IM INTERVIEW: SAMMY SUZUKI, ALLIANCE BERNSTEIN

"Nach China blicken, nicht in die USA"

Der Portfoliomanager und Schwellenländerexperte über defensive Aktien und warum die Zukunft der Digitalisierung in Asien und nicht in den USA zu sehen ist

"Nach China blicken, nicht in die USA"

Schwellenländer-Aktienmärkte bieten immer noch gute Möglichkeiten, Marktineffizienzen zu heben. Zudem empfehle es sich, auf defensivere Aktien zu setzen, um geringere Verlustrisiken in den schwankungsanfälligen Märkten einzugehen, sagt Portfoliomanager Sammy Suzuki von Alliance Bernstein im Interview.- Herr Suzuki, wie wichtig ist der Stock Connect, die Verbindung zwischen den Börsen von Schanghai und Shenzhen mit Hongkong, in Ihrer Arbeit als Portfoliomanager mit Schwellenländer-Fokus?Stock Connect ermöglicht den Zugang zum riesigen Pool der chinesischen A-Shares und damit auch Zugang zu jüngeren, dynamischeren Unternehmen, die nicht in Hongkong oder New York gelistet sind. Durch den Einbezug von 220 chinesischen A-Shares in die MSCI-Indexfamilie ist der Markt besser abgestützt. Früher gab es regulatorische Hürden oder auch Quoten für Investoren, was es komplizierter machte. Für einen aktiven Manager geht es aber weniger um den Zugang zu einem Indexspektrum, sondern darum, Firmen zu identifizieren, die eine stabile Gewinnentwicklung haben.- Finden die sich im chinesischen Markt?Zunächst einmal: Der A-Share-Markt ist stark von Retail-Anlegern dominiert, so dass er andere Eigenarten als andere Märkte aufweist. Wir glauben, dass wir hier Ineffizienzen ausschöpfen können. Ich glaube, dass es generell in Schwellenländermärkten möglich bleibt, Ineffizienzen auszunutzen, und so gesehen die Möglichkeit, attraktive Aktien zu finden, vielleicht einfacher ist als in reifen Märkten. In Bezug auf A-Shares haben wir einen eigenen Portfoliomanager, der einen quantitativen Strom an Informationen und ein definiertes RegelSet für die Auswahl von Aktien verwendet. Wir grenzen das Universum ein, bevor wir fundamentales Research machen, und achten auf Qualität, Stabilität und Preis. Dieses erste Screening schließt bereits rund die Hälfte des Universums aus.- Handelt es sich um das bekannte QARP – Quality at a Reasonable Price?Wir achten zusätzlich auf Stabilität. Schwellenländer-Manager mögen normalerweise Wachstum. Wir sind da anders, denn wir setzen auf defensive Aktien. Kunden, die in Schwellenländern investieren, erwarten Volatilität und einige wollen diese nicht von einem Manager gedämpft haben, da sie befürchten, den Aufschwung zu verpassen. Dabei ist gerade das Gegenteil sinnvoll: Weil es eine so hohe Volatilität gibt, ist es von großem Vorteil, wenn die Volatilität im Portfolio gedämpft wird. Durch Verlustbegrenzung lässt sich die Performance stark verbessern – das ist ein rein technischer Ansatz, den aber viele Leute vergessen. Verliere ich weniger, brauche ich weniger, um die Verluste auszubügeln, und der Aufzinsungseffekt spielt mir in die Hand. Es geht mir also darum, möglichst wenig zu verlieren. – Das hört sich nach Low-Vola-Strategie an. Ist die schwieriger umzusetzen als in reiferen Märkten?Das hängt von der Benchmark ab. Ich glaube, die Vorteile einer Low-Volatility-Strategie sind, wie gesagt, in Schwellenländern größer, da der volatilitätsdämpfende Effekt stärker auf die Performance wirkt. Die Märkte sind immer noch weniger effizient. Es gibt noch eine größere Möglichkeit, Alpha – also eine Überrendite – zu erreichen. – Können Sie dies konkret belegen?Dies zeigt sich an der Effektivität des Preis-Momentums, an der Effektivität von Gewinnrevisionen, von Investments auf Basis niedriger Kurs-Gewinn-Verhältnisse oder auf Basis von Qualität – gemessen am freien Cash-flow im Verhältnis zur Bilanzsumme. In jedem dieser Fälle ist die Alpha-Möglichkeit in Schwellenländermärkten höher als in reifen Märkten – namentlich als in den USA, aber auch in anderen westlichen Märkten. Durch den Boom des Passiv-Investierens dürfte die Ineffizienz an den Märkten aber tendenziell