Luftnummer oder Ende der Krise
Von Stefan Salomon*)
Die Marktteilnehmer haben es derzeit nicht leicht. Sehr hohe Inflationsdaten, ein Krieg in Europa, dazu nun auch noch ein Lockdown in Schanghai und ein schwacher Ifo-Index sowie deutlich steigende Zinsen. All diese Faktoren zusammengenommen müssten zu einer Rezession führen – und zu einer anhaltenden Baisse an den Aktienmärkten. Doch der Deutsche Aktienindex zeigt „Nehmerqualitäten“.
Nach dem im Februar 2022 durchaus sehr einfach zu handelnden da auch aussagekräftig zu prognostizierenden Ausbruch aus der rund einjährigen Range zwischen rund 16000/16300 Punkten als Widerstandszone sowie einem Niveau von circa 15000/14800 Punkten als Unterstützungszone mit einem Ziel von bis zu 12400 Punkten setzte der Markt zu einer Erholung an. Ein Kursziel nach unten resultierte einerseits aus der nach unten abgetragenen Schwankungsbreite der verlassenen Range und somit einem Ziel von rund 14000 bis 13700 Punkten – und andererseits bei Unterschreiten der letztgenannten Marke war die langfristige Aufwärtstrendlinie, die seit dem Jahr 2016 konstruiert werden kann, als Kursziel zu benennen. Dabei war der „Corona-Crash“ als Bärenfalle, als Marktbereinigung zu interpretieren und trübt die Aussagekraft der Aufwärtstrendlinie nicht ein. Letzten Endes wurde die Aufwärtstrendlinie knapp erreicht und mit der nachfolgend einsetzenden Erholung als solche bestätigt.
Weiterhin langfristig bullish
Per Definition ist somit der Deutsche Aktienindex weiterhin bullish im langfristigen Bild zu betiteln. Der Aufwärtstrend ist intakt und wurde mit einem vierten Berührungspunkt bestätigt. Die sehr kräftige Erholung in den jüngsten Handelswochen stellt sich gegenwärtig in den kurzfristigen Zeitebenen, den Tageskerzen, gar als mögliche „V-Formation“ dar. Eine solche Trendwendeformation tritt nach einem längeren Abwärtstrend auf. Der Charakter der Formation sind panikartige Verkäufe ohne echten fundamental nachvollziehbaren Grund bei Aktien – mit anschließend ebenso schneller Erholung. In der Regel folgt auf eine erste Erholung eine kurze volatile Pause – eine sogenannte Plattform. Ein Ausbruch aus der Plattform nach oben vollendet sodann die V-Formation und die Trendwende ist perfekt. Im vorliegenden Fall des Deutschen Aktienindex hingegen fehlt lediglich ein längerer Abwärtstrend. Doch Panik in der Abwärtsbewegung war vorhanden. Doch die Chartanalyse fußt nicht auf einem Faktor allein – die Gesamtbetrachtung ist relevant. Die hier vorliegende V-Formation ist nicht ideal, die Aussagekraft daher eingeschränkt und kann statistisch nicht hinreichend klar untersucht werden. Vor allem fungiert nun die vorherige Unterstützungszone zwischen rund 15000 bis 14800 Punkten als kräftige Widerstandszone. Für eine echte Aufhellung müsste der Markt diese Zone nach oben überwinden. Erst dann wäre die Aufhellung nachhaltig und selbst ein Anstieg an die Jahreshochs 2021 und 2022 wäre sodann möglich. Fundamental scheint ein solches Szenario nur möglich, sofern sich die Krisen abschwächen und die Börsianer Hoffnung schöpfen auf eine neue Normalität.
V-Formation nicht ideal
Für ein eher negatives Szenario spricht noch die sehr übergeordnete Zeitebene der Monatskerzen. Denn im Februar 2022 hat der Deutsche Aktienindex mit einer längeren schwarzen Monatskerze die vorherige einjährige Range nach unten verlassen – die Range muss daher als Gipfel interpretiert werden, solange nicht ein Rebreak der 15000er-Marke erfolgt. Charttechnisch kann daher noch keine echte Entwarnung gegeben werden. Die V-Formation ist nicht ideal, die gegenwärtige Erholung könnte sich noch als bloße technische Gegenbewegung, als Pullback erweisen. Vor allem ein nochmaliger Rutsch unter die runden 14000 Punkte wäre ein negatives Signal und würde einen Pullback als wahrscheinliches Szenario andeuten.
Zinsen als Warnsignal
Zudem zeigen sich steigende Zinsen als weiteres Warnsignal für den Deutschen Aktienindex. So ist der Bund-Future aus einem sehr langfristigen Dreieck nach unten herausgefallen. Hieraus ergaben sich schon im Januar 2022 Kursziele in Richtung 160 bis 158%. Diese Ziele sind aktuell deutlich unterschritten worden. Der Bund-Future ist mit einem Kurs von knapp unter 157% auf Tauchstation. Die Renditen der Bundesanleihen ziehen an. Da aus charttechnischer Perspektive auch bislang keinerlei Bodenbildung im Bund-Future zu erkennen ist, könnten die Zinserwartungen weiter ansteigen – mit entsprechend negativen Folgen für die Aktienmärkte.
Noch im Aufwärtstrend
Als Fazit darf festgehalten werden, dass der Deutsche Aktienindex zwar noch im langfristigen Aufwärtstrend verläuft. Doch das Risiko, dass es 2021 eine Gipfelbildung gegeben hat, ist vorhanden. Der Ausbruch aus der einjährigen Range unter 15000/14800 Punkten ist noch aktiv und negativ zu werten. Ein Rebreak dieser Zone hingegen würde die Chartsituation aufhellen. Ein nochmaliger Rutsch unter die runde Marke von 14000 Punkten hingegen wäre negativ und würde die aktuelle Erholung als Strohfeuer entpuppen.
*) Stefan Salomon ist freiberuflicher Chartanalyst www.candlestick.de.