DEVISENWOCHE

Populismus und Fundamentalfaktoren

Von Hans-Peter Rathjens *) Börsen-Zeitung, 5.6.2018 "Die Wissenschaft", so der schottische Nationalökonom und Moralphilosoph Adam Smith, "ist das Gegengift der Verführung und des Aberglaubens." Ach, würden die agierenden Politiker doch diesen Satz...

Populismus und Fundamentalfaktoren

Von Hans-Peter Rathjens *)”Die Wissenschaft”, so der schottische Nationalökonom und Moralphilosoph Adam Smith, “ist das Gegengift der Verführung und des Aberglaubens.” Ach, würden die agierenden Politiker doch diesen Satz beherzigen, die Welt nicht nur auf 280 Twitter-Zeichen reduzieren und nicht von Tweet zu Tweet hüpfen! Ein auch nur flüchtiger Blick in ein Standardlehrbuch des Außenhandels zeigt, dass offene Märkte wohlstandsfördernd sind und bei einem Handelskrieg alle verlieren. Die auf David Ricardo – auch er ein Klassiker der Volkswirtschaftslehre – zurückgehende Theorie des komparativen Kostenvorteils macht in wenigen, leicht nachvollziehbaren Schritten deutlich, dass Länder von Spezialisierungen profitieren und ihre Konsummöglichkeiten beim internationalen Warenaustausch merklich steigen. Natürlich hat die Spezialisierung zur Konsequenz, dass Arbeitsplätze in einer Branche oder in einer Region abgebaut werden. Dafür entstehen aber neue und produktivere an anderer Stelle. Dies ist ein schmerzhafter Prozess der Reallokation von volkswirtschaftlichen Ressourcen, der von einer unterstützenden Wirtschaftspolitik begleitet werden muss. Nur so kann verhindert werden, dass letztlich Populismus die Oberhand bei den von Stellenverlust und Umstrukturierung Betroffenen gewinnt. Komparative VorteileBei funktionierenden Märkten werden sich die relativen Kostenvorteile auch in den Preisen widerspiegeln. Unterschiede in den Güterpreisen implizieren nämlich auch divergierende Tauschrelationen, also komparative Vorteile bei dem einen und entsprechende Nachteile bei dem anderen Produkt. Dies geht einher mit der Erfahrung, dass ein Land nur solche (homogenen) Waren exportiert, wenn die in gemeinsamer Währung ausgedrückten Preise niedriger als im Bestimmungsland sind. Sieht man einmal von Kapitalbewegungen ab, wird sich nach Aufnahme des Handels der Wechselkurs – Flexibilität vorausgesetzt – so einspielen, dass Ex- und Importwert überstimmen. Die Handelsbilanz ist also ausgeglichen. US-Präsident Donald Trump verweist einseitig auf den Verlust von Jobs und sieht nicht – oder will sie nicht wahrnehmen – die Wohlfahrtsgewinne aus der Spezialisierung. Tarifäre Handelshemmnisse sollen nun diesen Prozess umkehren. Kurzfristig kann ein so großes Land wie die USA aufgrund der Rückwirkung auf das Preissetzungsverhalten des Handelspartners einen Vorteil aus Einfuhrabgaben ziehen, indem es das Exportland zu Preissenkungen zwingt. In der Literatur wird dies unter dem Stichwort “Optimalzoll-Theorie” und “Terms-of-Trade-Gewinne” aufgrund von relativen Preisverschiebungen behandelt.Allerdings folgt auf eine Maßnahme zumeist eine Gegenmaßnahme und unversehens befindet sich die globale Wirtschaft in einer negativen Abwärtsspirale, die sich selbst verstärkt. Wer generell skeptisch gegenüber jeder Art von Theorie ist, sollte sich in einer ruhigen Minute die Entwicklung des Welthandels im Zuge diverser Zollsenkungsrunden nach dem Zweiten Weltkrieg anschauen. Die Zollschranken wurden reduziert, der Welthandel prosperierte und die realen Einkommen kletterten deutlich. “Je größer der Markt”, führt Adam Smith aus, “desto größer der Wohlstand”. Interessanterweise konzentriert sich die aktuelle Diskussion auf die tarifären Handelshemmnisse. Hierzu gehören neben den Zöllen auch Exportsubventionen und Mindestpreise. Doch haben nach der Finanzkrise immer mehr Länder auf sogenannte nichttarifäre Handelshemmnisse zurückgegriffen, wodurch der inländische Marktzugang erschwert wird. Hierzu zählen Importquoten für bestimmte Produkte, “freiwillige” Handelskontingente sowie technische und rechtliche Vorschriften: u. a. Qualitäts-, Umwelt- und Sozialstandards. Und welches Land steht hierbei an vorderster Stelle? Es sind die USA, die zwischen 2009 und 2017 rund 800 nichttarifäre Hemmnisse implementiert haben – mehr als das Doppelte von Indien, das an zweiter Stelle steht, und mehr als das Dreifache von Russland, das den dritten Platz einnimmt. Im Zustand der Unschuld befindet sich allerdings auch Deutschland nicht, mit immerhin 131 Maßnahmen. Wirkung von RohstoffpreisenNeben Handelsschranken werden die klassischen Fundamentalfaktoren auch weiterhin eine dominierende Rolle für die internationalen Devisenmärkte spielen und das analytische Geschick der professionellen Wechselkursbeobachter herausfordern. Dazu zählen die unterschiedlichen Geldpolitiken der Notenbanken mit ihren Auswirkungen auf die realen Zinssätze, die Verschuldung der öffentlichen Haushalte, die Produktivitätsentwicklung einer Volkswirtschaft sowie die schon erwähnten Terms of Trade, also das Verhältnis von Export- zu Importpreisen eines Landes. Eine wichtige Determinante der Terms-of-Trade sind die Rohstoffpreise, deren kräftiges Auf und Ab auch immer Wohlstandsgewinne und -verluste nach sich zieht, mit entsprechenden Ausstrahleffekten auf die Wechselkurse. Nach dem Kollaps der Rohstoffpreise von Mitte 2014 bis Ende 2015 profitiert nun ein Großteil der Schwellen- und Entwicklungsländer – aber auch Industriestaaten wie Norwegen und Australien – von deren Erholung. Ein Prozess, der vermutlich noch einige Zeit anhalten wird.Es ist müßig, an dieser Stelle darüber zu spekulieren, ob der derzeitige Handelskonflikt in einen offenen Handelskrieg mündet. Die Hoffnung bleibt, dass sich langfristig doch Rationalität durchsetzt und dass der Blick in den gut ausgeleuchteten Abgrund allen Beteiligten die Fallhöhe und die zerstörerische Aufschlagsgeschwindigkeit klar vor Augen führt. Erste Runde an den DollarFalls es aber tatsächlich zu einem Handelskrieg kommt, sind verschiedenste makroökonomische Szenarien mit diversen Verästelungen und internationalen Rückwirkungen denkbar. Kurzfristig erscheint für den US-Dollar die folgende Gedankenkette plausibel: Die Einführung der Zölle erhöht intern den Preisdruck, aufgrund anziehender Importkosten sowie eines nachlassenden Wettbewerbsdrucks. Vor dem Hintergrund einer ohnehin vollbeschäftigten Wirtschaft, der expansiven Fiskalpolitik sowie zunehmender außenwirtschaftlicher Ungleichgewichte muss die Notenbank Fed kräftig auf die geldpolitische Bremse treten. Die Realzinsen schießen nach oben und der US-Dollar wird in der ersten Runde zunächst fester.—-*) Hans-Peter Rathjens ist Senior Investment Stratege bei Allianz Global Investors.