James Donald, Lazard

„Schwellen­länder­aktien sind sehr günstig“

Aktien aus Schwellenländern bereiten gerade in Dollar rechnenden Anlegern auch in diesem Jahr keine Freude. Das könnte sich aber bald ändern, ist James Donald, Portfoliomanager von Lazard, überzeugt.

„Schwellen­länder­aktien sind sehr günstig“

Christopher Kalbhenn.

Herr Donald, Schwellenländeraktien erfüllen nach wie vor nicht die Hoffnungen, die sich vor allem in Dollar rechnende Anleger machen. Ist Besserung in Sicht?

Die Emerging Markets haben eine sehr lange Phase signifikanter Underperformance gegenüber den entwickelten Märkten hinter sich, vor allem gegenüber den USA. Die Frage ist, was notwendig wäre, damit es zu einer signifikanten Outperformance der Schwellenländer kommt. Die Antwort ist: ein gutes Wachstum der Weltwirtschaft und bis zu einem gewissen Grad nachlassende geopolitische Spannungen. Beide Faktoren­ haben die Emerging Markets in diesem Jahr belastet. Fakt ist, dass wir eine Periode mit relativ geringem Wachstum erlebt haben und das Quantitative Easing notwendig war, um eine Stagnation zu verhindern. Dadurch ist die Bewertungsprämie der Schwellenländer gefallen. Ein höheres Wachstum, auch wenn es mit einer höheren Inflation einhergeht, und nachlassende geopolitische Spannungen wären für die Emerging Markets sehr gut.

Die Bewertungssituation wird häufig zugunsten der Schwellenländer ins Spiel gebracht. Wie beurteilen Sie die Lage?

Die aktuellen Bewertungen sind historisch niedrig. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis liegt bei etwa 10, die Schwellenländeraktien sind auch nach dem Kurs-Buchwert-Verhältnis und dem Kurs-Cashflow-Verhältnis sehr günstig. Im Portfolio, das ich seit mehr als 20 Jahren verwalte, hat das Kurs-Gewinn-Verhältnis mit unter 7 das niedrigste Niveau, das wir je hatten. Die Dividendenrendite liegt aktuell bei mehr als 7%. Interessant ist vor allem die Erwartung einer Profitabilität von mehr als 15% und einer Free-Cashflow-Rendite von rund 15%. Die Leute fragen sich, ob diese hohe Dividende ausgezahlt wird, und es gibt keinen Grund, der dagegenspricht. Die sehr niedrigen Bewertungen spiegeln die Sorgen der Investoren um die Risiken des Ukraine-Krieges und der Covid-Maßnahmen in China wider. Emerging Markets sind derzeit eine unpopuläre Assetklasse, die unserer Einschätzung nach positiv überraschen könnte­.

China steht derzeit sehr im Fokus. Ist das Land noch für Investoren interessant?

China kämpft derzeit mit einigen der größten Probleme der zurückliegenden 35 Jahre. Da ist zum einen das schwierige Verhältnis zu den USA, mit dem unter anderem das Risiko des Delistings chinesischer Unternehmen an amerikanischen Börsen einhergeht. Hinzu kommen unter anderem die Lockdowns, was damit zusammenhängt, dass China keinen hocheffizienten Impfstoff hat. Schwerwiegend ist zudem das Immobilienmarktproblem. Die Regierung versteht das und versucht, eine klare Lösung für das Problem zu finden, vor allem eine geordnete Liquidation sehr hoch verschuldeter Unternehmen. Angesichts der Bedeutung des Immobiliensektors ist das meines Erachtens sehr wichtig.

Welche Bedeutung hat der zurückliegende Volkskongress?

