MARKTCHANCEN 2019

Politische Risiken ein ernstzunehmender Anlagefaktor

Handelshemmnisse und Sanktionen führen zu volatilen Assetpreisen und höheren Risikoprämien - Marktinfrastrukturen von Eingriffen bisher kaum betroffen

Politische Risiken ein ernstzunehmender Anlagefaktor

Von Dietegen Müller, FrankfurtProtektionismus ist kein neues Phänomen. In der ersten Hälfte der achtziger Jahre gab es unter US-Präsident Ronald Reagan angesichts sich ausweitender Handelsbilanzdefizite bei gleichzeitig steigendem Dollar-Kurs prominente Fürsprecher von neuen Zöllen. John Mitchell, CEO von Motorola, hatte damals die Einführung eines 20-%-Sonderzolls auf Importe gefordert. Anders als heute war dies chancenlos, doch setzten die USA in einigen Branchen tatsächlich Handelshemmnisse um.Heute sind die Finanzmärkte noch vernetzter als damals. Dies liegt an den globalisierten Wertschöpfungsketten. Diese komplexen Handelsbeziehungen, wie Agustín Carstens, Chef der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), sagt, brauchen komplexe Finanzdienstleistungen, um Produktionsprozesse zusammenzukleben. Um Betriebsvermögen und Fremdwährungsrisiken zu managen, würden Derivate und Hedging-Strategien benötigt, die alle auf dem Dollar aufbauten, so Carstens.Protektionistische Eingriffe haben sich bisher vor allem auf Preise, aber kaum auf Marktinfrastrukturen ausgewirkt. Mit Ausnahme einiger Sanktionen – die z. B. 2018 die Abwicklung bestimmter russischer Wertpapiere in Europa kurz behinderte – sind konkrete Auswirkungen ausgeblieben. Internationale Zentralverwahrer wie Clearstream oder Euroclear, die zur weltweiten Vernetzung des Finanzsystems beitragen, beäugen aber besorgt mögliche Eingriffe, die grenzüberschreitende Kapitalflüsse beeinträchtigen könnten. Marc Robert-Nicoud, Head of Strategy & Controls bei Clearstream, sagt, eine funktionierende Finanzindustrie sei “essenziell für Wachstum in der Realwirtschaft”. Angesichts des herausfordernden Umfelds müssten Finanzakteure ein hohes Maß an politischen, aufsichtsrechtlichen und regulatorischen Vorgaben erwarten. Eine der Hauptaufgaben von Finanzmarkt-Infrastrukturanbietern sei es, dabei zu unterstützen, “dass die regulatorische und politische Agenda mit dem Streben der Industrie nach Wachstum, Sicherheit und Innovation” übereinstimme. Spaltende Ereignisse wie der Brexit und Komplikationen in globalen Handelsbeziehungen würden Initiativen wie die Banken- oder Kapitalmarktunion und deren Beitrag für eine gesunde Finanzindustrie unentbehrlich machen.Für Investoren ist ein Umfeld mit Handelsbeschränkungen grundsätzlich kein gutes. “Um den Zeitpunkt herum, wo breit angelegte Restriktionen eingeführt werden, sinken der Wert des Eigenkapitals und die Beschäftigungszahl, statt sich zu verbessern”, hielt schon 1986 eine Gruppe Wissenschaftler um Victor Canto im “Financial Analysts Journal” fest.Handelshemmnisse bremsen den Wettbewerb und die optimale Verteilung des Investitionskapitals, ist eine gängige Lehrmeinung. BIZ-Chef Carstens führt als Beispiel die Handelskonflikte der USA mit Mexiko sowie mit Europa und China an. Diese zeigten die engen Verbindungen zwischen Real- und Finanzwirtschaft. Die hohe Volatilität des mexikanischen Peso während der Verhandlungen über ein neues Freihandelsabkommen zwischen den USA und Mexiko 2017 und 2018 spiegele dies wider. Verunsicherte AutoaktionäreAuch Aktieninvestoren in entwickelten Ländern ziehen aus Handelsschranken Konsequenzen, so die BIZ. Die Bank der Zentralbanken verweist auf die Kursentwicklung der US-Autoaktien GM und Ford am 25. Juli 2018. Die Titel standen zunächst unter Druck, weil die Unternehmen erklärt hatten, dass gestiegene Kosten für Stahl und Aluminium – bedingt durch neue Zölle sowie sanktionsbedingt gestiegene Preise – zu einer Ergebnisbelastung 2018 führten. Im weiteren Handelsverlauf sorgte aber ein Treffen zwischen US-Präsident Donald Trump und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, das die Einführung neuer US-Zölle auf Autos unwahrscheinlicher erschienen ließ, für eine Erholung (vgl. Grafik). Carstens sagte in einer Rede auf der Jackson-Hole-Konferenz 2018, ein Rückzug auf den Protektionismus riskiere die Auflösung gegenseitiger finanzieller Abhängigkeiten, die überhaupt erst den Handel und Investitionsbeziehungen ermöglichen und ermutigen.Auch Professor Adalbert Winkler von der Frankfurt School of Finance & Management sagt, der zunehmende Populismus richte sich auch gegen die globale Vernetzung der Wirtschaft: “Die Globalisierung ist in Frage gestellt.” Es gebe auf der güterwirtschaftlichen Seite durch neue Handelshemmnisse Eingriffe. Doch sei es bisher nicht zu vergleichbaren Maßnahmen auf der Kapitalmarktseite gekommen. “Solche Einschränkungen würden auch eher inkonsistent sein mit der auf Finanzmarkt-Deregulierung ausgerichteten Politik von US-Präsident Donald Trump.” Finanzsektor als