Erdgas

Preissprung an Europas Gasmarkt

Am europäischen Spotmarkt für Erdgas liegen die Nerven blank, weil die wichtige Yamal-Pipeline derzeit kein Erdgas von Russland nach Deutschland transportiert.

Preissprung an Europas Gasmarkt

Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt

Am europäischen Spotmarkt für Erdgas liegen wieder einmal die Nerven blank. Der Monatskontrakt für Erdgas am niederländischen Knotenpunkt TTF ist in der Spitze um 14% auf 74 Euro je Megawattstunde nach oben gesprungen. Später beruhigte sich die Lage wieder ein wenig, und der Kontrakt wurde mit einem Aufschlag gegenüber dem Vortag von 7% bei 69,40 Euro gehandelt.

Anlass für den Preissprung war die Meldung, dass über das Wochenende die Lieferung russischen Erdgases über die Yamal-Pipeline zum Erliegen gekommen sei und dass in der Folge Erdgas sogar in der entgegengesetzten Richtung, also nach Russland hin, geflossen sei. In einigen europäischen und amerikanischen Medien war daraufhin bereits wieder davon die Rede, dass es sich hier um den Versuch einer politischen Erpressung durch den russischen Präsidenten Wladimir Putin handeln könne, zumal Gazprom auf der jüngsten Auktion am 18. Oktober beim polnischen Pipeline-Betreiber Gaz-System Transportkapazitäten über den polnischen Transitpunkt Kondratski geordert hat, die lediglich 35% der von Polen angebotenen Gesamtkapazitäten entsprechen.

Notorisch volatil

Diese von Medien geäußerten Vermutungen waren es dann, die am notorisch volatilen europäischen Spotmarkt den starken Preissprung auslösten. Anfang Oktober war der TTF-Monatskontrakt bereits auf ein Allzeithoch von 150 Euro je Megawattstunde gestiegen, mit der Folge, dass sich die europäische Politik und die Verbraucher der Gaskrise be­wusst wurden. Damals hatten Bemerkungen Putins, Russland werde bei Bedarf zusätzliches Gas liefern, für eine gewisse Beruhigung der Lage am Spotmarkt gesorgt, so dass sich der Gaspreis gegenüber dem Rekordhoch wieder halbierte.

Von Gazprom, die über das Exportmonopol für Erdgas verfügt, hieß es gemäß einer Meldung der Nachrichtenagentur Interfax jetzt, sämtliche europäischen Kunden würden vollständig bedient. Fluktuationen in der Nachfrage für russisches Erdgas – und damit die über die Pipelines gelieferten Mengen – hingen von den aktuellen Bedürfnissen der Kunden ab. Diese Stellungnahme sorgte für die genannte Normalisierung am Spotmarkt. Ein Sprecher von Gaz-System betonte in einer E-Mail, derzeit gebe es keine Nachfrage für Gastransit in Richtung Deutschland.

Während am Markt vermutet wird, dass der Gaspreis in den nächsten Tagen wieder Rekordniveau erreichen könnte, sofern die Yamal-Pipeline nicht größere Gasmengen Richtung Westen transportiere, gibt es andere Hinweise, die eher für eine Normalisierung der Lage und für einen sinkenden Gaspreis sprechen. So ist auf der Website des russischen Präsidialamts das Protokoll eines aktuell geführten Gesprächs Putins mit dem Gazprom-Verwaltungsratsvorsitzenden Alexej Miller zu finden. Darin betont Miller, dass die russischen Lager zur Bedienung der eigenen Nachfrage bereits zum 1. No­vember die Zielgröße von 72,6 Mrd. Kubikmeter erreicht hätten und per 8. November komplett gefüllt sein sollten. Putin forderte Miller auf, dafür zu sorgen, dass ab 8. November derzeit weitgehend leere unterirdische Lager in Deutschland und Österreich, die Gazprom gehören, mit hoher Priorität gefüllt werden sollen. Dies werde dazu führen, so Putin, dass Russland seine vertraglichen Verpflichtungen erfüllen und Europa im Herbst und Winter mit zusätzlichem Gas versorgen könne.

Die aktuelle europäische Gaskrise ist auf eine Reihe von Faktoren zurückzuführen, für die im Wesentlichen die Politik der EU-Kommission und der Regierungen der EU-Länder verantwortlich ist. Zu nennen sind der deutsche Ausstieg aus der Kernenergie und die Abkehr von der Kohle als einer sehr schmutzigen Quelle für die Grundversorgung mit Elektrizität. Zudem hatte die EU-Kommission mit Marktregulierungen gegen langfristige Lieferverträge mit Russland agiert und für die Entwicklung des europäischen Spotmarktes ge­sorgt. Dann kam es zu einem harten Winter mit hohem Gasverbrauch bei gleichzeitig aufgrund von Windmangel reduzierter Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen. In der ersten Jahreshälfte 2021 ist die europäische Gasförderung um 22,5 Mrd. Kubikmeter zurückgegangen.

Hohes Defizit

Dadurch fehlen in den europäischen Gasspeichern 18,5 Mrd. Kubikmeter, zum Beginn der Heizsaison waren sie somit nur zu 71% gefüllt. Gleichzeitig entzogen die USA dem europäischen Markt 9 Mrd. Kubikmeter Flüssiggas, die sie wegen eines dort höheren Preisniveaus nach Asien und Lateinamerika umleiteten. Insgesamt beläuft sich das europäische Defizit auf 70 Mrd. Kubikmeter. Sollten beide Stränge der neuen Nord-Stream-2-Pipeline zeitnah in Betrieb gehen und dazu die Genehmigung erhalten, kann Russland zusätzliche 55 Mrd. Kubikmeter liefern. Derweil scheint sich der Genehmigungsprozess­ hinzuziehen. Zudem hat sich Grünen-Chefin Annalena Baerbock erneut gegen eine Betriebsgenehmigung für die Pipeline ausgesprochen.

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