IM INTERVIEW: FELIX BRILL, VP BANK

"Perspektiven haben sich deutlich eingetrübt"

Der CIO über die Folgen des Coronavirus, US-Handelskonflikt und Brexit sowie die Performance der Märkte

"Perspektiven haben sich deutlich eingetrübt"

Herr Brill, welche Erwartungen für die globale Konjunkturentwicklung haben Sie für 2020?Ursprünglich gingen wir davon aus, dass sich die globale Konjunktur im ersten Quartal nach der deutlichen Abkühlung der vergangenen 12 bis 18 Monate stabilisieren wird. Allerdings haben sich kurzfristig die Perspektiven aufgrund des Coronavirus wieder deutlich eingetrübt. Wird der Handelskonflikt zwischen den USA und China 2020 ad acta gelegt?Nein, das denke ich nicht. Wir haben inzwischen einen ersten wichtigen Schritt gesehen, den beide Handelsmächte aufeinander zugegangen sind. Die großen Risiken sind dadurch nun erst mal vom Tisch genommen worden. Wir gehen davon aus, dass jetzt auch zwischen den USA und China keine neuen Zölle mehr dazukommen. Wir glauben aber nicht, dass eine große Einigung in diesem Streit in diesem Jahr sehr wahrscheinlich ist. Ich glaube nicht, dass das noch vor der US-Präsidentschaftswahl eingetütet werden kann, da schlichtweg noch zu viele Aspekte ins Kalkül zu nehmen sind. Nachdem die großen Risiken aus dem Weg geräumt sind, lässt der Druck zu weiteren Einigungen bei beiden Parteien wohl auch etwas nach. Kann der Krisenherd Persischer Golf 2020 via steigende Ölpreise zum neuen Bremsklotz für die Konjunktur werden, und wie wahrscheinlich ist das?Kurzfristig ist das wenig wahrscheinlich. Wir haben nach den Ereignissen zu Jahresbeginn sehr schnell gesehen, dass hier auf Deeskalation gesetzt wurde. Es wurde deutlich, dass sowohl der Iran als auch die USA nicht an groß angelegten kriegerischen Auseinandersetzungen interessiert sind. Diese kurzfristig aufgetretenen Sorgen haben sich sehr schnell wieder in Luft aufgelöst. Das Problem ist hier nicht komplett gelöst, aber wir sehen nicht, dass dieses Thema kurzfristig wieder hochkocht. Deshalb sollte der Ölpreis auf kurze Sicht auch keinen Auftrieb bekommen. Generell zeigt sich aber, dass der Nahe Osten immer wieder für Unruhe sorgen wird. Welche Prognose geben Sie denn für den Ölpreis ab: Wie weit wird er vermutlich steigen?Das ist nur schwer zu prognostizieren. Wenn sich die globale Konjunktur im weiteren Jahresverlauf stabilisieren oder sogar an Fahrt aufnehmen würde, dann sollte nachfragegetrieben eine gewisse Unterstützung für den Ölpreis vorhanden sein. Wir erwarten aber nicht, dass der Ölpreis sehr starke Anstiege in diesem Jahr sehen wird, es sei denn, es kommt eben zu den politischen Störfeuern wie am Persischen Golf und damit zu militärischen Eingriffen. Was erwarten Sie von der Geldpolitik der US-Notenbank Fed: Wird sie 2020 die Leitzinsen weiter senken?Wenn nötig – ja. Das macht die Fed wie angekündigt von der weiteren Wirtschaftsentwicklung abhängig. Sie hat also die Entwicklung der Fundamentaldaten dafür weiter sehr genau im Blick. Bei einer Belebung der Konjunktur ist der Druck zu Zinssenkungen verständlicherweise nicht vorhanden. Sollte sich die Wirtschaftsentwicklung allerdings wieder abschwächen, hat die Fed sicherlich Raum für weitere ein bis zwei Zinssenkungen in diesem Jahr. Das gibt natürlich Zuversicht, dass die Konjunktur nicht nach unten wegbricht. Auf welche Politik können sich die Anleger bei der Europäischen Zentralbank (EZB) einstellen – Fortsetzung von QE?Das steht natürlich auch im klaren Zusammenhang mit der Konjunkturentwicklung in der Eurozone. Die neue EZB-Präsidentin hat signalisiert, dass die Geldpolitik unter ihrer Führung klar unterstützend sein wird. Wir haben keinen Anlass, daran zu zweifeln. Wir erwarten keine Änderung der