Lukratives Lehrgeld auf dem Cyber-Campus
“Bildung kommt von Bildschirm und nicht von Buch, sonst hieße es ja Buchung”, kalauerte einst Dieter Hildebrandt. Hätte der 2013 verstorbene Kabarettist doch noch erfahren können, wie sehr ihm die Coronavirus-Pandemie Recht geben sollte. Denn viele Menschen haben den Lockdown der vergangenen Monate dazu genutzt, sich weitere Qualifikationen anzueignen; aufgrund der Social-Distancing-Maßnahmen online auf dem Cyber-Campus. Dies hat den Kursen der Bildungsunternehmen wie schon regelmäßig in der Vergangenheit abermals zu antizyklischen Höhenflügen verholfen. Daneben werden diese Firmen künftig wohl aber auch von längerfristigen Trends profitieren. 6 Bill. Dollar schwerMit rund 6 Bill. Dollar hatte das Geschäft mit der Bildung nach Berechnungen von HolonIQ schon 2018 den Umfang des globalen Automobilmarkts erreicht. Bis 2025 erwartet der Brancheninformationsdienst einen Anstieg auf knapp 8 Bill. Dollar, weitere fünf Jahre später sollen es dann bereits 10 Bill. Dollar sein. Damit wäre der Markt für Bildung zu Beginn der kommenden Dekade bereits rund 1 Bill. Dollar größer als das Geschäft mit dem Automobil. Überproportionales Wachstum prognostiziert HolonIQ dabei für die sogenannten Edtechs, deren Anteil an den weltweiten Bildungsausgaben von 2,6 % 2018 auf 4,4 % 2025 steigen soll. Edtechs, das englische Kürzel für Unternehmen aus der Bildungstechnologie, verpacken auf digitalen Plattformen Inhalte und Didaktik in Software, die sie Lernenden online zugänglich machen. Pandemie als KatalysatorDer Großteil der Technologie der Edtechs ist zwar schon seit Jahren ausgereift, kam bislang aber aufgrund von Trägheit und Unwissen der Entscheider sowie von Budgetrestriktionen nur in Nischen zum Einsatz. Durch den Katalysator der Coronavirus-Pandemie hat sich die Situation grundlegend geändert. Dies gilt vor allem für die Vereinigten Staaten, wo weltweit am meisten Geld pro Kopf für Bildung ausgegeben wird. Dort zeichnet sich ab, dass in wichtigen Bundesstaaten auch zu Beginn des Herbstsemesters noch viele Schulen und Universitäten geschlossen sein werden, weshalb der Unterricht weiterhin online stattfinden muss. Und vor allem an den zahlreichen privaten Einrichtungen wird es dann nicht mehr reichen, weiter auf Behelfslösungen wie Zoom zu setzen. Vielmehr werden die mit ordentlichen Gebühren zur Kasse gebetenen Eltern nahtlos in das gesamte pädagogische Setup integrierte Lösungen für das E-Learning fordern, mit denen sich dieselben Ergebnisse wie bei einer Anwesenheit vor Ort erzielen lassen. Und das mit Recht. Denn der kritische Punkt für den Erfolg ist das Engagement, also die Motivation der Lernenden, beim Unterricht mitzumachen. In einer Klasse mit einem anwesenden Lehrenden ist das vergleichsweise einfach. Doch welche Eltern haben Zeit und Muße, sich acht Stunden am Tag neben das Kind vor den Computer zu setzen und es anzuspornen? Hier sind kreativere Lösungen wie beispielsweise Gamification gefragt, wobei Lerninhalte spielerisch verpackt werden. Und es gibt einen guten Grund anzunehmen, dass Schulen und Universitäten danach streben, diese Fähigkeiten auch nach der Coronavirus-Pandemie zu behalten und auszubauen: Viele Einrichtungen sehen ihre Widerstandsfähigkeit gegen solche Krisen nämlich als Vorteil im Wettbewerb um die Studiengebühren der künftigen Lernenden.Und dieses Ringen um Eleven hat in den vergangenen Jahren in den USA an Intensität gewonnen. Denn für die Kinder einer zunehmend finanziell ausgezehrten Mittelschicht ist das Leben auf dem Campus immer unerschwinglicher geworden, was an zahlreichen Universitäten zu einem Rückgang der Studierendenzahl geführt hat. Daher gehen viele