Brasilien

Real profitiert von Rohstoffpreisen

Lange Zeit war der brasilianische Real für Währungsanleger unattraktiv. Vor allem die massive Verschuldung Brasiliens und die hohe Inflation schreckten Investoren ab. Nun hat sich das Blatt gewendet. Seit Jahresanfang ist der Real sogar die stärkste...

Real profitiert von Rohstoffpreisen

Martin Marinov*

Lange Zeit war der brasilianische Real für Währungsanleger unattraktiv. Vor allem die massive Verschuldung Brasiliens und die hohe Inflation schreckten Investoren ab. Nun hat sich das Blatt gewendet. Seit Jahresanfang ist der Real sogar die stärkste Währung innerhalb der Emerging Markets. Er profitiert von der Dynamik der Rohstoffpreisentwicklung und von hohen Zinsen.

In den letzten zwei Jahren war der Real aus gutem Grund unterbewertet. Doch seit Jahresbeginn hat die Währung etwa 15% zugelegt und somit einen Teil ihrer Verluste seit 2020 (rund 40%) wieder gutgemacht. Auch wenn die Fiskalpolitik nach wie vor die Achillesferse Brasiliens ist und für die hohe Verschuldung noch immer keine Lösung in Sicht ist, gibt es von anderer Seite starken Rückenwind: steigende Rohstoffpreise und hohe Zinsen. Doch das hat auch negative Implikationen – aufgrund der massiven Zinserhöhungen seitens der Zentralbank beginnt Brasiliens Wirtschaft zu schwächeln. Im Herbst finden Präsidentschaftswahlen statt, deren Ausgang derzeit noch für eine gewisse Unsicherheit sorgt. Spätestens dann könnte der Aufwärtstrend der Währung wieder ein Ende finden.

Zur Vorgeschichte: Als Jair Bolsonaro am 1. Januar 2019 sein Präsidentenamt angetreten hat, wollte er nichts weniger als die mehr als zehn Jahre durch die Arbeiterpartei kontrollierten Marktkräfte entfesseln und erneut freie Marktwirtschaft zulassen. Dies sollte mit umfassenden Reformen und einer Privatisierungswelle staatlicher Betriebe gelingen. Doch die große Hoffnung des Marktes, dass Bolsonaro die enormen strukturellen Herausforderungen Brasiliens marktfreundlich angeht, wurden nicht im gewünschten Umfang erfüllt. Das hängt auch mit der Corona-Pandemie zusammen, aber nicht nur.

Wirtschaft versus Corona

Bolsonaro hat keine Zweifel daran gelassen, dass ihm die wirtschaftliche Entwicklung wichtiger ist, als Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung zu treffen. Seitens der Regierung gab es daher auch weder Präventivmaßnahmen noch angeordnete Lockdowns. Diese wurden allenfalls auf bundesstaatlicher Ebene von einzelnen Gouverneuren durchgesetzt. Bolsonaro hingegen wollte vor allem die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronakrise in Grenzen halten. Aus diesem Grund hat er auch ein unter den Schwellenländern einzigartiges Hilfspaket geschnürt, das von der Größenordnung – ca. 9 % des BIP – nur mit jenen entwickelter Staaten vergleichbar ist. Um das verwirklichen zu können, hat er die von seinem Vorgänger, Michel Temer, festgelegte Schuldenobergrenze ausgesetzt. Eine Maßnahme, die Bolsonaro zwar große Popularität brachte, den Real aber stark unter Druck gesetzt und maßgeblich zum erwähnten Wertverlust beigetragen hat, mit entsprechenden negativen Auswirkungen auf die Inflation in weiterer Folge.

Aktuell liegt die Staatsverschuldung Brasiliens bei mehr als 90%, bei Bolsonaros Amtsübernahme waren es noch 80%. Mit dem Aussetzen der Schuldenobergrenze für ein Jahr, und damit dem Einholen des letzten Ankers, hat Bolsonaro viele Anleger vergrault, denn zu viel Unsicherheit kennzeichnete den Markt. Doch Bolsonaro hat sich beim letzten Budget an das zeitliche Limit der Aussetzung gehalten und somit diese negative Tendenz aufgehalten. Unter den schwierigen Rahmenbedingungen ist es Bolsonaro nicht gelungen, die angekündigte Privatisierungswelle umzusetzen. Zudem erschütterten zahlreiche Skandale sein Image. Neben den fehlenden Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie zählt dazu sicherlich auch sein Umgang mit den Regenwäldern Brasiliens, deren Abholzung in seiner Amtszeit um 50% gestiegen ist.