gegenwärtigen EZB-Geldpolitik, also eine Fortsetzung von QE in diesem Jahr. Da die EZB schon bald bei deutschen Bundesanleihen an die Grenze des Emittentenlimits von 33 % kommen wird, rechnen wir hierbei mit entsprechenden Adjustierungen. Mit welchen Auswirkungen in der europäischen Konjunktur rechnen Sie durch den jetzt vereinbarten Brexit?Die Unsicherheiten werden schon bald zurück sein. Zwar ist der Austritt vollzogen, doch jetzt geht es ums Eingemachte. Die Aushandlung eines Freihandelsabkommens zwischen der EU und Großbritannien ist jetzt ein Tagesordnungspunkt. Typischerweise – das zeigt die Vergangenheit – nimmt so ein Prozess Jahre in Anspruch. Die beteiligten Parteien haben sich eine Frist bis Ende dieses Jahres gesetzt, was als sehr ambitioniert eingestuft werden muss. Es ist aus unserer Sicht sehr unwahrscheinlich, dass man das in diesem Jahr hinbekommen wird. Es besteht also die Gefahr, dass in diesem Prozess immer wieder Unsicherheiten an den Märkten hochkommen werden, ob ein solches Freihandelsabkommen letztlich auch zustande kommt. Und Verunsicherung ist gerade auf der Investitionsseite von Unternehmen Gift. Wir halten es für wahrscheinlich, dass es zu einer Verlängerung dieser Übergangsfrist kommen wird, da die Verhandlungen mehr Zeit beanspruchen werden. Das Thema Brexit und die Folgen für die Märkte und die Konjunktur werden uns noch eine ganze Weile beschäftigen. Der Brexit zeigt dabei schon seit geraumer Zeit sein hässliches Gesicht. Vergleicht man die Jahre 2018 und 2015, so exportiert etwa Deutschland bereits 7 Mrd. Euro weniger Waren nach Großbritannien. Die Aktienmärkte in Europa sind 2019 gut gelaufen, so zum Beispiel der Dax. Wird 2020 erneut ein guter Aktienjahrgang?Die Voraussetzungen waren zu Jahresbeginn eigentlich gut für die Aktienmärkte. Die Turbulenzen der vergangenen Tage haben aber gezeigt, wie schnell die Verunsicherung die Oberhand gewinnen kann. Welche Branchen sind in diesem Umfeld aussichtsreich?Derzeit bestehen große Bewertungsdiskrepanzen zwischen den Sektoren. Doch nicht alles, was günstig ist, ist auch interessant. Europäische Banken stehen vor einer Neubewertung. Die jüngsten Ergebnisse zeigen eine neue operative Stärke, das überrascht viele Anleger. Hier eröffnen sich dann interessante Perspektiven. Wenn man sich an Themen orientiert, dann könnte Cybersecurity ein interessantes Feld für Investments sein. Man sollte im Technologiebereich eben nicht nur auf die großen Namen – also FANG – setzen. Gerade beim Aspekt Cybersecurity gibt es sehr interessante Unternehmen. Und welche Branchen sind nicht so attraktiv in diesem Umfeld?Man sollte nicht alle Unternehmen über einen Kamm scheren. Wir meiden derzeit Unternehmen mit geringer Visibilität. Die finden sich derzeit primär im Autosektor, und hier vor allem bei den Zulieferern, aber auch bei zyklischen Industriewerten mit China-Exposure. Bleiben an den Anleihemärkten die Vorzeichen bei den Renditen bei minus?Vom Niveau aus betrachtet ist davon auszugehen. Starke Bewegungen nach oben wären schon eine Überraschung. Auch wenn die Geldpolitik hier weiter unterstützend wirkt, gehen wir davon aus, dass wir an langen Laufzeitenden eine leichte Bewegung der Renditen nach oben sehen werden, denn die Niveaus sind hier schon sehr tief im Minusbereich angekommen. Das könnte auch mittelfristig durch eine zyklische Stabilisierung der Wirtschaft getrieben werden. Dies sollte sich also auch positiv in der Renditeentwicklung niederschlagen. Im Euroraum und auch im Schweizer Franken bleiben wir über den Großteil der Renditestrukturkurve hinweg betrachtet aber im Minus. Im Dollar werden Negativrenditen aller Voraussicht nach aber nicht eintreten. Das Interview führte Kai Johannsen.