SERIE: ANLAGETHEMA IM BRENNPUNKT (13)

Langfristig orientierte Anleger gesucht

Börsen-Zeitung, 14.4.2018 Seit rund zwei Monaten herrscht am deutschen Aktienmarkt mal wieder Weltuntergangsstimmung. Gründe, die viele Anleger beunruhigen, gibt es einige: Ein unberechenbarer US-Präsident, geopolitische Spannungen, der globale...

Langfristig orientierte Anleger gesucht

Seit rund zwei Monaten herrscht am deutschen Aktienmarkt mal wieder Weltuntergangsstimmung. Gründe, die viele Anleger beunruhigen, gibt es einige: Ein unberechenbarer US-Präsident, geopolitische Spannungen, der globale Handelskonflikt, die Sorge um die deutsche Automobilindustrie, ein zu fester Euro, das Ende der ultralockeren Geldpolitik, aufkommender Inflationsdruck etc.Als professioneller Investor ist man gut beraten, Risiken genau zu analysieren und negative Trends zu beobachten. Mindestens genauso wichtig ist es aber auch, sich mit den Chancen der Aktienanlage zu beschäftigen. Die fundamentale Lage scheint nämlich aktuell deutlich besser als die negative Stimmung am deutschen Aktienmarkt.Die Weltwirtschaft wächst in nahezu allen Regionen so stark wie seit vielen Jahren nicht mehr. Trotz eines stärkeren Euro – gerade im Vergleich zum US-Dollar – entwickeln sich die deutschen Exporte weiterhin positiv. Hinzu kommt hierzulande eine gute Binnenwirtschaft, die von positiver Konsumstimmung und einem robusten Arbeitsmarkt angetrieben wird. Die anhaltend hohe Kapazitätsauslastung und der technologische Wandel haben zudem zu einer erhöhten Investitionsbereitschaft der Unternehmen geführt. Das Thema Digitalisierung ist in aller Munde. Manche behaupten, deutsche Unternehmen hätten sie komplett verschlafen. Unsere Erfahrungen als Investoren bestätigen oftmals das Gegenteil. und man kann nur mit Verwunderung feststellen, dass die Marktkapitalisierung der 30 Dax-Unternehmen gerade mal so groß ist wie die von Amazon und Apple. Auch die deutsche Automobilindustrie erscheint uns deutlich besser als ihr angeschlagener Ruf. Hersteller und Zulieferer erzielten im abgelaufenen Geschäftsjahr absolute Rekordgewinne und verfügen zudem über solide Bilanzen. Wenn in Zukunft alle Beteiligten aus Wirtschaft, Politik und Gewerkschaften an einem Strang ziehen, sollte in dieser deutschen Schlüsselbranche der technologische Wandel gelingen und sogar aktiv gestaltet werden können. KGV von 12 für den DaxGlaubt man den nicht allzu optimistischen Schätzungen der Analysten und unseren eigenen eher konservativen Berechnungen, so handeln die Aktien der 30 Dax-Konzerne im Durchschnitt auf einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von lediglich 12 (basierend auf den Gewinnschätzungen für die nächsten zwölf Monate). Auch die Gewinnausschüttungen sind in letzter Zeit deutlich gestiegen, so dass die Dividendenrendite vieler Aktien oft 3 % bis 4 % beträgt. Einige Nebenwerte aus MDax, SDax oder TecDax sind sicherlich schon stark gestiegen und erscheinen teils stolz bewertet. Andererseits weisen diese Unternehmen meist ein fokussiertes Geschäftsmodell mit Wettbewerbsvorteilen und ein dementsprechend höheres Gewinnwachstum auf. Deutschland wird nicht umsonst von vielen Seiten um seinen Mittelstand als Rückgrat der Wirtschaft beneidet. Somit erscheinen deutsche Aktien im Vergleich zu manch anderen Anlageklassen und insbesondere dem immer noch geliebten Sparbuch durchaus attraktiv. Das A und O bei der Aktienanlage bleibt: Anleger müssen in der Lage sein, kurzfristige