Aktuell ist seine Popularität auf einem Tiefstand. Daran hofft er mit dem gegen Ende 2021 präsentierten Sozialhilfeprogramm „Auxílio Brasil“ als Nachfolge von Lulas „Bolsa Familia“ etwas zu ändern. Doch die Chancen für seine Wiederwahl im Oktober sind aus jetziger Sicht nicht hoch. In Umfragen liegt er deutlich hinter seinem stärksten Konkurrenten, dem ehemaligen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva. Dieser fährt in der Zwischenzeit einen gemäßigteren Kurs und versucht, unzufriedene Wähler der Mitte zu locken. Denkbar ist auch ein dritter Kandidat, der anstelle einer der beiden in die Stichwahl einziehen könnte – das dürfte sich im Sommer konkretisieren.

Reform der Notenbank

Was man Bolsonaro – bei all der berechtigten Kritik – aber zugestehen muss, ist die Umsetzung der Reform der Zentralbank. Waren die Gouverneure in der Vergangenheit bei ihren Entscheidungen eng an die Regierung gebunden, gibt es diese Abhängigkeit nun nicht mehr. Die Zentralbank kann unabhängig von politischer Intervention Entscheidungen treffen. Sie ist jetzt de facto und de jure unabhängig. Aus dieser Position heraus hat sie auch im März 2021 als eine der ersten großen Notenbanken weltweit die Leitzinsen angehoben.

Mit der steigenden Inflationsrate (der höchsten in Lateinamerika abgesehen von Venezuela) und einer abwertenden Währung – der Real zählte neben dem russischen Rubel und der türkischen Lira weltweit zu den schwächsten Währungen – musste der Kurs der Geldpolitik geändert werden. Überraschend schnell und stark hat die Brasilianische Notenbank in den vergangenen 12 Monaten den Leitzins um fast 10 Prozentpunkte von 2% auf aktuell 11,75% angehoben. Die hohen Zinsen haben die Attraktivität der Währung deutlich gesteigert. Zudem unterstützt auch die Tatsache, dass seit der Invasion Russlands in der Ukraine die hohen Rohstoffpreise weltweit noch weiter gestiegen sind. Brasilien zählt zu den Profiteuren dieser Entwicklung. Weit weg vom Kriegsgeschehen und mit nur minimalen direkten Handelsbeziehungen zu den beiden Kriegsparteien kommen Brasilien die gestiegenen Preise zugute. Brasilien ist im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Staaten, wie beispielsweise Mexiko, eine sehr geschlossene Volkswirtschaft, wichtigste Handelspartner sind dabei China und die USA.

Verschuldungsdynamik

Wie geht es weiter? Die Wirtschaftsentwicklung Brasiliens hat sich deutlich eingebremst. Die Inflationsprognosen verbessern sich nur schleppend. Da die Währung nun viel fester ist, hat sich die Situation zwar etwas entspannt, aber die Notenbank wird ihre sehr restriktive Zinspolitik wohl mit noch zwei Zinserhöhungen fortsetzen. Was die Wahlen betrifft, wünscht sich der Markt einen moderat konservativen Kandidaten ohne Altlast, doch ein solcher ist bislang nicht in Sicht. Doch auch ein moderat agierender Lula, der sich an die Schuldenobergrenze hält, wäre für Investoren annehmbar. Die größte Herausforderung für den nächsten Präsidenten oder die nächste Präsidentin wird sein, die Verschuldungsdynamik in den Griff zu bekommen. Doch bis zum kommenden Sommer sehen wir den Real noch gut unterstützt von den Zinsen und den hohen Rohstoffpreisen.

*) Martin Marinov ist Fondsmanager CEE & Global Emerging Markets bei Raiffeisen Capital Management.

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