Es scheint so, als hätten viele ökonomisch fokussierte Persönlichkeiten innerhalb Chinas Führungsriege an Bedeutung verloren. Stattdessen haben nun eher politisch und technisch fokussierte Personen das Sagen. Das bereitet den Investoren Sorgen. Aber: Die Regierung hat nicht gesagt, dass die Wirtschaft für sie keine Rolle mehr spiele. Sie ist und bleibt ihr wichtig. Immerhin hat das Land die größte Bevölkerung der Welt, und diese erwartet, dass ihr Wohlstand steigt. Soziale Spannungen oder ein Aufstand wären ein sehr ernstes Problem. Ich denke daher, dass die chinesische Regierung ökonomisch fokussiert bleiben wird. Für China als Investmentziel spricht auch, dass der Aktienmarkt sehr groß ist, sowohl auf dem Festland als auch in Hongkong. Etliche der börsennotierten Unternehmen sind sehr groß. Manche von ihnen sind weniger interessant, andere aber großartige Anlagen. Der Markt hat viele Risiken, bietet umgekehrt aber auch viele Gelegenheiten. Auch wenn derzeit viele Probleme im Vordergrund stehen, erwarten wir eine starke Erholung der chinesischen Wirtschaft im nächsten Jahr.

Aus Sicht vor allem von in Dollar rechnenden Anlegern waren die Schwellenländerwährungen zu­letzt ein großes Problem. Kann hier auf Besserung gehofft werden?

Der Dollar hat gegen Währungen weltweit aufgewertet. Der Grund ist, dass die US-Wirtschaft sehr stark ist. Darum wollen viele Leute Dollar halten. In Europa ist dieses Bedürfnis wegen des Krieges in der Ukraine besonders ausgeprägt. Für eine Beurteilung der Aussichten muss die relative Position der Währungen zum Dollar betrachtet werden. Die schwächsten Positionen haben derzeit Europa und China, die stärkste Position hat Asien ohne den Norden des Kontinents. In vielen Schwellenländern waren die Zentralbanken sehr proaktiv, was Leitzinsanhebungen betrifft. Das hat ihnen geholfen und für relative Stabilität gesorgt, zum Beispiel in Brasilien und Indonesien. Wir erwarten die höchsten Bewertungen des Dollar irgendwann in den nächsten sechs Monaten, denn dann dürften die USA den Höhepunkt in der ökonomischen Aktivität erreichen. Danach werden die US-Unternehmen­ an Wettbewerbsfähigkeit verlieren, und in der Folge wird der Dollar gegen andere Währungen fallen. Wir erwarten eine lange Phase, in der sich der Dollar seitwärts bewegen oder fallen wird. Das wird vor allem Schwellenländerwährungen stützen. Nicht nur die stärkeren Währungen, auch der Spielraum für Zinssenkungen wird diese Märkte stützen.

Welche Länder beziehungsweise Regionen halten Sie für besonders interessant?

Am interessantesten sind Lateinamerika und Südostasien. Wir sehen relativ stabile Rohstoffpreise, und das könnte eine Zeit lang anhalten. Die Rohstoffpreise sind zu einem großen Teil wegen des Ukraine-Krieges höher. Hinzu kommen globale Umweltsorgen, die dazu beitragen, dass das Angebot nicht steigt. Entsprechend könnte eine recht lange Phase mit relativ hohen Preisen aufgrund anhaltender Nachfrage und fehlenden Anstiegs des Angebots bevorstehen. Das könnte insbesondere in Lateinamerika und Südostasien für relative wirtschaftliche Stabilität sorgen, aber auch im Mittleren Osten.

Gibt es bestimmte Sektoren beziehungsweise Themen, auf die Sie setzen?

Wir denken, dass viele Finanzinstitute eine gute Phase haben könnten. Sie sind liquide, haben meist kaum notleidende Kredite und verfügen über eine gute Kapitalausstattung. Wir erwarten ein stärkeres Wachstum der Weltwirtschaft und ein ho­hes Wachstum der Infrastrukturinvestitionen in den USA und Europa. In vielen Schwellenländern benötigen Unternehmen Finanzierungen be­ziehungsweise Kredite für die Produktion, und die Banken haben dafür hohe Kapazitäten. Ferner sehen wir Chancen bei Öl- und Gasförderern und Bergbauunternehmen. Auch die Industrie könnte profitieren, also die Unternehmen, die Güter produzieren, welche in die USA und nach Europa exportiert werden können.

Das Interview führte