Volatilität

Kursrutsch, Abschwung und Hoffnung in China

Die Volatilitätskurve des China Hang Seng Enterprise Index ist invers. In der Vergangenheit leiteten ähnliche Inversitätslevel die Wende nach oben ein.

Kursrutsch, Abschwung und Hoffnung in China

Größer könnten die Divergenzen an den Börsen kaum sein. Während S&P500 und Co. von Rekord zu Rekord eilen, regieren an den Börsen in China und Hongkong die Bären. Noch im Februar wurde der Hang Seng China Enterprise Index (HSCEI) auf einem Dreijahreshoch gehandelt. In den folgenden sechs Monaten ging es um 30% nach unten. Selbst auf dem Höhepunkt des Covid-19-Ausverkaufs im März 2020 notierte der Index nur an einem einzigen Handelstag noch tiefer. Davor wurden solch niedrige Indexstände zuletzt im Jahr 2016 errechnet.

Gründe für diesen Ausverkauf gibt es freilich mehrere. Die zunehmende Regulierung des Bildungs- und Tech-Sektors hat viele Anlegerinnen und Anleger in die Flucht getrieben. Besonders deutlich wird das an den Indexschwergewichten Alibaba und Tencent. Hier liegen die Drawdowns seit Februar bei 44% beziehungsweise 47%. Dazu kommt der drohende Zahlungsausfall der China Evergrande Group. Mit einem Indexgewicht von 0,1% spielt die Aktie zwar nur eine untergeordnete Rolle. Es ist aber nicht unwahrscheinlich, dass der chinesische Immobilienentwickler nur die Spitze eines Berges an ausfallgefährdeten Krediten ist.

Es wird immer deutlicher, dass die Konjunktur im Reich der Mitte an Fahrt verliert. Zwar hat die Volkswirtschaft den Covid-19-Schock am schnellsten überwunden. Seitdem bröckeln die Wachstumsraten jedoch. In den ersten beiden Quartalen dieses Jahres lag das Quartalswachstum im Durchschnitt nur noch bei 0,85%. Zum Vergleich: In den fünf Jahren vor der Pandemie waren es im Durchschnitt 1,6%. Die kürzlich veröffentlichten Einkaufsmanagerindizes weisen in dieselbe Richtung. Mit einem Wert von 47,5 hat das Barometer für den Dienstleistungssektor den zweitniedrigsten Stand in seiner 14-jährigen Historie erreicht. Anders ausgedrückt: 175 Mal wurde der chinesische Einkaufsmanagerindex höher veröffentlicht als aktuell.

Günstige Bewertungen

Stellt sich zwangsläufig die Frage, was dies für die Unternehmen und deren Aktien bedeutet. Vom Covid-19-bedingten Einbruch haben sich die Gewinne der Unternehmen um mehr als 40% erholt. Der HSCEI-Index wird aktuell mit einem moderaten historischen Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 9,2 gehandelt. Das für die Zukunft erwartete KGV liegt minimal höher. Das Kurs-Buchwert-Verhältnis ist im August bis auf 0,9 gefallen. Das entspricht ziemlich genau dem Tiefstwert aus dem Jahr 2019. Noch weiter unter dem Buchwert notierte der Index lediglich während des Ausverkaufs 2016 sowie nach dem Platzen der Technologieblase. Im Nachgang der Finanzkrise endete der Ausverkauf dagegen fast exakt auf dem damaligen Buchwert.

Die Frage, welche potenziell weiteren negativen Entwicklungen in den Kursen bereits eingepreist sind und unter welchen Bedingungen die aktuellen Kurse bereits den Tiefpunkt darstellen, lässt sich nicht seriös beantworten. Zumindest über die Stimmung auf dem Parkett können die Volatilitäten zusätzlichen Aufschluss geben: Auffallend ist, dass die Volatilitätsstrukturkurve des HSCEI erneut invers ist. Die Profis erwarten kurzfristig also anhaltend hohe Schwankungen, rechnen mittelfristig jedoch mit einer Beruhigung. Die Inversität ist aktuell zwar deutlich weniger stark ausgeprägt als vor der dem positiven Stimmungsumschwung im März 2020. Allerdings leiteten ähnliche Inversitätslevel in den Jahren 2016 und 2018 die Wende nach oben ein. Die Skew ist aktuell ebenfalls überdurchschnittlich stark ausgeprägt. Damit werden für Optionen mit niedrigen Basispreisen, die typischerweise zu Absicherungszwecken eingesetzt werden, besonders hohe Volatilitätsaufschläge fällig. Die Tatsache, dass diese Aufschläge bezahlt werden, zeigt, wie hoch die Skepsis am Markt ist. Interessant ist, dass die Skew auch an den Wendepunkten 2016, 2018 und 2020 überdurchschnittlich ausgeprägt war. Ein Erklärungsansatz dafür könnte sein, dass hohe Skepsis fast grundsätzlich ein Kontraindikator ist. Gleichzeitig ist die Absicherungsaktivität dann bereits sehr hoch, so dass auch im fallenden Markt kaum noch Aktien verkauft werden, im steigenden Markt jedoch Absicherungspositionen geschlossen werden müssen. Die Volatilität sendet also erste positive Signale. Ein exaktes Timing oder Kursniveau für die Trendwende lässt sich jedoch nicht bestimmen.

Folgen für den Dax

Bleibt abschließend die Frage, was die chinesische Entwicklung für Deutschland und den deutschen Aktienmarkt bedeutet. Nach den USA ist China der zweitwichtigste Exportmarkt für deutsche Produkte. Wenn Chinas Wirtschaft leidet, leiden viele deutsche Unternehmen automatisch mit. Dies ist auch einer der Gründe, weshalb der Dax bei der Rekordjagd von S&P 500 und Co. zuletzt nicht mehr so recht mithalten konnte.

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