US-Aktien

Optimismus an der Wall Street

Vor der Bilanzsaison für das erste Quartal kommen Analysten kaum mit der Anhebung ihrer Prognosen für die Unternehmen im S&P 500 nach. Angesichts zunehmender Impfungen und einer konjunkturellen Erholung rechnen auch viele amerikanische Großkonzerne mit steigenden Gewinnen.

Optimismus an der Wall Street

Von Norbert Kuls, New York

Der Optimismus an der Wall Street scheint nach einem starken ersten Quartal an den amerikanischen Aktienbörsen ungebrochen. Anleger hakten spekulative Exzesse und hohe Kursschwankungen beim Videospielehändler Gamestop genauso ab wie den jüngsten Zusammenbruch des Hedgefonds Archegos, dessen kreditfinanzierte Aktienwetten bei vereinzelten Banken zu hohen Verlusten führten. Der US-Aktienindex S&P 500 kletterte seit Jahresanfang um knapp 9% und durchbrach erstmalig die Marke von 4000 Punkten – getrieben von der Aussicht auf eine kräftige Erholung der amerikanischen und globalen Konjunktur nach den angelaufenen Impfungen gegen das Coronavirus. Damit haben die Aktienkurse innerhalb von nur drei Monaten schon die Konsensprognosen der Wall-Street-Analysten eingestellt, die am Anfang des Jahres im Median mit einem Indexstand von etwas mehr als 4000 Zählern bis Ende 2021 gerechnet hatten.

Beflügelt wurde das Standardwerte-Barometer im ersten Quartal von konjunktursensiblen Titeln aus den Segmenten Energie, Finanzen und Industrie. Technologiewerte wie Apple, die Zugpferde des vergangenen, von der Pandemie geprägten Jahres 2020, hinkten dagegen etwas hinterher. Der technologielastige Composite-Index der Börse Nasdaq lag im gleichen Zeitraum nur um etwas mehr als 6% im Plus.

Vor dem Start der Bilanzsaison für das erste Quartal in der kommenden Woche herrscht weiter große Zuversicht. „Analysten und Unternehmen waren bei den Gewinnprognosen viel optimistischer als sonst“, sagt John Butters, Analyst bei Factset. Nach Angaben des Informationsdienstes kalkulieren Analysten für die im S&P 500 abgebildeten Unternehmen mit einem Gewinnwachstum von knapp 24% gegenüber dem Vorjahr. Zur Erinnerung: Im März 2020, dem Schlussmonat des ersten Quartals, wurde der Ausbruch des Coronavirus zu einer globalen Pandemie erklärt. Geschäftsschließungen und eine schwere Rezession waren die Folge.

Für das Gesamtjahr 2021 kalkulieren Analysten an der Wall Street aktuell mit einem Gewinnzuwachs von 26% und für 2022 mit einem weiteren Anstieg um mehr als 14%. Unternehmensgewinne sind langfristig die wichtigste Triebfeder für Aktienkurse und werden an der Wall Street entsprechend stark beachtet.

Für das erste Quartal lagen die Prognosen für die US-Konzerne zuletzt um acht Prozentpunkte höher als noch am Jahresanfang. Das sind Zahlen der Superlative. Nach Erkenntnissen von Factset handelt es sich dabei um die umfangreichsten positiven Nachbesserungen von Gewinnschätzungen im Laufe eines Quartals, seit die Gesellschaft vor fast zwanzig Jahren mit der Auswertung solcher Daten begonnen hatte.

Es geht dabei nicht nur um das Ausmaß der gestiegenen Gewinnprognosen. Allein die Tatsache, dass die Schätzungen überhaupt angehoben wurden, ist ein klares Signal für wachsende Zuversicht. In der Regel gehen die Prognosen während des Quartals nämlich zurück. Der Grund: Firmen stapeln mit ihren Hinweisen während des Quartals – der sogenannten „Guidance“ – in der Regel tief, um die Prognosen bei der Vorlage der Ergebnisse zu übertreffen.

Im ersten Quartal scheint das Geschäft aber so gut gelaufen zu sein, dass selbst konservative Finanzvorstände ihre Zurückhaltung aufgaben. Von den fast 100 Unternehmen, die bisher Hinweise auf ihre Quartalsergebnisse veröffentlicht haben, äußerten sich knapp zwei Drittel positiv – auch das ein überdurchschnittliches Resultat.

US-Renditen steigen

Am stärksten angehoben wurden die Prognosen für konjunktursensible Energiewerte, Finanztitel und Grundstoffhersteller. Energie- und Grundstoffproduzenten profitieren vom konjunkturgetriebenen Anstieg der Rohstoffpreise, Finanzwerte von Anstieg der langfristigen Zinsen, was auf höhere Erträge im Zinsgeschäft hoffen lässt. Die Rendite amerikanischer Staatsanleihen mit einer Laufzeit von zehn Jahren war angesichts der konjunkturellen Erholung im ersten Quartal von 0,92% auf 1,74% gestiegen. Das Zinsniveau ist im historischen Vergleich aber immer noch sehr niedrig. Die amerikanische Notenbank Fed will an ihrer ultralockeren Geldpolitik festhalten, was Aktienkurse nach Ansicht von Fachleuten weiter stützen könnte. Die Fed hat signalisiert, die Leitzinsen bis mindestens Ende 2023 nahe null zu halten.

„Viele der guten Nachrichten sind bereits in den Kursen abgebildet, aber ich sehe das Potenzial, dass Investoren weiterhin risikoreiche Anlagen in die Höhe treiben, einfach weil so viel Liquidität vorhanden ist und das Umfeld weiterhin günstig ist“, kommentierte Marvin Loh, Stratege der Bank State Street. Nach den jüngsten Rekorden des S&P 500 ist der Aktienmarkt aber hoch bewertet. Factset konstatiert ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 22 auf Basis der Gewinnerwartungen für die kommenden zwölf Monate. Der Zehnjahresdurchschnitt liegt bei 16.

Mit einem KGV von 36 vergleichsweise am höchsten bewertet sind zyklische Konsumwerte, zu denen der Online-Einzelhändler Amazon zählt. Darauf folgen die Tech-Werte mit einem KGV von 26. David Bianco, der für die Region Amerika zuständige Investmentstratege der DWS glaubt dennoch nicht an ein Ende der Tech-Rally. „Zu denken, dass die Technologiebranche nicht von einer erstarkenden Konjunktur und einer Wiedereröffnung der Geschäfte profitieren wird, ignoriert die Geschichte der vergangenen Jahre“, meint Bianco.