Schwankungen, wie wir sie aktuell wieder erleben, auszuhalten. Für Anleger, die ihr Vermögen vor Inflation schützen und im Idealfall steigern möchten, führt angesichts niedriger Zinsen langfristig an Aktien kein Weg vorbei. Während diese Erkenntnis bei vielen ausländischen Anlegern längst gereift ist, mangelt es leider weiterhin in Deutschland an einer ausgeprägten Aktienkultur. Trotz erfolgreicher Wirtschaft nutzen wir in Deutschland den Aktienmarkt nicht in ausreichendem Maße. Ändert sich dies nicht bald, könnte Deutschland im Zuge des verschärften globalen Wettbewerbs eventuell nicht mehr Schritt halten. Zudem könnten die Probleme bei der Altersvorsorge weiter zunehmen.Immerhin ist die Zahl der Aktionäre und Besitzer von Aktienfondsanteilen im Jahr 2017 laut DAI (Deutsches Aktieninstitut, Pressemitteilung vom 19. Februar 2018) um fast 1,1 Millionen auf rund 10 Millionen angestiegen. Dies bedeutet, dass ungefähr jeder Sechste in Deutschland oder 15,7 % der Bevölkerung die Zeichen der Zeit erkannt haben. Trotzdem ist die Aktienkultur im Vergleich zu Ländern wie der Schweiz, England, Schweden und den USA deutlich unterentwickelt. Was kann also getan werden? Wie kann die Bereitschaft der Anleger gesteigert werden, im Rahmen einer langfristigen Altersvorsorge nationalen Unternehmen Eigenkapital bereitzustellen für Investitionszwecke, die Schaffung von Arbeitsplätzen und das Vorantreiben von Innovationen?Insbesondere Menschen mit geringerem Einkommen und jüngere Teile Bevölkerungen müssen hierbei berücksichtigt werden. Unsere neue Bundesregierung sollte zügig für entsprechende Rahmenbedingungen sorgen. Zum einen sollte die ökonomische Bildung in deutschen Schulen verbessert und das Fach Wirtschaft möglichst bundesweit eingeführt werden. Zum anderen müsste einer breiteren Bevölkerungsschicht durch staatliche Förderprogramme langfristiger Vermögensaufbau ermöglicht werden. Staatliche FörderungErste Erfolge bei der Stärkung der Aktienkultur sind immerhin beim Thema Börsengänge zu beobachten. Die Deutsche Börse hat bereits einige Initiativen wie beispielsweise das neue Börsensegment “Scale” angestoßen, damit mehr Unternehmen in Deutschland von den Vorteilen eines Börsenganges profitieren können.Die staatliche Förderung eines aktienbasierten Vermögensaufbaus und steuerliche Anreize bei der Altersvorsorge könnten weitere sinnvolle Maßnahmen zur Stärkung der nationalen Aktienkultur darstellen. Hierbei wurde in jüngster Zeit über einen deutschen Staatsfonds nachgedacht, da dieser mehr Vertrauen genießen könnte und niedrigere Gebühren aufweisen sollte. Diese Idee ist sicherlich begrüßenswert, wenn dieser Fonds im fairen Wettbewerb mit Produkten der Finanzindustrie bleibt. Zudem gilt es, die treuhänderischen Pflichten gegenüber den Anlegern als oberstes Gebot zu berücksichtigen und Regeln der nachhaltigen Geldanlage in Bezug auf ESG-Themen (Umweltschutz, soziale Aspekte und gute Unternehmensführung) zu befolgen.Alles, was der Stärkung der Aktienkultur dient, kann nur in unser aller Interesse liegen. Ein zukunftsfähiges Deutschland benötigt eine starke Wirtschaft, deren börsennotierte Unternehmen in festen, langfristig orientierten Anlegerhänden liegen. Schwankungen wird es sowohl in der Wirtschaft als auch an den Börsen immer wieder geben. Diese lassen sich aber besser aushalten, wenn nervenstarke Anleger langfristig orientierten Vermögensaufbau zur Altersvorsorge betreiben.—-Tim AlbrechtLeiter DACH Aktien, DWS