwarten das leider nur wenige.