IM INTERVIEW: JENS EHRHARDT

"Schwellenländer sind die preiswertesten Aktienmärkte"

Vermögensverwalter über die Bewertungen der Emerging Markets - Technologiebereich als attraktiv eingestuft - Euro ist noch in der Erholungsphase

"Schwellenländer sind die preiswertesten Aktienmärkte"

Jens Ehrhardt, Chef der gleichnamigen Vermögensverwaltung, legt Anlegern derzeit die Schwellenländer ans Herz. Die Aktienmärkte dieser Länder hält er für die preiswertesten. Als recht attraktiv sieht er Wachstumswerte wie den Technologiebereich an. Die Bewertungen seien hier zwar hoch, aber noch nicht so hoch wie im Jahr 2000.- Wo sehen Sie an den Aktienmärkten zurzeit besonders günstige Gelegenheiten?Die Schwellenländer sind immer noch die preiswertesten Aktienmärkte. Das Wachstum ist dort deutlich höher als in den Industrienationen. In China etwa ist die Automobilpenetration nur ein Zehntel so groß wie in den USA. Das zeigt, dass in diesem Markt trotz der bereits erreichten Größe erhebliches Wachstumspotenzial besteht. Ich bin grundsätzlich der Auffassung, dass man hohes Wachstum nicht zu teuer erkaufen sollte, wie beispielsweise in Teilen der Internet-Branche. In Asien ist das hohe Wachstum aber gar nicht in den Kursen enthalten.- Sie erwähnen China. Es gibt Befürchtungen, dass von dem Land, insbesondere aufgrund einer hohen Verschuldung, gerade für die Emerging Markets Risiken ausgehen. Wie beurteilen Sie die Lage?Diese Sorgen sind sicherlich ein Grund für den Bewertungsabschlag. Allerdings sollte man genau hinschauen. Es wird wenig beachtet, dass die Verschuldung des Staates bei lediglich 48 % liegt. Eine hohe Verschuldung besteht zwar im Unternehmensbereich. Aber auch hier muss differenziert werden. Das Schuldenproblem besteht bei den Staatsunternehmen, die privaten Unternehmen sind dagegen nicht höher verschuldet als anderswo. Die chinesische Regierung geht bereits die Problematik der Überkapazitäten in Branchen wie Stahl und Zement an. Allerdings wird es in China niemals ein Lehman geben. Die Regierung wird vielleicht ein paar Zombie-Unternehmen kleiner schneiden, sie wird aber kein Staatsunternehmen pleitegehen lassen, wenn es systemrelevant ist. Wahrscheinlich wird sie nach dem Volkskongress in einigen Bereichen langsam Luft rauslassen.- Wie stellt sich die Verschuldungslage in den entwickelten Volkswirtschaften dar?In den meisten Ländern ist die Staatsverschuldung seit der Finanzkrise stark hochgefahren worden. Das ist aber nichts, was von heute auf morgen zu einem Problem werden muss. 1929 waren die US-Unternehmen relativ überschuldet, 2007 die US-Konsumenten. Solange die Privatverschuldung wie derzeit nicht allzu hoch ist, braucht man sich nicht akut Sorgen machen.- Wie beurteilen Sie die Aussichten der Aktienmärkte in den Industrieländern?Bislang waren wir der Ansicht, dass die Aussichten nur positiv sein können, solange die Anleiherenditen extrem niedrig sind. Das Bild ist nun nicht mehr ganz so klar, seit Zinserhöhungen und Tapering im Raum stehen. Wenn die Notenbanken richtig auf die Bremse treten, ändern sich die Voraussetzungen, weil es dann wieder eine gewisse Konkurrenz für Aktien geben wird. Allerdings werden Inflation und Löhne in absehbarer Zeit nicht stark steigen. Aus verschiedenen Gründen haben wir nicht mehr den klassischen Zyklus von Überhitzung mit steigender Inflation. Das ist angesichts der in den USA deutlich gesunkenen Arbeitslosenrate erstaunlich. Allerdings müssen die Statistiken mit Vorbehalt betrachtet werden. Es gibt zwischen 5 und 10 Millionen Menschen, die sich für den Arbeitsmarkt zurzeit nicht mehr zur Verfügung stellen, aber in den Prozess zurückkommen dürften. Es ist unklar, wie groß bei insgesamt 96 Millionen Amerikanern ohne Job der Anteil der Rentner ist, die nicht zurückkehren werden. Es scheint somit doch noch ein gewisses Potenzial an Arbeitskräften zu geben, was die Löhne weiter bremsen könnte.