„Man muss jetzt selektiver werden“
Christopher Kalbhenn.
Frau Sundstrom, wie beurteilen Sie die aktuelle Lage der Wirtschaft? In welcher Phase des Zyklus befindet sie sich?
Wir kommen aus einer Lockdown-Rezession, sind also in einer Situation, für die es keinen Präzedenzfall gibt. Die Meinungen darüber, wo im Zyklus wir jetzt sind, gehen auseinander. Wir bei Pimco glauben, dass wir uns in der Mitte des Zyklus befinden. Der aktuelle Konjunkturzyklus ist recht schnell. Immerhin waren wir vor kurzem noch in der Rezession. Aber auch die Erholung ist sehr stark. Die Bewertungen von Assets und ihr Verhalten dürften sich von nun an stärker ausdifferenzieren, wie dies in der Mitte eines Zyklus üblich ist.
Wie hoch sind die Wachstumsraten, die Anleger noch erwarten können?
In der Angebotskette gibt es nach wie vor Knappheiten an Komponenten. Hinzu kommen Verspätungen in der Verschiffung. Die Wirtschaft kann die Nachfrage noch nicht vollständig bedienen, weil es diese Engpässe gibt. Das wird länger so bleiben, als viele annehmen. Die Folge ist: Auch 2022 wird es ein hohes Wachstum geben, und das ist eine gute Nachricht für die Finanzmärkte.
Was erwarten Sie von der Geldpolitik?
Wir glauben, dass die Zentralbanken in absehbarer Zeit nicht proaktiv die Zügel anziehen werden. Sie sind nach wie vor sehr akkommodierend. Die Zinsen werden in den USA und im Dollarblock steigen, aber nicht sofort. Das wird voraussichtlich erst ab Ende 2022 oder Anfang 2023 geschehen. Die Europäische Zentralbank wird ihren Leitzins innerhalb unseres Prognosehorizonts überhaupt nicht erhöhen. Sie ist die vorsichtigste Notenbank, nicht zuletzt weil sie ihr Inflationsziel nicht erreicht. In diesem Umfeld gehen wir davon aus, dass wir in der zweiten Jahreshälfte zwar höhere Treasury-Renditen bekommen werden. Aber es wird keinen dramatischen Anstieg geben, vielleicht auf 1,75% in der zehnjährigen Laufzeit. Es wird somit keinen Anstieg geben, der das Sentiment beeinträchtigen könnte.
Wie sollen sich die Investoren in diesem Umfeld positionieren?
Wenn wir uns in der Mitte des Zyklus befinden mit sehr hohem Wachstum und einer sehr lockeren Geldpolitik, bedeutet dies, dass die Investoren in ihren Portfolien in Risiko-Assets übergewichtet sein müssen. Bei unseren Multi-Asset-Portfolien sind Aktien angesagt, weil sich die Unternehmensgewinne auch in den nächsten Quartalen aufgrund der guten Nachfrage stark entwickeln werden. In Anleihen ist eine leichte Untergewichtung angesagt. Wir sind aber bereit, wieder Anleihen zuzukaufen, wenn die Renditen gestiegen sind, um zu diversifizieren beziehungsweise Risiken auszubalancieren. Man muss jetzt selektiver werden, als dies in der frühen Phase des Zyklus der Fall war. Man muss jetzt stärker zwischen Gewinnern und Verlierern unterscheiden, Unternehmen suchen, die Preissetzungsmacht haben und von hohen Markteintrittsbarrieren profitieren et cetera. Aktien sind weiter überzugewichten, wenn die Gewinnwachstumserwartungen gestiegen sind, aber man muss selektiver werden. Ein besonderes Augenmerk gilt bei uns der Nachhaltigkeit. Die Wirtschaft wächst zwar, aber die Natur des Zyklus ändert sich durch die erhöhte Aufmerksamkeit für ESG-Aspekte. Wir wollen Unternehmen, die da gut aufgestellt sind.
Welche Bereiche sind denn gut positioniert?
Es gibt einige Schlüsselbereiche wie erneuerbare Energien, Forstwirtschaft, Robotik und Automation sowie Halbleiter. Denn wir erleben einen grünen sowie einen digitalen Neuaufbau. Alles, was mit Kohlenstoffemissionsreduktion zu tun hat, wird von hoher Nachfrage gestützt, von Regulierung und in einigen Ländern auch von der Besteuerung.
Wird der Umbau hin zur klimagerechten Wirtschaft nicht auf große Hindernisse stoßen?
Es ist ein sehr komplizierter Prozess mit enormen Herausforderungen. Ein großes Problem wird das Angebot sein. 110 Länder, die 70% des globalen BIP repräsentieren, haben sich zu Klimaneutralität bis 2050 beziehungsweise 2060 verpflichtet. In den nächsten Jahren wird es eine gigantische Nachfrage nach Infrastruktur für Mobilität, Energie et cetera geben. Darauf ist die Zulieferkette nicht wirklich vorbereitet. Knappheiten gibt es bereits bei Halbleitern, und die Bewegung hin zu einer digitalen und klimaneutralen Welt wird die Nachfrage noch dramatisch ansteigen lassen. Auch die Nachfrage etwa nach Lithium und Kupfer wird dramatisch zunehmen. In vielerlei Hinsicht muss sich die Welt neu erfinden, etwa in der Art und Weise, wie wir Produkte verpacken oder Häuser bauen, in puncto Mobilität et cetera. Für den Umbau müssen sehr viele Güter transportiert werden, das heißt, die Belastung von Häfen et cetera wird massiv steigen. Bereiche wie die Schifffahrtsbranche und angesichts des hohen Holzbedarfs die Forstwirtschaft werden profitieren. Alles, was für den Umbau gebraucht wird, wird profitieren. Die Knappheiten werden endemisch.
Kommen da nicht erhebliche wirtschaftliche Probleme auf uns zu?
Erstmals während unserer Lebenszeit wollen 110 Länder auf einmal dasselbe tun. Das wird steigende Preise und zunehmende Knappheiten in manchen Bereichen zur Folge haben. Der Wille für den Umbau ist da, aber die Frage wird sein: Können wir das managen? Die Unternehmen bereiten sich vor, aber sie sind nur ein Teil der Angebotskette. Alle Beteiligten müssen mitwirken. Die Knappheiten werden nicht nur ein paar Quartale lang Bestand haben, sondern ein bis zwei Jahrzehnte.
Ist die Vorstellung, dass die derzeit hohe Inflation vorübergehender Natur ist, somit eine Illusion?
Das ist ein komplexes Thema. Es wird Bereiche mit Inflation geben. So werden die Preise für Halbleiter, Kupfer, Holz, Fracht et cetera steigen. Sie werden wieder sinken, aber nicht auf den alten Stand zurückkehren. Insgesamt wird die Inflation aber moderat bleiben. Wir glauben nicht an ein allgemein inflationäres Umfeld.
Das Interview führte