DruckmittelFür Jan Pieter Krahnen, Direktor des Forschungszentrums SAFE (Sustainable Architecture for Finance in Europe) an der Goethe-Universität, hat an den Finanzmärkten eine neue Art von Risiken Bedeutung gewonnen, nämlich das Risiko politisch motivierter Eingriffe. “Der Finanzsektor stellt dabei eine leicht und weltweit erreichbare Infrastruktur dar, die im Rahmen internationaler Politik zunehmend als Druckmittel genutzt wird.” Die globalen Finanzbeziehungen seien dichter und enger als früher, und die Gefahr einer Politisierung von Finanzstrukturen sei in den vergangenen Jahren gestiegen.Protektionismus spiele durch das verbreitete Auftreten populistischer Strömungen in der Politik auch eine größere Rolle und “übe sich ein”, auch Finanzmarktinfrastrukturen zu eigenen Zwecken zu instrumentalisieren, so Krahnen. So würden Finanzierungstransaktionen Dritter als Druckmittel verwendet, wie in den US-Sanktionen gegen den Iran. Dies verunmögliche europäischen Banken solche Geschäfte. Sie könnten sonst vom Dollar-Clearing abgeschnitten werden. Generell sei der Zahlungsverkehr der einfachste Ansatzpunkt für Interventionen. Es sei deshalb zu erwarten, dass nach neuen Architekturen im Zahlungsverkehr gesucht werde. Kryptowährungen im Visier Als alternative “Architektur” werden mitunter sogenannte Kryptowährungen gesehen, die grenzüberschreitend handelbar sind und sich bisher weitgehend einer Regulierung entziehen. Kryptowährungen nehmen damit auch die Aufgabe eines Transfermittels für Fluchtgelder ein. Namentlich die Vereinigten Staaten haben hierauf auch ein Auge: Das Office of Foreign Asset Control (OFAC) hat Ende November zwei Bitcoin-Adressen von Iranern auf die Sanktionsliste gesetzt. Diese hätten über eine Erpressersoftware illegale Bitcoin-Transaktionen durchgeführt.Ein anderer Trend ist der Versuch von Regierungen, neue Allianzen zu schließen und die Rolle des Dollar als Zahlungsmittel zu schwächen. So will die EU-Kommission die globale Bedeutung der Gemeinschaftswährung stärken, unter anderem durch eine Vollendung der Kapitalmarktunion und eine verbesserte europäische Finanzmarktinfrastruktur. Die Kommission befragt auch Marktteilnehmer, wie der Euro im globalen Handel mit Öl und Gas, Metallen, Mineralien und Agrarrohstoffen an Bedeutung gewinnen könne. China wiederum hat das Cross-Border Interbank Payment System (CIPS) aufgebaut, eine Alternative zum Finanztransaktionssystem Swift, und lancierte auf Renminbi lautende Öl- und Eisenerz-Terminkontrakte als Alternativen zu Dollar-Kontrakten. “Märkte eher regionaler”Die Veränderungen von Finanzmarktinfrastrukturen können dabei durchaus realwirtschaftliche Konsequenzen haben. Krahnen zufolge ist durch die Aufteilung des Euro-Zinsderivatemarkts vor dem Hintergrund des Brexit die Verunsicherung gestiegen und haben sich die Finanzierungskosten erhöht. “Es werden Barrieren aufgebaut, die Märkte werden eher regionaler.” Doch letzten Endes müsse allen Beteiligten klar sein, dass sie im selben Boot sitzen – was die Kompromissfähigkeit erhöhen dürfte. Krahnen sieht von den USA derzeit auch protektionistische Tendenzen in Finanzmärkten ausgehen; sie seien Teil einer Politisierung der Finanzstrukturen. Dazu gehöre etwa die Drohung des Chairman der Derivateaufsicht CFTC, Christopher Giancarlo, europäischen Banken den Zugang zum US-Markt zu versagen, sollte die Europäische Union mehr Einblickrechte in Drittstaaten-Clearinghäuser gesetzlich verankern. “Solche Strukturen können in einem Konflikt auch von beiden Seiten genutzt werden.” Im Kern gehe es hier um die Frage, welche Einflussmöglichkeiten die USA und die EU künftig auf den dominanten Finanzplatz London haben.Harte Eingriffe sind trotz aller Rhetorik selten. Auf dem Höhepunkt der türkischen Finanzkrise im August 2018 hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärt, Kapitalverkehrskontrollen auszuschließen – bisher hielt er Wort. Solche Eingriffe, aber auch Sanktionen können Marktverwerfungen hervorrufen. US-Sanktionen gegen den russischen Aluproduzenten Rusal haben 2018 zeitweise den Alupreis stark verteuert. Und die Iran-Sanktionen Öl zeitweise ebenso. Erst als die USA eine lange Liste mit Ausnahmen vorlegten, verflüchtigte sich der Effekt.Ein Umfeld mit mehr Handelsbeschränkungen und konfrontativem Politikstil birgt viele Herausforderungen für Investoren. Etliche Strategen erwarten daraus abgeleitet Inflationsrisiken und eine erhöhte Marktvolatilität. Wie unsicher der Markt in der Beurteilung der Folgen des Handelskonflikts ist, zeigt sich an der Kursentwicklung des Halbleiterherstellers Infineon (vgl. Chart). Nach dem G20-Gipfel Ende November wurde ein “Waffenstillstand” in neuen Zöllen begrüßt. Doch dann gewannen Skeptiker die Oberhand. Politische Risiken haben also Marktinfrastrukturen noch nicht bleibend verändert. In der Bewertung von Assetpreisen sind aber höhere Risikoprämien sichtbar.