Anleihemarkt

Lockruf der Staatsbonds aus China

Der Investmentmanager Franklin Templeton erwartet einen enormen Bedeutungszuwachs chinesischer Staatsanleihen in den kommenden Jahren. Denn Chinas Volkswirtschaft wird bis 2035 zur größten weltweit avancieren. Der Anleihemarkt lockt Anleger mit attraktiven laufenden Verzinsungen.

Lockruf der Staatsbonds aus China

kjo Frankfurt

Chinas Staatsanleihemarkt bietet in den nächsten Jahren ein enormes Potenzial. Deshalb raten die Kapitalmarktexperten von Franklin Templeton internationalen Investoren dazu, chinesische Staatsanleihen in global ausgerichtete Portfolios aufzunehmen. Die nach der globalen Finanzkrise eingeführten Reformen und eine Reihe neuer Leitlinien zielen allesamt darauf ab, dass China bis zum Jahr 2035 zur größten Volkswirtschaft der Welt wird. Das bedeutet für den Staatsanleihemarkt im Reich der Mitte einen entsprechenden Stellenwert. Das geht aus einer Studie des Investmentmanagers Franklin Templeton hervor, die der Börsen-Zeitung exklusiv vorliegt.

In einem turbulenten Jahr für globale Anleihen bot China Anlegern 2020 eine erfreuliche Alternative, heißt es bei Franklin Templeton. Die Rendite zehnjähriger chinesischer Staatsanleihen erreichte 3,3%. Zum Vergleich: Die Bundesanleihen gleicher Laufzeit lagen bei Renditen von minus 0,5% und stiegen dieses Jahr bis auf knapp über minus 0,1%. Aktuell rentieren sie wieder mit um die minus 0,5%. Beflügelt durch die robuste Wirtschaft und die bessere Verfassung der Währung hätten chinesische Staatsanleihen 2020 global betrachtet attraktive Gesamterträge erzielt. Eines der wichtigsten Ziele der chinesischen Regierung für dieses Jahrzehnt sei es gewesen, zum dominanten Akteur auf der internationalen Bühne zu avancieren. Im Jahr 2000 lag der chinesische Anleihemarkt gemessen an seiner Größe deutlich abgeschlagen hinter Industrieländern wie Japan und den USA. Heute rangiert er an zweiter Stelle hinter dem US-Markt.

Niedrige Korrelation

Vor dem trüben Hintergrund niedriger oder negativer Renditen von traditionell als sicher geltenden An­leihen wie US-Staatsanleihen (Treasuries) oder Bundesanleihen bieten Chinas Staatsanleihen gemäß Analyse des Investmentmanagers eine al­ternative Möglichkeit zur Diversifikation eines globalen Portfolios. „Chinesische Staatsanleihen weisen höhere Renditen als Anleihen aus Industrieländern sowie eine geringere Volatilität im Vergleich zu Schwellenländeranleihen auf. Über die vergangenen zehn Jahre erzielten sie dadurch hohe risikobereinigte Renditen bei einer niedrigen Korrelation“, hält Tracy Chen, Portfoliomanagerin bei Franklin Templeton, fest.

Aus globaler Sicht dürften chinesische Staatsanleihen mittlerweile den Industrienationen näherstehen als den Schwellenländern, heißt es weiter. In diese Kategorie wurden sie in der Vergangenheit zumeist eingeordnet. Es gebe allerdings mehrere wichtige Trends, die sich auf die größten entwickelten Anleihemärkte der Welt auswirkten. Dadurch nehme die Möglichkeit ab, Portfolios in Zeiten mit einer geringen Risikobereitschaft abzusichern.

Im Blick haben die Experten auch die Öffnung des chinesischen Onshore-Marktes, quasi ein Big Bang für den globalen Anleihemarkt. „Dieser Schritt dürfte in seiner Bedeutung dem Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation WTO im Jahr 2001 gleichkommen. Angesichts des strukturell bedingt rückläufigen Leistungsbilanzüberschusses muss China mehr Kapital aus dem Ausland anziehen, um das künftige Wachstum zu finanzieren, die Wertschöpfungskette im verarbeitenden Gewerbe zu mo­dernisieren und seine Währung weltweit voranzubringen“, führt Chen aus. China versuche, die Ausrichtung der Wirtschaft auf ein ex­portgestütztes Wachstum zu reduzieren, und diese Öffnung könnte den ausländischen Anlegern am On­shore-­Anleihemarkt zugutekommen.

