Kapitalmarktumfrage

„Risiko der Unregierbarkeit Frankreichs“

Nach der Europawahl wird in Frankreichs Aktienmarkt ein „Regierungswechsel gespielt“, wie Deka-Chefökonom Ulrich Kater der Börsen-Zeitung sagt. Die davon ausgehende Verunsicherung beurteilen Anleger kritisch. Die Schwächung der demokratischen Mitte könnte außereuropäische Anleger abschrecken.

„Risiko der Unregierbarkeit Frankreichs“

Kapitalmarktumfrage

„Risiko der Unregierbarkeit Frankreichs“

Folgen der Europawahl stimmen Investoren skeptisch – CAC 40 sackt ab – Verfechter einer „dirigistischen Wirtschaftspolitik geschwächt“

hei/wrü Frankfurt

Nach der Europawahl wird in Frankreichs Aktienmarkt ein „Regierungswechsel gespielt“, wie Deka-Chefökonom Ulrich Kater der Börsen-Zeitung sagt. Die davon ausgehende Verunsicherung beurteilen Anleger kritisch. Die Schwächung der demokratischen Mitte könnte außereuropäische Anleger abschrecken.

Der Erdrutschsieg des Rassemblement National bei der Europawahl und die Ausrufung von Neuwahlen durch den französischen Präsidenten Emmanuel Macron haben am Montag zu teils heftigen Reaktionen an den Finanzmärkten geführt. Der französische Aktienindex CAC 40 verlor in der Spitze mehr als 2% und schloss 1,4% ermäßigt auf 7.984 Punkten. Vor allem Frankreichs Bankaktien gingen in die Knie. So gaben Société Générale um 7,5% auf 24,08 Euro nach. Nicht zuletzt aufgrund des schwachen französischen Marktes sank der Euro Stoxx 50, der Leitindex der Eurozone, um 0,8% auf 5.012 Punkte. Gleichzeitig zog die Rendite für zehnjährige französische Staatsanleihen auf 3,22% an. Der Euro fiel gegenüber dem Dollar auf den tiefsten Stand seit Anfang Mai zurück und lag am Montagabend bei 1,0743 Dollar.

Schädliches Trio

Investoren und Volkswirte unterstrichen in ihrer Perspektive auf die Wahlfolgen vor allem die drohende Unsicherheit in Frankreich. „Im französischen Aktienmarkt wird ein Regierungswechsel gespielt“, sagte Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka, gegenüber der Börsen-Zeitung. Die „Märkte spekulieren infolge der angekündigten Neuwahlen auf eine neue Wirtschaftspolitik“. Andere Stimmen klingen noch deutlich kritischer. „Diese Wahlen haben das Risiko der Unregierbarkeit deutlich gemacht. Frankreich, eine Säule der Eurozone, könnte sich in einer potenziellen Sackgasse wiederfinden“, erklärt Mabrouk Chetouane, Head of Global Market Strategy von Natixis Investment Managers. „Dies würde die Sichtbarkeit der Investoren verringern, die Volatilität an den inländischen Aktienmärkten verstärken und die Kosten der Verschuldung erhöhen (...) ein schädliches Trio, das ausländische Investoren vorübergehend von den französischen Märkten vertreiben würde.“

Kater kann dem Wahlergebnis auch Positives abgewinnen. „Durch das Wahlergebnis würden die Verfechter einer dirigistischen Wirtschaftspolitik und einer wertegeleiteten Außenwirtschaft eher geschwächt.“ Das dürfte „aus der Perspektive von Unternehmen teilweise positiv wahrgenommen werden“, sagte er. Die europaweite Schwächung der Grünen und das Erstarken rechter Parteien sollten aus seiner Sicht aber die „Arbeitsfähigkeit“ europäischer Institutionen nicht einschränken, ein Aspekt, der für Investoren ebenfalls auf der positiven Seite stehe.

Stabile Mehrheit beruhigt

„Es gibt weiter eine stabile Mehrheit aus Volkspartei, Sozialdemokraten und Liberalen im Europaparlament. Auch beim ‚starken‘ Abschneiden von Rechtsaußen-Parteien gibt es bei näherer Betrachtung deutliche Ausnahmen, etwa in Spanien, Belgien und Schweden“, sagt Björn Jesch, Global Chief Investment Officer der DWS. „Trotzdem wird die Tatsache, dass in vielen EU-Staaten rechte bis rechtsextreme Kräfte auf Platz 1 oder 2 liegen, ihre Wirkung nicht verfehlen. Vor allem wird die italienische Ministerpräsidentin ihre neue Macht nutzen, um Gewichte in Europa zu verschieben – weniger Migration, weniger Nachhaltigkeit, weniger Kapitalmarktunion, weniger Bürokratie.“ Die Marktreaktion auf die Europawahlen und das Ausrufen der Neuwahlen durch Macron sei nicht eindeutig gewesen.