zunehmen, da immer weniger Analysten einzelne Titel studieren. – Die Grenzen zwischen aktiven und passiven Anlagen verschwimmen – ist dies nicht zu kurz gegriffen?Wir nutzen viel Technologie, die auch Smart-Beta- oder Passivinvestoren nutzen. Aber wir denken, wir haben eine eigene Lösung, die besser ist, bessere quantitative Instrumente sowie zusätzliche fundamentale Einsichten. Faktoren – also bestimmte Wertpapiereigenschaften – funktionieren sicher weiterhin. Aber diese Ansätze stützen sich auf öffentlich zugängliche Informationen in Jahresberichten. Wir beziehen auch Informationen ein, die schwieriger zugänglich sind oder sich nicht einfach in ein Excel-Sheet packen lassen, und zwar auf eine systematische Art und Weise.- Lassen sich die Schwellenländermärkte alle über einen Kamm scheren? Die Vielfalt ist doch groß.Ja, die Länder sind sehr unterschiedlich, aber die Märkte korrelieren doch noch stark miteinander. Wie lässt sich Geld verlieren in Schwellenländern? Indem etwas Schlechtes in den entwickelten Märkten geschieht oder aber etwas Schlechtes in den Schwellenländern selbst (lacht). Der marginale Investor ist immer noch der Investor aus den entwickelten Ländern.- Ändert sich dies nicht gerade?Es verändert sich, aber die großen Anlagepools liegen immer noch in der entwickelten Welt – auch die meisten meiner Kunden kommen von dort. Inzwischen haben wir fast die längste Aufschwungphase der Geschichte – und diese Frage beschäftigt alle Anleger: Wird das so weitergehen? Es wäre keine Überraschung, wenn es schon morgen zu einem deutlichen Rückschlag käme. Darüber spricht fast niemand.- Wie lang ist Ihre mittlere Haltedauer?Wir denken in Drei- bis Fünfjahreszeiträumen. Da wir risikosensitiv sind, handeln wir aber auch, wenn sich zwischenzeitlich Risiken aufbauen sollten. Wir leben in einer Welt mit vielen Disruptionen, auch durch die Digitalisierung. – Gerade asiatische Konzerne mischen den Markt auf?In Asien gibt es weniger aufzumischen als in anderen Märkten. Schauen Sie sich die Einzelhändler in den USA an, Wal-Mart ist riesig. In Asien sind die Einzelhändler nicht so groß, in China sind sie winzig. Im Gegensatz zu Unternehmen in entwickelten Ländern wachsen asiatische Firmen mit einer an die Digitalwelt angepassten Infrastruktur. Deshalb hat diese Disruption in Asien ganz andere Auswirkungen als etwa in den USA. – Was heißt dies für Investoren?Bisher war das Credo, dass die Schwellenländer in ihrer Entwicklung den reifen Märkten folgen würden. Etwa im Schiffbau – zunächst waren Europa, dann die USA und Japan dominant, dann Südkorea und jetzt China. In China wächst heute die Einzelhandelsfläche je Kopf, in den USA fällt sie. In China liegt die E-Commerce-Durchdringung inzwischen bei 15 %, höher als in den USA und doppelt so hoch wie vor sieben Jahren. In Asien – insbesondere China – wachsen die Anbieter, um sich an die Online-Welt anzupassen. In reifen Märkten dagegen schrumpfen traditionelle Anbieter und werden von Digitalunternehmen verdrängt. Zudem ist die Haltung der Kunden eine andere: In Schwellenländern ist die Smartphone-Nutzung weit verbreitet, sind Nutzer aufgeschlossener gegenüber neuen Anwendungen wie Gesichtserkennung. Die Welt steht Kopf: Wer sehen will, was in einem bestimmten Bereich noch möglich ist, muss nach China blicken, nicht in die USA.- Wie sieht es mit der Bewertung der Märkte aus?Alle Märkte sind derzeit teuer. Aber mit Blick auf Wachstum sind viele Unternehmen noch nicht extrem teuer. So halten wir weiterhin die Technologiewerte Tencent und Alibaba. Die Volatilität war erstaunlich niedrig, steigt nun aber, auch weil die Bewertungen gestiegen sind. Wir würden daher im Allgemeinen nicht in kleinere Unternehmen investieren, da dort die Volatilität höher ist.- Wo sind Sie übergewichtet?Absolut gesehen ist es schwierig, nicht am meisten auf China zu setzen. Relativ haben wir China aber etwas untergewichtet. Wir setzen dort auch auf 51Job, ein Stellenvermittlungsunternehmen, dessen Website viel besser ist als die von Linkedin. Weil 51Job nicht als reine Internetgesellschaft wahrgenommen wird, sind die Kursvolatilität und die Bewertung niedriger.