US-Rüstungskonzern

Raytheon winkt ein warmer Regen

Dem US-Rüstungskonzern Raytheon und seinen Aktionären winkt ein warmer Regen durch die weltweite Aufrüstung als Folge des Ukraine-Kriegs. Längerfristig gibt es aber auch Risiken für das Unternehmen.

Raytheon winkt ein warmer Regen

Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt

Kurz nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs sprach der amerikanische Verteidigungsminister Lloyd Austin eine Einladung aus, die eigentlich geheim bleiben sollte. Vertreter der acht größten amerikanischen Rüstungskonzerne sollten sich mit ihm treffen, um zu beraten, wie die Versorgung der Streitkräfte der Ukraine mit amerikanischen Waffen sicherzustellen ist. Eines der eingeladenen Unternehmen war der von der Marktkapitalisierung her weltweit größte Rüstungskonzern Ray­theon Technologies. Man kann dem Ex-General Austin dabei durchaus ein besonderes Verhältnis zu Ray­theon nachsagen, war er doch vor seinem Amtsantritt Mitglied des Supervisory Board des Konzerns.

Raytheon profitiert auch in besonderem Maße von dem Ukraine-Krieg, weil die von dem Konzern hergestellten Waffensysteme für die Lieferungen an die Ukraine besonders gefragt sind. Dies gilt für die Anti-Panzer-Raketen vom Typ Javelin, die in einem Joint Venture mit Lockheed Martin hergestellt werden, sowie für die sogenannten Manpad-Luftabwehrraketen vom Typ Stinger. Beide Waffensysteme sind leicht und tragbar, und vor allem entsprechen sie nicht mehr dem neuesten technologischen Stand, so dass Russland, das diese Systeme bereits in Massen erbeutet hat, keine geheime Technologie in die Hände fällt.

Der warme Regen, der Raytheon und den anderen amerikanischen Rüstungskonzernen als Ergebnis des Ukraine-Kriegs winkt, ist einer der Gründe dafür, dass die Analysten eine sehr positive Einstellung zur Raytheon-Aktie haben. Von 23 Analysten raten 13 zum Kauf der Aktie, während vier den Titel mit „Overweight“ einstufen. Sechs Häuser raten immerhin dazu, die Aktie im Portfolio zu behalten. Einstufungen mit „Underweight“ oder gar Verkaufsempfehlungen gibt es gar keine. Das Kursziel wird im Durchschnitt der Einzelschätzungen bei 114,50 Dollar gesehen, was gegenüber dem aktuellen Niveau immerhin einem Kurspotenzial von 18% entsprechen würde.

Kurs legt zu

Die Aktie hat sich zuletzt auch nicht schlecht geschlagen. Auf Sicht von einem Jahr hat der Titel knapp 18% hinzugewonnen, im bisherigen Jahresverlauf waren es 13%. Dies vergleicht sich mit der Entwicklung des US-Benchmark-Index S&P500, der im laufenden Jahr bereits rund 12% eingebüßt hat. Allerdings ist es Lockheed Martin gelungen, den Aktienkurs im laufenden Jahr bereits um fast ein Viertel zu steigern. Raytheon Technologies, das in der gegenwärtigen Form aus der Fusion des Jahres 2020 mit United Technologies hervorgegangen ist, kommt auf eine Marktkapitalisierung von 148 Mrd. Dollar, während Lockheed Martin 119 Mrd. Dollar erreicht.

Raytheon wird traditionell zu den Dividendenaristokraten ge­zählt. Aktuell beträgt die Dividendenrendite immerhin 2,2%. In der Geschichte der beiden Fusionspartner hat es in den vergangenen 28 Jahren stets Dividendenerhöhungen gegeben. Allerdings ist Ray­theon anspruchsvoll bewertet mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) auf Basis der zurückliegenden zwölf Monate von 35,5, das weit außerhalb des langfristigen Korridors der Aktie von 10 bis 21 liegt. Zum Vergleich: Lockheed Martin kommt auf lediglich 19,7. Auf Basis der Erwartungen für die kommenden vier Quartale liegt das KGV bei 20,8 und damit am oberen Ende der historischen Spanne.

Der jetzt vorgelegte Quartalsbericht und der zu diesem Anlass gegebene Ausblick sind ein wenig gemischt ausgefallen – trotz der langfristig blendenden Aussichten für Amerikas militärisch-industriellen Komplex. Das Ergebnis des ersten Quartals hat die Analystenerwartungen übertroffen, mit einem Gewinnwachstum um immerhin 28%. Die Erlöse legten jedoch nur um 3,1% zu. Und eher verhalten war der Ausblick: Für das laufende Jahr werden Erlöse von 67,8 bis 68,8 Mrd. Dollar erwartet, während die Konsensschätzung an der Wall Street bisher von 69 Mrd. Dollar ausgeht. Das Ergebnis je Aktie soll laut Raytheon zwischen 4,60 und 4,80 Dollar liegen, während die Analystengemeinde bislang 4,79 Dollar erwartete. Die Ertragsperspektive macht deutlich, dass die Rückkehr zu der vor der Pandemie üblichen Profitabilität noch Jahre in Anspruch nehmen wird.

Das hängt vor allem mit dem zivilen Geschäft des Konzerns zusammen, das immerhin 35% ausmacht. Zum Konzern gehören der Triebwerkshersteller Pratt & Whitney sowie der Avionik-Spezialist Collins Aerospace, die beide zunächst unter der Flaute der Luftfahrtindustrie während der Pandemie litten und sich zuletzt recht gut entwickelten, nun aber die Sanktionen gegen Russland zu spüren bekommen. Der vollständige und nach Unternehmensangaben endgültige Rückzug aus dem Russlandgeschäft kostet Raytheon 750 Mill. Dollar Umsatz, wobei sich das Minus gleichmäßig auf die beiden genannten Konzerngesellschaften verteilt. Dieses Geschäft ist dauerhaft verloren, da sich Russland derzeit bei den Triebwerken auf eigene Füße stellt, was auch für die zivile Avionik gilt.

Generell lässt sich feststellen, dass das zivile Geschäft die Achillesferse des Konzerns ist. Was mit Russland bereits der Fall ist, dürfte auch mit China geschehen, da die USA das Reich der Mitte als Hauptkontrahenten ansehen. Sollte der Konflikt um Taiwan in den kommenden Jahren eskalieren, was fast sicher erscheint, dürfte es ähnlich weitgehende US-Sanktionen gegen China geben, womit Raytheon ihr dortiges Geschäft verlieren würde, das wesentlich wichtiger ist als die Russland-Aktivitäten. Von großer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch, dass Raytheon dann mit China und Russland neue Konkurrenten in Weltregionen wie Asien, Afrika und Lateinamerika erwachsen. Und nicht übersehen werden sollte auch, dass Amerikas Rüstungsindustrie inzwischen so­wohl technologisch als auch preislich den Anschluss an Russland und China auf fast allen relevanten Gebieten verloren hat.

Dies betrifft aber mehr die längerfristige Perspektive der Aktie. Kurz und mittelfristig dürfte die Aktie von dem Geldregen der Aufträge der US-Regierung und der westlichen Verbündeten deutlich profitieren. Allerdings können sich auch dabei ungeahnte Schwierigkeiten ergeben: Aufgrund von Lieferkettenproblemen und der Tatsache, dass die Produkte auf obsoleten Technologien beruhen, musste der Konzern eingestehen, dass die Produktion von Javelins und Stingers erst 2023 oder gar 2024 wieder auf Hochtouren laufen wird.