Hohe Schuldenlast

Auf die globale Finanzkrise seien mehrere Runden der quantitativen Lockerung durch die großen Zentralbanken der Welt zur Unterstützung der globalen Wirtschaft gefolgt. Dadurch seien die Schulden weltweit explodiert, die Konjunkturentwicklung sei jedoch weiter verhalten ausgefallen, und es habe sich – mancherorten – eine hartnäckige Deflation eingenistet. „Aufgrund struktureller Faktoren wie der hohen Schuldenlast, der alternden Bevölkerung sowie der anhaltenden Deflation sind die Anleiherenditen stetig zurückgegangen“, sagt Chen. Daher bieten Anleihen im Umfang von mehr als 13 Bill. Dollar (mehr als 83,8 Bill. Renminbi) nun negative Renditen. Angesichts der niedrigen Nominalrenditen und der bereits negativen Realrenditen lassen sich Portfolios in von Risikoaversion geprägten Zeiträumen nicht mehr durch die traditionell als sichere Häfen angesehenen Papiere wie US-Treasuries, Bundesanleihen, japanische Staatsanleihen und britische Staatstitel (Gilts) absichern. „Das vorherrschende Mantra der über einen längeren Zeitraum niedrigeren Zinsen stellt zudem eine enorme Herausforderung für die auf Renditen angewiesenen Pensionskassen und Versicherungsgesellschaften dar“, so Chen weiter.

Der Covid-19-Schock habe diesen Trend noch verschärft, was massive geld- und fiskalpolitische Unterstützung auf der ganzen Welt nach sich gezogen habe. Die wichtigen Zentralbanken hätten ihre Leitzinsen gesenkt, die quantitative Lockerung wieder hervorgeholt und sogar unkonventionelle oder neue Taktiken erprobt. Dazu zähle die Kontrolle der Zinskurve, die moderne Geldtheorie sowie eine Ausrichtung auf die durchschnittliche Inflation, um die Finanzmärkte zu unterstützen und weitere fiskalische Stimuli zu finanzieren. „Diese Marktinterventionen sind mittlerweile nicht mehr die Ausnahme, sondern zur Norm geworden. Dadurch werden die Bewertungen von Staatsanleihen verzerrt oder gesenkt. Die Rolle, die Anleiherenditen als Indikatoren für die Gesamtwirtschaft und als Maß für den echten Puls der Konjunktur gespielt haben, gibt es indes nicht mehr“, sagt Chen.

Da die Zentralbanken ihre Programme zur quantitativen Lockerung untereinander koordinierten, hätten auch die Korrelationen zwischen den einzelnen Staatsanleihenmärkten zugenommen. Dadurch werde es für Anleiheinvestoren schwieriger, ihre Bondrisiken zu diversifizieren. Für Regierungen seien diese Interventionen möglicherweise mit der unerwünschten Folge einer zyklisch anziehenden Inflation verbunden, was eine deutliche Versteilerung der Zinskurven auslöse. Darüber hinaus seien Regierungen mit finanziellen Risiken konfrontiert. „Und zu guter Letzt werden die unermüdliche Unterstützung der Wirtschaft und die Schuldenexplosion eines Tages ihren Tribut fordern. Hierbei sticht jedoch eine Regierung als Ausnahme hervor: China.“

China hat laut Franklin Templeton den Covid-19-Ausbruch erfolgreich eingedämmt. Das habe der chinesischen Zentralbank (People’s Bank of China, PBoC) die Freiheit gegeben, ihre Konjunkturunterstützung disziplinierter und maßvoller umzusetzen als ihre Pendants (vgl. Grafik). Die PBoC habe bereits im Vorjahr die Normalisierung ihrer Geldpolitik in Gang gesetzt. Zum Höhepunkt der Pandemie erreichten die Renditen der zehnjährigen Staatsanleihen Chinas im April 2020 bei 2,4% ihren Tiefpunkt. Seitdem stiegen sie wieder auf das vor Covid-19 verzeichnete Niveau von gut 3%. „Aufgrund der rationaleren geldpolitischen Haltung der PBoC werden chinesische Staatsanleihen zunehmend attraktiver, auch als potenzielle Alternative zu Safe-Haven-Anlagen“, so Chen.

Wachstum kühlt ab

Die Renditen der zehnjährigen chinesischen Staatsanleihen würden dem Trend der rückläufigen Renditen nun schon seit einer Weile trotzen. Weltweit gehen die Renditen von Staatsanleihen der Industrieländer deutlich zurück und liegen über weite Laufzeitenbänder der Renditestrukturkurve im Null- oder Negativrenditebereich. „Die Renditen zehnjähriger Anleihen verharren weitgehend auf ihrem Stand von 2006, also im unteren bis mittleren Bereich von 3%. Und das, obwohl sich die Konjunktur Chinas in diesem Zeitraum von zweistelligen Wachstumsraten auf den mittleren einstelligen Bereich abgekühlt hat“, so Chen. Im Gegensatz dazu seien die Renditen der Staatsanleihen von Industrieländern wie den USA, Großbritannien, Japan und Deutschland seit 15 Jahren ununterbrochen rückläufig.

