IM INTERVIEW: GERGELY MAJOROS, CARMIGNAC

"Politik hat extreme Bedeutung an den Märkten"

Mitglied des Investmentkomitees: Die neuen echten Defensiven sind ausgewählte Technologiewerte und Healthcare-Aktien

"Politik hat extreme Bedeutung an den Märkten"

Im aktuellen Umfeld ist nach Auffassung des Assetmanagers Carmignac eine weniger risikobetonte Positionierung angebracht. Gergely Majoros, Mitglied des Investmentkomitees, begründet dies u. a. mit einer sich verlangsamenden Konjunktur und der restriktiveren Geldpolitik.- Herr Majoros, wie stellt sich das Umfeld dar, mit dem sich die Investoren derzeit auseinandersetzen müssen?Wir haben eine spannende Situation mit bedeutenden Veränderungen, die gleichzeitig in drei Zyklen stattfinden. Eine betrifft den seit 2016 anhaltenden globalen Aufschwung. 2017 ist er global geworden, nun ist er im Begriff, sich zu verlangsamen. Das ist relevant für Überlegungen, ob stärker auf defensive zu Lasten von zyklischen Aktien gesetzt werden sollte. Hinzu kommt die Veränderung des Liquiditätszyklus. Die Zentralbanken führen den Märkten insgesamt immer weniger Liquidität über Anleihekäufe zu. Die Märkte müssen nun damit zurechtkommen, dass der Liquiditätsschub zurückgeht. Am weitesten fortgeschritten ist die Fed, die nach mehreren Zinsanhebungen bereits begonnen hat, ihre Bilanz zu reduzieren. Schließlich haben wir einen Politikzyklus, der durch Wahlen gekennzeichnet ist, die in immer mehr Ländern extremer ausfallen.- Welche Rolle spielt der Handelskonflikt?Das ist eine Facette des Politikzyklus, ebenso wie unter anderem die Entwicklung in Italien. Die Politik hat inzwischen eine extreme Bedeutung an den Märkten. Dass politische Börsen kurze Beine haben, wie so oft gesagt wird, trifft derzeit eindeutig nicht zu. Das Thema wird uns noch eine Weile beschäftigen. Im Grunde genommen handelt es sich um einen Aufstand gegen die etablierte Wirtschaftsordnung als Reaktion auf Konsequenzen der Globalisierung oder die orthodoxe Fiskalpolitik in Europa. Obwohl die Finanzmärkte in den zurückliegenden Jahren stark gestiegen sind, haben nicht alle davon profitiert. Die Verteilung ist ziemlich unfair, was teilweise für den Wahlsieg von Donald Trump verantwortlich ist. In den USA wird sogar der freie Handel in Frage gestellt. Insgesamt ist für die Investoren nicht mehr die politische Visibilität gegeben, die in den zurückliegenden Jahren Bestand hatte.- Fundamental sieht die Lage doch nicht so schlecht aus, wenn man etwa auf die Entwicklung der Unternehmensgewinne schaut.Zugegebenermaßen ist nicht alles schwarz. Aber man muss sich mit den Themen beschäftigen, um die Portfolios richtig aufzustellen. Wir haben eine Reduktion der Dollar-Liquidität durch die Fed. Global gesehen wird die Menge an Dollar immer weniger. Gleichzeitig emittieren die USA immer mehr Treasuries, weil die Schulden steigen. Ein steigender Teil der Dollar-Liquidität wird von Treasuries beansprucht, immer weniger bleibt für die Emerging Markets übrig. Erste Opfer unter den Schwellenländern sehen wir bereits. Interessant ist, wenn man sich zum Beispiel die Leistungsbilanzen dieser Länder anschaut, dass die Fundamentaldaten für die meisten Emerging Markets tendenziell gesund sind. Aber derzeit setzen ihnen exogene Faktoren wie der Dollar sowie der Handelskonflikt zu. Im Umkehrschluss heißt das aber auch: Lassen diese Belastungsfaktoren nach, bieten sich in den Emerging Markets Einstiegsgelegenheiten.- Wie wird sich der Handelskonflikt Ihrer Einschätzung nach weiterentwickeln?Wir gehen davon aus, dass Trump im Hinblick auf die Zwischenwahlen im November eine politische Agenda verfolgt. Er will seine Mehrheiten im Kongress halten. Vorerst sind wir vorsichtig. Der Handelskonflikt mit China könnte zunächst eskalieren. Wir erwarten, dass es im Vorfeld der Wahlen eine Beruhigung geben wird, weil es irgendeinen Deal geben könnte. Das ist ein Szenario, das wir uns gut vorstellen können. Für die Zeit bis dahin haben wir die Risiken in unseren Fonds teilweise zurückgefahren.