GASTBEITRAG

Passives Investieren ignoriert echten Unternehmenswert

Börsen-Zeitung, 27.9.2017 Die kontroverse Diskussion über aktives versus passives Investieren ebbt nicht ab. Während in den vergangenen Jahren ein Großteil der Neuanlagen in Aktien über passive Fonds abgedeckt wurde, mussten aktive Manager massive...

Passives Investieren ignoriert echten Unternehmenswert

Die kontroverse Diskussion über aktives versus passives Investieren ebbt nicht ab. Während in den vergangenen Jahren ein Großteil der Neuanlagen in Aktien über passive Fonds abgedeckt wurde, mussten aktive Manager massive Abflüsse hinnehmen. Die kontinuierlich fortschreitende Digitalisierung hat zu einer Kostenreduktion bei der Beschaffung von Informationen, dem Handel und der Kommunikation geführt. Es scheint nicht tragfähig, weiterhin solch hohe Gebühren für aktiv gemanagte Fonds in Rechnung zu stellen – so die gängige Erklärung für den rasanten Boom von ETFs & Co. Doch ganz so banal und voneinander losgelöst können beide Herangehensweisen nicht betrachtet werden.Aktives und passives Investieren haben ihre Wurzeln in zwei unterschiedlichen Anlagephilosophien und dadurch auch Geschäftsmodellen. Passive Produkte zielen darauf ab, Investoren einen möglichst kostengünstigen Zugang zum Markt oder einem Investmentstil zu geben und verhelfen Anlegern zu indexnahen Ergebnissen. Aktive Produkte auf der anderen Seite nehmen Kosten für die Informationsbeschaffung in Kauf, um Bewertungsunterschiede ausfindig zu machen und diese auszunutzen, um schlussendlich überdurchschnittliche Anlageergebnisse zu erzielen. Interessantes PhänomenDas führt zu einem interessanten und sich gegenseitig beeinflussenden Phänomen: Hin und wieder sind die Aktienmärkte – als Ergebnis der Ausnutzung und damit Korrektur der Fehlbewertungen durch aktive Manager – effizient gepreist. Damit reduziert sich der Informationsvorteil aktiver Manager, und passive Investments erscheinen mit ihren geringen Kosten auf den ersten Blick attraktiver. In der Folge ebnen dann die verstärkten Zuflüsse in passive Investments – ohne Rücksicht auf den eigentlichen fundamentalen Wert der Anlagen – den Weg für neue Fehlbewertungen und ineffiziente Preise. So wachsen wieder die Chancen für aktive Manager, solche Ineffizienzen für sich zu nutzen.Der kürzlich veröffentlichte Artikel “Passive opportunities for active managers” hat eine interessante Analogie für einen toten Wal hergeleitet, der auf den Grund des Ozeans sinkt und damit das Ökosystem um sich herum für Jahre versorgt. Im übertragenen Sinne bieten die gewaltigen Volumina passiver Produkte renditesuchenden, aktiven Managern großartige Möglichkeiten, um in den nächsten Jahren in ihrem Ökosystem neue Alphaquellen und ertragreiche Anlagemöglichkeiten zu finden. Aktive und passive Strategien haben beide berechtigte Argumente, jeweils die bessere Wahl für den Investor zu sein – in der Realität stellen sie aber zwei Seiten einer Medaille dar. Kein Anlagestil kann ohne den anderen existieren, da insbesondere die Gemeinschaft passiver Investoren das wichtigste Element des Anlegens ignoriert: die Preisfeststellung basierend auf Unternehmensbewertungen. Die starke Nachfrage nach passiven Investments und der daraus resultierende Anstieg des Marktanteils führen zu beträchtlichen Verzerrungen am Markt. Passive Investoren setzen sich selbst einem inhärent zwanghaften Kaufen und Verkaufen aus.Veränderungen in einem Index – z. B. durch Aufnahme oder Ausschluss von einzelnen Unternehmen – führen zu sofortigen Transaktionen, ohne Rücksicht auf die Bewertung der Unternehmen oder andere fundamentale Aspekte. Studien zeigen, dass Unternehmen des S & P 500 mit hohem Aufschlag gegenüber Aktien gehandelt werden, die nicht im Index vertreten sind. Ferner zeigt sich, dass auch allgemein für Aktien mit einem hohen Anteil passiver Eigentümer eine wesentlich höhere Bewertung gezahlt wird als für Aktien mit aktiven Eigentümern – auch unter Berücksichtigung von Größe, Region oder Sektor. Es scheint, als ob Aktien mit einem hohen Anteil gleichartiger passiver Investoren weniger stark auf Unternehmensmeldungen wie etwa Gewinnwarnungen reagieren und Fehlbewertungen demzufolge länger anhalten. Da passives Investieren kein Interesse an der Bewertung einer Aktie hat – von der mittel- bis langfristig die Überrendite abhängt -, ergeben sich für aktive Manager Gelegenheiten auf beiden Seiten. Erstens bei der Suche nach Unterbewertungen und zweitens beim Vermeiden von überteuerten Portfoliopositionen.Passive Ansätze können per se bestimmte Anlagechancen nicht nutzen. Aktien werden nicht aufgrund fundamentaler Daten oder ihrer Bewertung gekauft, sondern nur, weil sie in der Vergangenheit gut abgeschnitten haben und zu einem Index gehören. Hoch bewertete bis teure Unternehmen werden in passiven Produkten systematisch übergewichtet. Günstige Unternehmen mit attraktiven Bewertungen in den Produkten, die allein nach Marktkapitalisierung gewichtete Positionen beinhalten, sind hingegen konsequent unterrepräsentiert.Durch fundamentale Entwicklungen und Stimmungsänderungen kehren Märkte jedoch immer wieder zurück zum Mittel bzw. schießen darüber hinaus. Aktives Management wird in diesem Zusammenhang interessanter, je mehr Anleger dessen Relevanz und Mehrwert in Frage stellen und damit weniger Investoren für eine effiziente Preisfeststellung sorgen. Für aktive und benchmarkunabhängige Value-Investoren wird der massive Schub in passive Investments zu neuen Chancen führen, die nur darauf warten, ausgenutzt zu werden.Dafür muss sich die eigene Meinung langfristig vom Markt abheben. Mit der Marktmeinung wird nur eine Rendite erwirtschaftet, die der des Marktes sehr ähnelt. Daher ist es notwendig, auch das Risiko des “Anderssein” zu tragen – eine wichtige Eigenschaft, die eine standhafte emotionale Haltung voraussetzt. Ein unabhängiger Assetmanager hat den großen Vorteil, seinen Einschätzungen und Überzeugungen folgen und von der Herde der Anleger abweichen zu können. Nur so können das durch passive Produkte immer wieder neu geschaffene Alphapotenzial optimal ausgenutzt und die günstigsten Unternehmen mit attraktiver Bewertung gefunden werden.—-Goran Vasiljevic, Chief Investment Officer bei Lingohr & Partner Asset Management