FAKTOR-INVESTING - GASTBEITRAG

Momentum ist nicht gleich Momentum, aber "Size matters"

Börsen-Zeitung, 10.12.2016 Im vierten Teil der Faktor-Investing-Serie stehen "Momentum" und "Size" im Fokus. "Preismomentum" ist wohl einer der ältesten Faktoren überhaupt, auch wenn es die empirische Kapitalmarktforschung erst seit ungefähr 30...

Momentum ist nicht gleich Momentum, aber "Size matters"

Im vierten Teil der Faktor-Investing-Serie stehen “Momentum” und “Size” im Fokus. “Preismomentum” ist wohl einer der ältesten Faktoren überhaupt, auch wenn es die empirische Kapitalmarktforschung erst seit ungefähr 30 Jahren intensiver damit auseinandersetzt. Allein im Social Science Research Network (SSRN) finden sich heute über 400 wissenschaftliche Arbeiten, die sich unmittelbar mit Momentumeffekten beschäftigen.Viele Quellen finden sich bereits vor Beginn der modernen Forschung. Das liegt daran, dass Momentum in seiner extremen Form spekulative Blasen hervorbringt, die Auswirkungen auf die Ökonomie als Ganzes haben können und eng mit verhaltensorientierten Beobachtungen verbunden sind – also mit dem “Faktor Mensch”. Dazu finden sich etwa in Mackay (1841) gute Beispiele wie die “Mississippi-Bubble” oder die “South-Sea-Bubble”. Le Bon (1895) setzte sich intensiv mit dem Phänomen menschlichen Gruppenverhaltens auseinander. In der Folge haben sich daraus unter anderem die auf der Dow-Theorie (1884) aufbauende technische Analyse oder verschiedene quantitative Ansätze entwickelt.An der Schnittstelle dazu findet man heute die verhaltensorientierte Finanzmarktökonomie (Behavioral Finance), die unter anderem auf den Arbeiten von Kahnemann, Tversky und Shiller aufbaut. Deren Forschungsergebnisse reichen mittlerweile auch in andere Wirtschaftsbereiche – die einschlägigen Ökonomenrankings im deutschsprachigen Raum werden etwa im Moment von Ernst Fehr, einem Vertreter dieser Forschungsrichtung angeführt.Im Kern stellen alle diese Richtungen zwei Kernelemente der Wirtschafts- und Kapitalmarkttheorie in Frage: zum einen den Marktteilnehmer als rein rationalen, nutzenmaximierenden “Homo oeconomicus” im Sinne von Adam Smith und anderen. Und zum anderen die Markteffizienzhypothese, die vor allem auf die Arbeiten von Eugene Fama aus den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts zurückgeht.Für “Momentum” als Faktorprämie sind aus den vielen Veröffentlichungen vielleicht drei als Meilensteine einzuordnen, weil sie sowohl Forschung als auch Kapitalmarktpraxis nachhaltig beeinflussten: de Bondt und Thaler (Does the stock market overreact?, 1985), Jegadeesh und Titman (Momentum, 2001) sowie Carhart (On Persistence in Mutual Fund Performance, 1997), aus dessen Ergebnissen die Erweiterung des “Drei-Faktoren-Modells” von Fama/French auf vier Faktoren resultierte. Einfach umsetzbarMomentum ist bei vielen Kapitalmarktteilnehmern womöglich deshalb so beliebt, weil lediglich Preisdaten benötigt werden und die Regeln relativ einfach umzusetzen sind. Aber wie bereits bei den Dividenden aufgezeigt (vgl. BZ vom 5. November), ist auch Momentum nicht gleich Momentum. Der “Momentum Crash” im Jahr 2009, bei dem viele dieser Strategien in der Erholung der Aktienmärkte massiv Performance verloren haben, oder die aktuellen Probleme bei Wertsicherungsstrategien, die ebenfalls einen Momentumcharakter haben, zeigen das recht deutlich. So gibt es deutliche Unterschiede im Profil zwischen Zeitreihen- (“Ttimeseries”) und Querschnitts- (“Cross-sectional”) basierten Risikoprämien-Strategien – das Ertragsprofil ist diametral entgegengesetzt. “Timeseries”-Strategien, auch als Trendfolgestrategien bekannt, sind entweder “Long” oder “Short” positioniert und sind bei starken Trends profitabel, verlieren aber in Seitwärtsbewegungen – ihr Profil gleicht einem “Long Call”. Ist die Strategie auch zur Partizipation an fallenden Märkten offen (Short-Positionierung), entsteht zusätzlich ein “Long Put”.An diesem Beispiel zeigt sich ein Nachteil vieler reaktiver Wertsicherungen oder risikobudgetierender Ansätze. Die vermeintlich “prognosefreie” Verwaltung des Risikobudgets beinhaltet “implizit” die Erwartung von stärkeren Trends, weil ansonsten der “Long Call” nicht profitabel werden kann. Da die risikoarmen Gegenanlagen heute negative Renditen aufweisen, kann kein “Polster” für neue Risikopositionen aufgebaut werden kann, die “Call-Prämie” steigt überproportional an. Wertsicherungen