- Wie haben Sie das gemacht?Wir haben risikobehaftete Assetklassen reduziert. So haben wir Positionen in Emerging Markets verkauft. Ferner haben wir im Bereich Unternehmensanleihen abgebaut, weil sie von Notenbankliquidität abhängig sind. In dieser Assetklasse sollte man sehr selektiv sein. Auch Peripherieanleihen haben wir reduziert, generell Spread-Produkte. Am Aktienmarkt haben wir angesichts der konjunkturellen Verlangsamung viele Zykliker verkauft.- In was haben Sie umgeschichtet?In Wachstums- beziehungsweise defensive Aktien. Historisch hat man in so einem Umfeld Aktien von Unternehmen gebraucht, die Produkte bieten, die jeden Tag gebraucht werden, also etwa Konsumgüterhersteller oder Einzelhändler. Aber diese funktionieren nicht mehr so gut, weil es disruptive Unternehmen wie Amazon gibt. Die neuen echten Defensiven sind ausgewählte Technologiewerte sowie Healthcare-Aktien. Die Gewinnentwicklung der traditionellen Konsumwerte ist nicht mehr gut genug für ein Umfeld schwachen Wachstums. Sie erfüllen ihre defensive Funktion nicht mehr, weil sie Marktanteile und Preissetzungsmacht verlieren. Viele große Tech-Werte sind sehr profitabel und haben hohe freie Cash-flows. Sie sind nicht mit der Tech-Branche des Jahres 2000 vergleichbar. Die höhere Bewertung ist in Wirklichkeit nicht so extrem, weil die Gewinne dieser Unternehmen drei- bis viermal so schnell wachsen wie die des Gesamtmarktes.- Setzen Sie also auf die Aktien der disruptiven Unternehmen?Das tun wir, aber man muss sehr selektiv sein. Die Unternehmen haben zum Teil sehr extreme, aggressive Strategien. Teilweise setzen sie nur auf Marktanteile und nicht auf Profitabilität. Dahinter steht in manchen Fällen der Gedanke, alle anderen zu verdrängen, um am Ende allein übrig zu bleiben. Die Unternehmen etablieren sich, nehmen traditionellen Anbietern Marktanteile weg und konkurrieren dann letztlich untereinander. Langfristig ist dabei im Hinblick auf Monopolbildung mit Problemen zu rechnen.- Würden Sie ein paar Beispiele nennen?Amazon setzt den Konsumgüterproduzenten mittlerweile durch eigene Marken zu. Früher war Amazon nur einer ihrer großen Kunden, mittlerweile ein starker Konkurrent. Ähnliche disruptive Tendenzen gehen von der Biotech- auf die Pharmabranche und von den Fintechs auf den Finanzsektor aus. Ein weiteres Beispiel: Durch Lieferdienste wie Foodora entstehen mit der Zeit Konkurrenten für traditionelle Restaurants. Es gibt bereits in einigen Ländern sogenannte Ghost Restaurants ohne Tische und Stühle, die exklusiv für Lieferdienste kochen. Wir mögen diese disruptiven Unternehmen, u.a., weil sie Marktanteile gewinnen. Dadurch können sie Wachstum aufweisen in einem Umfeld, in dem es insgesamt weniger Wachstum gibt. – Haben Sie auch in sichere Häfen umgeschichtet?Das haben wir. So haben wir unsere Dollar-Gewichtung hochgefahren. Treasuries bieten in der zehnjährigen Laufzeit 3 %, ein Traum im Vergleich zu Europa. Wir divergieren vom Konsens, was das US-Wachstum betrifft. Laut Bloomberg werden 2,9 % erwartet. Wir sind da vorsichtiger, denn der Konsument kann das Wachstum seiner Ausgaben nicht unendlich steigern. Zudem könnten bei den Unternehmen bald Enttäuschungen bei den Investitionen zu sehen sein. Derzeit ist die US-Konjunktur relativ stark, der Trump-Effekt verlängert den Zyklus. Andere Regionen wie Europa verlangsamen sich. Dem werden sich die USA letztendlich nicht entziehen können. Hinzu kommt, dass die Fed die Zügel anzieht.- Was erwarten Sie auf der Inflationsseite?Wir gehen davon aus, dass der aktuelle Anstieg der Inflation eher zyklischer Natur ist. Wenn die Verlangsamung in den USA kommt, wird sie sich wieder beruhigen. Wir teilen nicht die Meinung, dass der Inflationsanstieg struktureller Natur ist und sich fortsetzen wird. Das ist ein weiterer Grund, warum wir Treasuries gekauft haben. Es gibt derzeit eine hohe Zinsdifferenz zu den Bundesanleihen, die im Zehnjahresbereich bei 0,40 % liegen, und wir glauben, dass das konvergieren wird. Mit der gerade begonnenen geldpolitischen Normalisierung in Europa sollten die Bundrenditen etwas anziehen. Bei der zehnjährigen Bundrendite ist das Risiko in dem Umfeld mit recht gutem Wachstum und der etwas höheren Inflation ganz klar nach oben gerichtet. Das sollten die Bundesanleihen über kurz oder lang reflektieren. Wenn mit der Europäischen Zentralbank der große Käufer wegfällt, wird das Makroumfeld wieder eine größere Rolle spielen.—-Das Interview führte Christopher Kalbhenn.