IM INTERVIEW: ENRICO CAMERA, GAM

"Saudi-Arabien nicht besonders billig"

Fondsmanager: Aktienmarkt leidet unter Emerging-Markets-Schwäche und Verfall der Ölpreise

"Saudi-Arabien nicht besonders billig"

Mit der im Sommer nach jahrelangem Zögern endlich erfolgten Öffnung des saudi-arabischen Aktienmarktes haben sich große Hoffnungen verbunden. Zumindest kurzfristig hat das Ereignis die Erwartungen nicht erfüllen können. Denn der Markt hat seither deutlich nachgegeben. Die Börsen-Zeitung hat Enrico Camera, bei GAM Co-Manager von Long/Short-Aktienfonds, die in Schwellenländern investieren, zu den Gründen dieser Entwicklung und seiner Einschätzung des Marktes befragt.- Herr Camera, nach der Öffnung des saudi-arabischen Aktienmarkts, die mit großen Erwartungen verbunden war, folgte eine eher ernüchternde Marktentwicklung. Wie ist das zu erklären?In der Tat gab es viel Hoffnung, was die Marktöffnung betrifft. Das Land wird sicherlich in den MSCI Emerging Markets Index aufgenommen, aber das wird dauern. Vielleicht ist es in zwei Jahren so weit. Damit ist Saudi-Arabien nach wie vor in keinem Benchmark-Index enthalten, so dass viele Benchmark-orientierte Investoren keinen Anlass haben zu investieren. Außerdem leidet der Aktienmarkt derzeit unter der allgemeinen Schwäche der Emerging Markets und dem Verfall der Ölpreise.- Wie wirkt sich die Schwäche der Ölpreise aus?Die volle Auswirkung auf die saudi-arabische Volkswirtschaft haben wir noch nicht gesehen. Die Regierung hat ihre Ausgaben noch nicht gekürzt und fährt nun ein Defizit in einer Größenordnung von ungefähr 20 % der Wirtschaftsleistung. Damit geht sie an die Reserven, was natürlich nicht ewig anhalten kann. Über Ausgabenkürzungen wird aber bereits diskutiert.- Wie beurteilen Sie die Aussichten des Marktes nach dem schweren Rückschlag?Einerseits steht eine straffere Finanzpolitik erst noch bevor, andererseits ist der Markt auch jetzt nicht besonders billig. Das gleitende Zwölfmonats-Kurs-Gewinn-Verhältnis entspricht mit 14 dem historischen Durchschnitt. Das ist nicht besonders günstig in einem Umfeld mit niedrigen Ölpreisen. Es zeichnet sich ab, dass die Schätzungen für die Unternehmensgewinne des kommenden Jahres bald gesenkt werden. Das betrifft unter anderem die großen Raffinerien. Das sind sehr profitable Unternehmen, da sie Öl billig einkaufen. Ihre Erlöse sind aber von den globalen Ölpreisen abhängig. Außerdem sinken die Preise ihrer petrochemischen Produkte. Gleichzeitig profitieren sie nicht so stark wie ausländische Raffinerien von den sinkenden Ölpreisen, da sie wie erwähnt bereits billige Einkaufspreise haben.- Wie sehen die Aussichten außerhalb des Ölsektors aus?Die nicht mit der Ölindustrie verbundenen Teile der saudi-arabischen Volkswirtschaft haben zuletzt ein höheres Wachstum gezeigt. Hintergrund ist das Ziel der Regierung, die Wirtschaft stärker zu diversifizieren beziehungsweise weniger ölabhängig zu machen. Unter anderem werden Investitionen in die Infrastruktur und – wegen des starken Bevölkerungswachstums – in den Wohnungsbau getätigt. Zuletzt haben Daten der Zentralbank aber auf ein langsameres Wachstum der Einzelhandelsumsätze hingewiesen. Die Verlangsamung der Wirtschaft wird kommen, wenn etwa staatliche Investitionsprojekte gekürzt werden und Arbeitsplätze wegfallen.- Was macht den saudi-arabischen Aktienmarkt Ihrer Meinung nach aus langfristiger Sicht interessant?Saudi-Arabien hat eine junge und stark wachsende Bevölkerung. Die angestrebte Diversifizierung der Volkswirtschaft sorgt für Impulse. Auch der Ölsektor soll durch einen höheren Export von petrochemischen Produkten stärker diversifiziert werden. Viele Unternehmen zahlen keine Steuern. Sie haben vielfach hohe Eigenkapitalrenditen und einen sehr niedrigen Wettbewerbsdruck. Wenn eine gute Wirtschaftspolitik gemacht wird, wird der Markt für ein Investment interessant. In den MSCI-Indizes wird Saudi-Arabien ungefähr so groß sein wie Südafrika.- Wie sind Sie derzeit in Saudi-Arabien positioniert?Wie haben einen Absolute-Return-Fonds, der in Schwellenländern investiert. Dadurch können wir investieren, wo und wann wir wollen. In den zurückliegenden Wochen haben wir die Ölpreisschwäche zum Anlass genommen, unser Engagement schrittweise abzubauen. Zuvor waren wir insbesondere in inlandsgetriebenen Sektoren investiert. Ein Unternehmen, das wir hielten, ist der Einzelhändler Jarir, der Medien und Unterhaltungselektronik verkauft und mit der französischen Handelskette Fnac vergleichbar ist. Ein weiteres Beispiel ist der Tankstellenbetreiber Aldrees.—-Das Interview führte Christopher Kalbhenn.