Im Gegensatz zu ihren Pendants aus den Industrienationen sei die Korrelation zwischen chinesischen Staatsanleihen und der Wachstumsrate nicht sonderlich hoch. Dieser Unterschied liege in der einmaligen Quasi-Geldpolitik Chinas begründet. Diese ist stärker durch die Liquidität getrieben – Steuerung der Kreditmenge –, welche die PBoC in den Wirtschaftskreislauf injiziert, und nicht durch den Preis (z. B. Zinsen).

Globale Anleiheanleger müssen nach Ansicht von Franklin Templeton nun abwägen, welches der beiden Szenarien wahrscheinlicher ist: dass die Bondrenditen in den Industrieländern anziehen und sich wieder jenen in China annähern oder dass die chinesischen Staatsanleihen nach unten in den Bereich mit niedrigen Renditen gezogen werden. „Aus struktureller Sicht erwarten wir aufgrund der hohen Schuldenlast, der alternden Bevölkerung und der deflationären Kräften nicht, dass sich China der Tendenz in Richtung Nullzinsen dauerhaft widersetzen kann“, meint Chen. J.P. Morgan Research zufolge sei China derzeit das einzige Land mit einem Schuldenstand (Verschuldung/BIP) von mehr als 250% des BIP, das immer noch einem Zinssatz von 0% trotzt. „Bei dieser Ausnahme wird es jedoch nicht für immer bleiben“, sagt Chen. Die Verschuldung Chinas liege bei knapp 300% des BIP. Rund 70% der gesamten gesellschaftlichen Finanzierung (Total Social Financing, TSF) würden für Zinszahlungen aufgewendet. „Daher glauben wir, dass sich China keine höheren Zinsen leisten kann. Über die kommenden Jahre hinweg sollten die Zinsen nachgeben und sich der Marke von 0% annähern“, so die Prognose von Chen.

Bevor China seinen lokalen Anleihenmarkt geöffnet habe, hätten viele globale Investoren Schwellenländeranleihen von rohstoffexportierenden Staaten als Proxy für Chinas beeindruckendes Wachstum genutzt. Im Zuge der neuen Zugangskanäle für ausländische Investoren – China Interbank Bond Market (CIBM) im Jahr 2016 und Bond Connect im Jahr 2017 – haben sich laut Franklin Templeton die Kapitalzuflüsse aus dem Ausland im Jahr 2019 beschleunigt, als lokale Anleihen aus China in den Bloomberg Barclays Global Aggregate Index aufgenommen wurden; 2020 folgte der J.P. Morgan Government Bond Emerging Market Index. Und im Oktober 2021 stehe die Aufnahme chinesischer Anleihen in den FTSE World Government Bond Index bevor. Bisher seien die Reserveverwalter der Zentralbanken und Staatsfonds, die eine breitere Renditestreuung anstreben, die wichtigsten ausländischen Investoren am chinesischen Onshore-Markt. „Wir schätzen jedoch, dass die Aufnahme in die Indizes in den nächsten zwei bis drei Jahren zu Kapitalzuflüssen aus dem Ausland von bis zu 400 Mrd. Dollar – rund 2,6 Bill. Renminbi – in chinesische Anleihen führen könnte. Damit würden auch aktive, substanzorientierte Anleiheinvestoren durch die höheren Renditen in China angezogen“, heißt es weiter.

Kräftige Zuflüsse

Die Öffnung Chinas sei strategischen Faktoren geschuldet. Es sei eine natürliche Weiterentwicklung der Neuausrichtung von einer schuldengetriebenen Modernisierung und einem exportorientierten verarbeitenden Gewerbe hin zu einem stärker organischen Wachstum durch chinesische Innovationen und eine Wirtschaft, die auf den Binnenkonsum ausgerichtet sei. „Angesichts der Wachstumsprobleme durch die Alterung der Bevölkerung, die ineffiziente Allokation von Kapital und ein widriges geopolitisches Umfeld, das Exporte beschränkt, muss China seine Finanzmärkte reformieren, um die Kapitalallokation zu optimieren. Falls es China nicht gelingen sollte, die Produktivität zu steigern und mit anderen Ländern in den Branchen mit höherwertigen Wertschöpfungsketten zu konkurrieren, könnte das Reich der Mitte in einer ‚Middle Income Trap‘ stecken bleiben“, so die Experten. Ungeachtet der kräftigen Portfoliozuflüsse aus dem Ausland im Vorjahr seien die chinesischen Finanzmärkte nach wie vor relativ isoliert vom globalen Kapital. Einem Bericht von FTSE Russell aus dem Juli 2020 zum chinesischen Anleihenmarkt zufolge konzentriere sich das ausländische Eigentum vor allem auf Staatsanleihen.

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