Neuer Druck auf das Pfund ist absehbar
Von Stefanie Holtze-Jen*)
Auf einmal, so scheint es, kommt alles zusammen: hohe Energiepreise und Engpässe in den Lieferketten – sei es wegen fehlenden Personals oder einer aufgestauten Nachfrage, die sich schlagartig realisiert. Die Konsequenz ist die gleiche: steigende Preise. Gleichzeitig hängen die Kapitalmärkte an den Lippen der Notenbanker und -bankerinnen, um zu erfahren, ob diese Entwicklung als zeitlich vorübergehend zu bewerten ist und deshalb keine geldpolitische Reaktion erfordert. So scheint derzeit zumindest die Europäische Zentralbank (EZB) die Dinge zu sehen. Eine Einschätzung, die aber nicht von allen Notenbanken geteilt wird: So haben die Norges Bank und die Reserve Bank of New Zealand die Zinsen bereits angehoben, die Bank of England (BoE) hat Zinsschritte für die nahe Zukunft angekündigt und auch der Federal Reserve traut der Markt die Zinswende in absehbarer Zeit zu.
Überhitzung vermeiden
Grundsätzlich lässt sich konstatieren, dass eine Landeswährung von anziehender Inflation und den damit einhergehenden steigenden Zinsen profitieren sollte. Dem Kaufkraftverlust, der durch Preissteigerungen bei gleichzeitig langsamerer Anpassung der Löhne entsteht, wird in der Regel mit einer restriktiveren Geldpolitik entgegengewirkt, um eine Überhitzung der Wirtschaft zu vermeiden. Anders verhält sich die Gleichung, wenn die Wachstumsabschwächung bereits absehbar ist. Dann würde die restriktive Zentralbankpolitik vom Devisenmarkt als Politikfehler bewertet werden und die Währung unter Druck bringen.
Diesen Drahtseilakt vollführen momentan wohl alle Zentralbanken. Besonders intensiv übt ihn aber die BoE, was direkten Einfluss auf das Pfund Sterling hat. Aufgrund der jüngsten falkenhaften Kommentare von Michael Saunders, externes Mitglied des geldpolitischen Rats, und von Governor Andrew Bailey wurden die Erwartungen für eine erste Zinserhöhung auf den November oder den Dezember dieses Jahres vorverlegt. Zuvor wurde damit im Februar 2022 gerechnet. Die nächste Sitzung der BoE ist für den 4. November geplant.
Im August war das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nur um 0,4% gegenüber dem Vormonat gewachsen nach einem Rückgang von 0,1% im Juli. Das BIP liegt damit 1,1% unter dem Niveau vor der Coronavirus-Pandemie.
Eine Abschwächung des Wirtschaftswachstums war im Arbeitsmarktbericht für August aber noch nicht direkt erkennbar, denn es wurde ein nach wie vor starkes Beschäftigungswachstum und ein Rekord an offenen Stellen gemeldet. Zur Vorsicht gemahnt jedoch, dass die geleisteten Arbeitsstunden im August immer noch 3% unter dem Niveau vor der Coronavirus-Pandemie lagen. Außerdem ignorieren die starken Beschäftigungsdaten die Zahl der Selbständigen, die seit Beginn der Krise um 761000 gesunken ist, und die Unterbeschäftigung.
Kaufkraft untergraben
Gleichzeitig dürften die steigenden Energiepreise bald die reale Kaufkraft der privaten Haushalte untergraben und die Binnennachfrage belasten. Preissteigerungen in Kombination mit den Anfang September angekündigten Steuererhöhungen könnten den britischen Verbrauchern im kommenden Jahr einen realen Einkommensverlust von mehr als 3% bescheren.
Diese Gemengelage stellt die BoE vor eine komplizierte Entscheidung. Die jüngsten Reden von BoE-Mitgliedern deuten auf eine zunehmende Besorgnis hinsichtlich der Inflationsrisiken und eine pessimistischere Betrachtung der angespannte Angebotsseite hin. Allein die Fantasie einer bevorstehenden Zinserhöhung dürfte der aktuelle Stabilisator für das Pfund Sterling sein.
Schlechte Nachrichten
Allerdings zeichnen sich schon jetzt schlechte Nachrichten ab. Neben Energiepreisen, Arbeitsmarktengpässen und Versorgungsunterbrechungen, die die wirtschaftliche Erholung auch in vielen anderen Ländern zu stören drohen, hat Großbritannien zusätzlich mit den Nachwehen des Brexit zu kämpfen, die viele dieser Effekte verstärken. Auch könnten die Spannungen zwischen Großbritannien und der EU über das Nordirland-Protokoll abermals eskalieren. Im Vergleich zu den fünf Jahren vor der Coronavirus-Pandemie ist das Exportvolumen Großbritanniens in die EU schon jetzt um 10% gesunken, das Importvolumen aus der EU ist um 13% zurückgegangen.
Vergangene Woche hatte die EU-Kommission ihre Vorschläge zur Änderung des Protokolls vorgestellt und eine erhebliche Verringerung des Verwaltungsaufwands für den Handel zwischen Großbritannien und Nordirland vorgeschlagen. Aber die Rede des britischen Unterhändlers David Frost hat bereits signalisiert, dass die Änderungen Großbritannien nicht weit genug gehen und die Rolle des Europäischen Gerichtshofs bei der Überwachung der Regeln des Protokolls eine rote Linie für beide Seiten ist.
Für diplomatische Missstimmung mit der EU hatte Großbritannien kürzlich mit dem Eintritt in das Aukus-Bündnis gesorgt. Im Alleingang schlossen sich die USA und Großbritannien zusammen, um Australien beim Bau von Atom-U-Booten zu helfen. Aufgrund des Alleingangs Großbritanniens verlor Frankreichs Rüstungsindustrie durch die Stornierung des ursprünglichen Vertrags zur Lieferung von U-Booten an Australien 56 Mrd. Euro.
Erstarkte Position
Vielleicht ist auch die damit erstarkte Position Großbritanniens der Grund dafür, dass viele Kommentatoren es für möglich halten, dass die bereits signalisierte Auslösung von Artikel 16 unvermeidlich ist. Dadurch würden Teile des Nordirland-Protokolls ausgesetzt, was einen Handelskrieg mit der EU signalisieren würde. Darauf müsste die EU reagieren. Im schlimmsten Fall könnte das Handels- und Kooperationsabkommen EU-UK TCA ausgesetzt werden und die Verhängung von Zöllen würde den Handel zwischen Großbritannien und der EU weiter beeinträchtigen.
Im Moment erscheint es aber unwahrscheinlich, dass die britische Seite einen solchen Konflikt noch vor der COP26-Klimakonferenz riskieren wird, deren Gastgeber Großbritannien ist und die am 12. November endet.
Dünner Draht
Noch profitiert das Pfund Sterling von der Glaubwürdigkeit der BoE, jedoch wird der Draht, auf dem die britische Notenbank balanciert, dünner. In der aktuellen Gemengelage und den vor Großbritannien liegenden Herausforderungen ist eine sehr viel stärkere Belastung der britischen Währung zu erwarten. Kurzfristige Unterstützung des Pfund Sterling, vor allem gegenüber Währungen, die weniger von Themen wie der Energieknappheit betroffen sind wie der Dollar, der kanadische Dollar oder die norwegische Krone, können deshalb mit mittel- und längerfristiger Perspektive zum Abbau von Positionen in der britischen Landeswährung genutzt werden.
*) Stefanie Holtze-Jen ist Chief Currency Strategist der DWS.