- Welche Regionen mögen Sie besonders?Wir sehen einige Chancen in Thailand, wo wir etwa auf CP All setzen, den Betreiber der Seven-Eleven-Märkte. Eine gut geführte Convenience-Food-Kette ist nicht durch Online-Konkurrenz gefährdet. Zudem werden neue Dienstleistungen angeboten, wie der SIM-Karten-Verkauf oder Paketversand. Wir halten auch PTT Global Chemicals, einen thailändischen Spezialchemiekonzern. Wir sind für Rohstoffpreise generell zuversichtlich. Thailand hat sich, muss man sagen, unter der Militärregierung bisher stabil entwickelt. Die Trauerphase für den König ist abgeschlossen, so dass nun Investitionen wieder hochgefahren werden. Zudem hat das Land einen Leistungsbilanzüberschuss.- In welchen Regionen sind Sie ebenfalls stark engagiert?In Osteuropa ist das Wachstum gut, und die Region profitiert von der deutschen Industrie. Durch die Frankenaufwertung und damit verbunden Spannungen im Hypothekenmarkt durch Franken-Finanzierungen waren einige osteuropäische Märkte sehr unter Druck geraten – die sind heute attraktiv. Wir mögen dort etwa Wizz Air, eine ungarische Gesellschaft, die zwischen osteuropäischen und westlichen Flughäfen Low-Cost-Verbindungen betreibt, die ihr Steuerdomizil in der Schweiz hat und in London gelistet ist. Sie ist vermutlich eine der profitabelsten Airlines der Welt, gilt aber nicht als Schwellenländergesellschaft aufgrund des Konzerndomizils. Auch Brasilien entwickelt sich nach einer schweren Rezession wieder besser, die Politik hat sich verbessert. Hier gefallen uns die Bank Itau und der Bierkonzern Ambev.- Was ist mit Südafrika? In Deutschland hat dabei vor allem das Steinhoff-Debakel zu reden gegeben.Ja, das Land ist in einigen Punkten mit Brasilien vergleichbar. Es gibt politische Probleme, und ich denke, dass Südafrika sich verbessert. Steinhoff war immer sehr aggressiv in der Bilanzierung, hat Transfer-Pricing gemacht und fast nie Steuern bezahlt. Generell glaube ich aber, dass die Corporate Governance abgesehen von Steinhoff sehr gut ist. Das Problem mit Südafrika ist eher die Governance des Landes.- Wie berücksichtigen Sie politische Risiken? Auch wenn aus Nordkorea Entspannungszeichen kommen, es gibt doch eine Reihe an schwelenden Krisen? Das ist schwierig vorauszusagen. Nordkorea hat den südkoreanischen Aktienmarkt belastet. Wenn zwei Länder Nuklearwaffen haben, stellt sich aber in der Regel ein Gleichgewicht ein. Was Syrien anbelangt, weiß ich nicht, ob es einen direkten Einfluss auf viele gelistete Firmen gibt – am ehesten über US-Sanktionen oder über den Ölpreis. – Was hat es mit dem Handelskonflikt zwischen den USA und China auf sich?Mr. Trump war ein Reality-TV-Star. In vielen Folgen seiner TV-Show The Apprentice entschied er sich für etwas und feuerte dann jemand anderen. Trump mag dieses Drama. Solange er das eine sagt und das andere tut, ist sein Verhandlungsstil unberechenbar und schwer vorherzusagen. So geschehen in den Einfuhrzöllen auf Stahl, wo er rund 60 % der weltweiten Stahlproduktion davon ausgenommen hat. Nur weil etwas vielen Menschen irrational erscheint, bedeutet es nicht, dass Trump es nicht tut. Aber es ist klar, Freihandel ist entscheidend für das Wachstum der Schwellenländer. Seit China Mitglied in der Welthandelsorganisation WTO ist, geht es mit dem Handel zwischen China und den anderen Ländern steil nach oben. In dem aktuellen Konflikt geht es nicht mehr so darum, dass Schwellenländer den gleichen Zugang zu niedrigeren Konditionen erhalten. Es geht auch um etwas Philosophisches, um unterschiedliche Lebensweisen. Der Zugang zum chinesischen Markt ist bisher nicht möglich, ohne geistiges Eigentum mit China zu teilen. Meine These ist, dass sowohl die USA als auch China von ihren Maximalforderungen etwas zurücktreten werden. Die Amerikaner wollen auch weiterhin ihre Boeings und iPhones verkaufen. Das Interview führte Dietegen Müller.