- Sehen Sie also eher die Inflation als den entscheidenden Knackpunkt für die Aktienmärkte an?Die Inflation ist definitiv wichtiger als die Zinsen. Wenn die Inflation irgendwann tatsächlich anziehen sollte, könnten die Notenbanken ihren lockeren Kurs nicht mehr aufrechterhalten. Es gibt die Sorge, dass die Zentralbanken die Inflation anheizen könnten. Bislang ist das aber nicht geschehen. In der Vergangenheit wurden Baissen regelmäßig durch höhere Leitzinsen eingeleitet. In dieser Hinsicht haben wir noch nicht viel gesehen, und wenn die Märkte Recht behalten, wird es in den USA bis Ende 2019 nur zwei bis drei Leitzinsanhebungen geben. Damit könnte das Goldilocks-Szenario bis auf weiteres erhalten bleiben. Goldman Sachs ist allerdings der Auffassung, dass die Goldilocks-Phase bald beendet ist. Sollte das zutreffen, müsste man sensibilisiert sein. Ich glaube aber, dass es noch nicht so weit ist.- Vielen bereiten die Bewertungen vor allem in den USA Sorgen. Wie beurteilen Sie die Bewertungslage?Die Aktienmärkte haben das extrem niedrige Zinsniveau nicht voll eingearbeitet. Hätten sie das getan, müssten sie viel höher bewertet sein. Das zeigt, dass die Marktteilnehmer noch vorsichtig sind und es eben keine Euphorie gibt. Nichtsdestotrotz befindet sich in den USA etwa das Verhältnis von Marktkapitalisierung zu Bruttoinlandsprodukt fast auf dem Hoch des Jahres 2000. Auch andere Bewertungskennzahlen befinden sich auf verhältnismäßig hohen Niveaus. So hat etwa das Shiller-KGVs Höhen erreicht, die bislang lediglich in den Jahren 1929 und 2000 gesehen worden sind. Noch ist im Markt eine im Vergleich zu früheren Phasen der Euphorie vorsichtige Haltung zu sehen. Einen grenzenlosen Optimismus, der die Endphase des Aktienmarktzyklus anzeigen würde, haben wir nicht. Viel Geld fließt in Geldmarkt- und Rentenfonds, und das bei den niedrigen Zinsen. Im Jahr 2000 wurden Anleihefonds verkauft und die Mittel in Aktienfonds umgeschichtet. Wenn es zu einer Gegenbewegung kommen sollte, in der alle in Aktien gehen, sollte man vorsichtig werden.- In welchen Segmenten finden Sie interessante Aktien?Wachstumswerte wie Technologie sind recht attraktiv. Im Technologiebereich gibt es zwar hohe Bewertungen; sie sind aber nicht so hoch wie im Jahr 2000. Die Branche hat einige interessante Werte zu bieten. Bei enormen Wachstumsraten, die beispielsweise chinesische E-Commerce-Unternehmen zeigen, kann man eine hohe Bewertung durchaus akzeptieren. Im Hongkonger Immobiliensektor gibt es wiederum sehr niedrige Bewertungen. Hier kann man natürlich zinsbedingt hinterfragen, ob dies wirklich eine interessante Gelegenheit bietet. Fakt ist, dass etliche Titel nur mit der Hälfte ihres Nettoinventarwerts bewertet werden oder einen Abschlag von zumindest 40 % aufweisen. Die Abschläge sind sogar noch höher, wenn die aktuellen Marktpreise zugrunde gelegt werden. Manche Real Estate Investment Trusts zahlen Dividenden von zwischen 5 % und 7 %. Allein das macht sie schon attraktiv, selbst wenn die Kurse nicht steigen. Selbst eine Branche, die in einem Umfeld steigender Zinsen nicht vielversprechend erscheint, ist preiswert, einfach weil die Bewertungsabschläge enorm sind.- Was erwarten Sie für den Euro-Dollar-Wechselkurs?Nach dem Rückgang von 1,60 auf 1,05 Dollar befindet sich der Euro in einer Erholungsphase, die meiner Meinung nach noch nicht abgeschlossen ist. Kurse um 1,30 Dollar halte ich für durchaus vorstellbar. Die Euro-Schwäche war auf die Sorge vor einem Absturz Europas zurückzuführen. Das ist aber seit dem Wahlsieg Macrons unwahrscheinlich geworden. Zudem steht der Euroraum konjunkturell nicht schlechter da als die USA, und aufgrund des niedrigen Niveaus des Euro und der Zinsen wird die Lage hier noch eine Zeit lang gut bleiben. Auch was fiskalpolitischen Rückenwind betrifft, ist die Situation mit den USA vergleichbar. Die Defizite ändern sich zwar geringfügig, aber die Europäer müssen weniger für Zinsen ausgeben und könnten damit mehr in die Infrastruktur investieren.—-Das Interview führte Christopher Kalbhenn.