Pascal Spano, Head of Research bei Metzler Capital Markets, erklärt: „Kapitalmärkte mögen keine Unsicherheit. Das Ergebnis der Europawahl und insbesondere die Reaktion von Präsident Macron hinterlassen entsprechend ihre Spuren. Der Spread französischer Staatsanleihen gegenüber deutschen hat sich nach dem Anstieg am Montag auf über 50 Basispunkte im 10-jährigen Bereich ausgeweitet.“ Der französische Aktienmarkt spiegele das mit überproportionalen Verlusten wider. „Kernfrage ist, wie Macrons Manöver ausgeht“, so Spano. „Gehen die europakritischen Rechtsnationalen gestärkt aus Neuwahlen hervor, wird sich der Druck auf den französischen Markt noch verstärken.“

„Der Aufstieg von Parteien, die rechts der EVP-Fraktion verankert sind, hat auf das Sentiment nichteuropäischer Investoren für europäische Aktien zunächst eine negative Auswirkung. Denn aus der Perspektive nichteuropäischer Investoren sorgten vor allem eine starke demokratische Mitte bislang für Stabilität und Verlässlichkeit“, erklärt Christoph Berger, CIO Equity Europe bei Allianz Global Investors. „In der Summe sollten die Auswirkungen für den europäischen Aktienmarkt jedoch limitiert sein. Aktien in Frankreich können zwar durch die Unsicherheit, hervorgerufen durch die Entscheidung des französischen Präsidenten, die Nationalversammlung aufzulösen, kurzfristig belastet werden, aber langfristig sind Unternehmen in Frankreich wie beispielsweise LVMH, Hermès, Airbus, Safran, Dassault Systems, Schneider Electric u.a. echte ‚Global Champions‘ und von einer Volatilität im Heimmarktmarkt weniger beeinflusst.“

Der Investitionsstandort Deutschland rückt – nicht zuletzt nach viel beachteten Äußerungen von Deutsche-Börse-Chef Theodor Weimer – bei den Anlegern in den Fokus. Ein schwaches Abschneiden des MDax gegenüber dem internationaleren Dax gilt mitunter als ein Anzeichen der Standortschwäche.

„Deutschland ist besser als sein Ruf“, erklärt gleichwohl DWS-CIO Jesch zum Investmentstandort Deutschland. „Die häufig herbeigeredete Deindustrialisierung findet ihren Niederschlag in den Daten zur Bruttowertschöpfung des verarbeitenden Gewerbes nicht.“ Klar habe Deutschland als Exportnation unter der globalen Rezession der Industrie gelitten, aber der Rückgang falle moderat aus und sollte sich in den nächsten Quartalen auch wieder korrigieren.

Kein „Weiter so“

„Positiv stimmt uns, dass in weiten Teilen der Regierung verstanden zu sein scheint, dass ein ‚Weiter so‘ wie bisher nicht funktionieren wird. Damit die Wachstumsschwäche nicht zu einer dauerhaften Wohlstandsschwäche wird, sind Bürokratieabbau und eine Beschleunigung von Investitionsgenehmigungen dringend geboten“, sagt Metzler-Mann Spano. „Die deutschen multinationalen Konzerne, aber auch viele der Hidden Champions in den Reihen der familien- und stiftungsgeführten Unternehmen haben auch alternative Produktionsstandorte. Deutschland hat alle Möglichkeiten, ein sehr attraktiver Standort zu bleiben. Für dessen Stärkung sollte es auch über Parteigrenzen hinweg einen breiten, vernunftbasierten Konsens geben.“ 

„Einige Standortbedingungen in Deutschland sind in der Tat herausfordernd: Der bürokratische Aufwand und viele Regulierungen haben eine mitunter hemmende Wirkung für deutsche Unternehmen. Aber: Die im Dax notierten Unternehmen erwirtschaften weniger als 20% des Umsatzes in Deutschland“, erklärt Berger von Allianz GI. „Die meisten Unternehmen sind aus Deutschland heraus international gut aufgestellt. Gerade in den USA sind die Wachstumsperspektiven vielversprechend. Daher sind die Aussichten für die Gewinne vieler deutscher Unternehmen sehr gut – unabhängig von den Rahmenbedingungen des Produktionsstandortes Deutschland.“

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