Notenbank-Divergenz stärkt den Dollar
Von Stefanie Holtze-Jen*)
Wer sich das Ergebnis der Beratungen der Europäischen Zentralbank (EZB) am 22. Juli angeschaut und dann mit hohen Erwartungen auf den Wechselkurs von Euro zu Dollar geblickt hat, der dürfte überrascht gewesen sein: Die Relation des Währungspaars bewegte sich kaum. Und das, obwohl EZB-Chefin Christine Lagarde die expansive Geldpolitik der Euro-Notenbank auch für die nächsten Jahre verankert hatte. Denn die Hürde für Zinserhöhungen wurde neuerlich nach oben geschraubt: Innerhalb des dreijährigen Projektionszeitraums will die EZB nun über einen längeren Zeitraum zunächst Inflationsraten von zwei Prozent sehen, bevor sie über eine Änderung des Leitzinses nachdenkt. Angesichts einer Inflationsprognose von 1,4 Prozent für 2023 werden die Zinsen also wohl noch länger niedrig bleiben.
Änderungen in der Zusammensetzung des Pandemic Emergency Purchasing Programme (PEPP) oder in den anderen Programmen für Vermögenswerte wurden nicht diskutiert; dies wäre laut Lagarde verfrüht. Die EZB verfolge in dieser Hinsicht eine Politik der ruhigen Hand. Diskussionen werden aber wohl im September anstehen, wenn die neuen Projektionen veröffentlicht werden. Insgesamt vermittelten die Aussagen den Eindruck, dass ein Ausstieg aus dem PEPP sanft und mit großer Vorsicht gehandhabt werden wird. Wir können also konstatieren, dass es die EZB angesichts ihres neuen Inflationsziels nicht eilig zu haben scheint, ihre Geldpolitik anzupassen.
Deutlich mehr Inflationsdruck gibt es derzeit auf der anderen Seite des Atlantiks. Die Verbraucherpreise in den USA stiegen zuletzt um über 5% im Jahresvergleich, der höchste Wert seit 2008. Zwar entfielen zwei Drittel der Teuerung auf den Gebrauchtwagen- und Reisesektor, trotzdem verzeichneten auch langfristigere Komponenten eine Zunahme. Umgehend flammte die Diskussion darüber auf, ob die Federal Reserve (Fed) den wirtschaftlichen Entwicklungen hinterherhinke und ein Überhitzen der US-Wirtschaft in Kauf nehme. Doch wieder einmal gelang es Fed-Präsident Jerome Powell, die Märkte vorerst zu beruhigen, indem er den jüngsten Inflationsanstieg als transitorisch betitelte und keine Anzeichen dafür gab, dass die Fed von ihrem bisherigen Kurs abweichen werde. Wie transitorisch diese Entwicklung tatsächlich ausfällt, darf vor dem Hintergrund der Datenlage diskutiert werden: Im Vorfeld der FOMC-Sitzung im Juli hat sich die Inflation in den USA weiter beschleunigt, wobei besonders die Zuwächse in den Kernraten die Frage aufwerfen, ob das Überschießen wirklich nur vorübergehend ist.
Essenziell für die weitere Entwicklung des Wechselkurses von Euro zu Dollar dürfte die Frage der Divergenz zwischen der Fed und der EZB werden. Wie der Chart zeigt, ist die Inflation eng an die Markterwartungen im Hinblick auf Zinsänderungen durch die Zentralbanken gekoppelt. Kein Wunder, ist das Ziel der Preisstabilität doch in der Regel ein Kernmandat der Währungshüter. So erwartet der Markt im Fall der „Rohstoffwährungen“ australischer Dollar, kanadischer Dollar und norwegische Krone auf Sicht der kommenden zwölf Monate Zinsanpassungen, die mit dem aktuellen Inflationsbild und der wirtschaftlichen Erholung der Länder übereinstimmen. Im Fall der USA ergibt sich jedoch ein anderes Bild: Trotz einer hohen Inflation liegen die Markterwartungen für die kommenden zwölf Monate bei nicht einmal einem Zinsschritt.
Wir gehen davon aus, dass sich diese Schere kurzfristig auch nicht schließen wird, da die Fed nicht nur das Mandat der Preisstabilität, sondern auch das Ziel der Vollbeschäftigung hat. Um einer Lohn-Preis-Spirale vorzubeugen, wird die US-Notenbank bei weiterhin robuster wirtschaftlicher Erholung irgendwann gezwungen sein, ihre ultralockere Geldpolitik zu straffen. Zwar steigen auch jetzt dank eines dynamischen Arbeitsmarkts in den USA die Löhne, doch ist die Entwicklung aktuell sehr ungleich verteilt. Auch kann man erkennen, dass der Arbeitsmarkt zwar eine Stärke aufweist, aber die Arbeitslosenquote über dem Vorkrisenniveau liegt.
Positiver Trend
Dieser Argumentation folgte nun auch die Fed bei ihrem Juli-Treffen, in dem klar der positive Trend der US-Wirtschaft anerkannt wurde. Das Ziel der Inflationsentwicklung scheine (über)erfüllt, man mache sich über ein Überschießen keine Sorgen. Auf der anderen Seite biete ein noch vergleichsweise verhaltener Arbeitsmarkt aktuell nicht die Voraussetzungen für eine Reduktion der Anleihenkäufe. Unsere Interpretation: Die Fed hat sich mit ihrem durchschnittlichen Inflationsziel eine Flexibilität geschaffen, ein temporäres Überschießen der Inflationsraten zu tolerieren. Des Weiteren hinkte bisher der Arbeitsmarkt, trotz der soliden Erholung, tatsächlich den Konsenserwartungen etwas hinterher. In Kombination ergibt sich eine komfortable Situation für die Fed, die nicht darauf hindeutet, die US-Notenbank sei hinter der Kurve. Wenn die wirtschaftliche Erholung in den USA in der aktuell starken Verfassung weiter voranschreitet, dürfte die Fed in ihrem September-Treffen die Märkte langsam auf einen Beginn des Taperings Anfang 2022 vorbereiten.
Wir halten daher an unserer Prognose eines im verbleibenden Jahr 2021 stärkeren Dollar zum Euro fest. Zusätzlich zu der divergierenden Zentralbankenpolitik der USA und der Eurozone sollten die hohe Wachstumsdivergenz und der Beginn der Tapering-Kommunikation zu einer steigenden Zinsdifferenz führen und dem Dollar weiteren Auftrieb geben.
*) Stefanie Holtze-Jen ist Chief Currency Strategist der DWS.