oder Preisuntergrenzen sollten von Investoren – neben anderen Faktoren – auch vor diesem Hintergrund kritisch geprüft werden.Strategien, die den Momentumfaktor “Cross-sectional” ausbeuten, diskriminieren die unterliegenden Assets und gehen die besten “Long” und die schlechten “Short”, sind also im Gegensatz zu “Timeseries”-Momentum immer “Long” und “Short” gleichzeitig. Mit dem “fundamentalen Gesetz des aktiven Portfoliomanagements” nach Grinold/Kahn (1999) lässt sich die Funktionsweise gut erklären. Danach ist, vereinfacht gesagt, Investmentperformance eine Funktion aus “Skill” (Prognosequalität) und “Opportunity-Set” – die Anzahl möglicher aktiver Positionen.Dieser Möglichkeitsraum verändert sich aber über den Marktzyklus, weil die Marktbreite zum Ende eines Anstieges hin meistens abnimmt, dagegen am Ende eines Abschwungs fast alle Aktien uniform fallen. Hier fehlt es an beiden Enden an Opportunitäten, ausreichend starke von schwachen Aktien zu trennen – “Cross-sectional”-Momentum verliert, während “Timeseries”-Momentum in diesen starken Auf- und Abwärtstrends die beste Performance liefert. Das Reversal-Risiko sowie auch eine Über- und Unterreaktion auf neue Informationen werden heute als wesentliche Erklärungsfaktoren für das Entstehen von Momentumprämien angeführt.Der “Size”-Effekt, also die Evidenz, dass Aktien von Unternehmen mit niedriger Marktkapitalisierung gegenüber großkapitalisierten Unternehmen über die längere Frist die bessere Performance oder eine Prämie für ein höheres oder anderes Risiko liefern, wurde in der empirischen Kapitalmarktforschung erstmalig von Banz (1981) thematisiert. In der Folge wurde Size als Risikofaktor vor allem durch das bereits oben genannte Drei-Faktoren-Modell von Fama/French (1992) bekannt. Seitdem wurde die Frage, ob es ausreichend Evidenz für deren Vorhandensein gibt, breit untersucht, ohne dass es zu übereinstimmend klaren Ergebnissen gekommen wäre. Diese generalisierende Anforderung vieler Kapitalmarktforscher an die Robustheit von Risikoprämien ist angesichts der Heterogenität vieler lokaler Aktienmärkte mit einem Fragezeichen zu versehen. Unter den Prämissen müsste man auch unterstellen, dass es aufgrund der letzten 30 Jahre in Japan keine Aktienrisikoprämie mehr gibt.Sofern es sich um ein fundamentales Risiko handelt, kann das per se nicht aufhören zu existieren, auch wenn über lange Zeit keine positive Prämie erzielbar ist. Für den Erfolg von “Size” als Faktorprämie sind empirisch viele Begründungen geliefert worden, unter anderem Illiquiditätsprämie durch niedrigen Umsatz und niedrigen Streubesitz oder höheres Kreditrisiko aufgrund höherer Verschuldungsgrade. Asness et al. (2015) stellen einen robusten und signifikanten Size-Effekt fest, sofern man um dieses Kreditrisiko bereinigt. Mid- und Small-Cap-Indizes profitieren darüber hinaus zweiseitig von Migrationsprämien. Unternehmen kommen entweder “von unten” oder durch Neuemission in diese Indizes oder steigen “von oben” aus den Large-Cap-Indizes ab.Im ersten Fall entsteht ein Momentumeffekt, weil indexorientierte Investoren die Aktien kaufen (müssen). Im Fall des Abstiegs entsteht ein “Reversal”-Effekt, den Investoren aus den regelmäßigen Anpassungen der Aktienindizes kennen. Der gleiche Effekt ist vor allem auch aus dem Corporate-Bereich bekannt; Titel, die aus dem Investment-Grade-Universum herausfallen, geraten zunächst unter Druck und erholen sich anschließend wieder. Des Weiteren finden sich im Mid- und Small-Cap-Bereich viele erstklassige Unternehmen, die hochprofitabel in Nischen operieren, deren Markt- und Gewinnpotenzial aber nicht ausreicht, um ein Large Cap zu werden.Alpha Centauri geht bei der Konstruktion von Faktorprämien und -indizes deutlich über Bereinigungen wie im genannten Asness-Papier hinaus. Um die Prämie so “pur wie möglich” zu extrahieren, werden sämtliche systematischen Risiken jenseits vom Zielfaktor, dazu gehören unter anderem Länder-, Sektor- wie auch andere Faktor-Risiken, auf ein Minimum beschränkt. Unter diesen Bedingungen ergibt sich, dass sowohl in Europa als auch in den USA in den letzten Jahren eine Size-Prämie zu erzielen war. Dies zeigt die Überschussrendite des von Alpha Centauri entwickelten iStoxx Europe Size Index sowie des noch unveröffentlichten US-Pendants aus Sicht eines Euro-basierten Investors (vgl. Grafik).——–Ulf Füllgraf, Geschäftsführer Alpha Centauri Management, Hamburg