Einrichtungen jetzt Bündnisse mit Edtechs ein, die komplementäre digitale Angebote entwickeln. Dabei gestalten diese Online-Programme-Management-Unternehmen nicht nur das komplette digitale Curriculum zusammen mit der Universität, sondern sie übernehmen auch das Marketing, die Abwicklung der Immatrikulationen und die Betreuung der Interessenten. Unter dem Strich führen die somit wieder steigenden oder zumindest nicht weiter zurückgehenden Studierendenzahlen zu einer verbesserten Einnahmenseite bei den Bildungseinrichtungen.Ganz anderer Natur sind die Wachstumstreiber für den Bildungsmarkt in den Schwellenländern. So werden für die Jahre 2015 bis 2030 allein in Brasilien, China und Indien mehr als 50 Millionen potenzielle Studierende erwartet. Solch ein Andrang ließe sich mit der Bildungsinfrastruktur, über die diese Länder derzeit verfügen, nicht annähernd auffangen. Kein Wunder also, dass die Regierungen für die Studierendenflut lieber zusätzliche Universitäten aus Bits und Bytes als aus Stahl und Beton bereitstellen. In Asien sorgt daneben der explodierende Nachhilfebedarf für florierende Geschäfte sowohl bei digitalen als auch analogen Anbietern.In China etwa nehmen circa 26 % der Lernenden vor der Universität solche Offerten in Anspruch. Der wichtigste Treiber für das dortige Geschäft ist das rigorose Zulassungsverfahren für die Universitäten, das die akademische Performance zum alleinigen Maßstab macht. Im Jahr 2017 etwa haben rund 13 Millionen Lernende die Schulen des Landes absolviert, rund 9,4 Millionen davon waren im Besitz des Gao Kao, das den Eintritt in das Studium ermöglicht. Von diesen 9,4 Millionen wurden dann lediglich 3,7 Millionen tatsächlich an Universitäten zugelassen, gerade mal 1,2 Millionen schafften es auf die angesagten Tier-1-Institutionen. Dort herrscht also ein unfassbarer Leistungsdruck, für den die Lernenden durch Nachhilfe fit gemacht werden sollen. Während des Lockdowns haben sich zahlreiche Menschen nicht nur weitergebildet, sondern auch den Aktienmarkt für sich entdeckt. In den USA hatte dies auch etwas mit den großzügigen Zuschüssen der Regierung zu tun, mit denen sich trefflich an den Börsen spekulieren ließ. Dies hat – zusätzlich begünstigt von Social-Trading-Mechanismen – auch die Bewertungen vieler Bildungsunternehmen weit nach oben getrieben. Doch es gibt auch eine gute Nachricht: Firmen mit Wurzeln im Print-Bereich aus den USA oder Europa, deren Geschäftsmodell sich gerade von analog zu digital wandelt, sind bei weitem noch nicht so teuer. Darüber hinaus könnten sich die Profiteure der Konsolidierung am chinesischen Bildungsmarkt als lukrativ erweisen. Dort folgt nämlich die Entwicklung von Industrien einem Muster: Zunächst entsteht dank staatlicher Förderung eine Vielzahl von Start-ups, die Technologien bis zur Marktreife entwickeln und bis zu einer gewissen Größe wachsen. Anschließend wird die jeweilige Branche vor allem durch staatliche Regulierung auf wenige Spieler konsolidiert.Die Überlebenden werden also nicht nur so schnell wie der chinesische Nachhilfemarkt wachsen, der bis 2023 Jahr für Jahr zwischen 9 % und 10 % zulegen sollte, sondern zusätzlich noch den Gewinn von Marktanteilen verbuchen können. Hinzu kommt, dass nur sie in der Lage sein dürften, Kapital und Know-how für den Ausbau der digitalen Komponente aufzubringen, womit sie analogen Anbietern zusätzliche Kunden abspenstig machen können. Und das Wachstum der Online-Komponente dürfte bis 2023 sogar bei jährlich 37 % liegen. Diese Prognose stammt jedoch noch aus der Zeit vor der Coronavirus-Pandemie und könnte sich daher als zu konservativ erweisen. Paul Buchwitz, Fondsmanager des DWS Invest SDG Global Equities, DWS