Edelmetalle

Starker Jahresstart beim Goldpreis ist verpufft

Der starke Jahresstart des Goldpreises ist verpufft. Aus technischer Sicht befindet er sich derzeit in einer spannenden Ausgangslage, welche zudem ein gutes Chance-Risiko-Verhältnis bietet.

Starker Jahresstart beim Goldpreis ist verpufft

Von Jörg Scherer*)

Der Goldpreis startete überaus freundlich in das Jahr 2023. Doch vom zwischenzeitlichen Kursplus von gut 7% ist nicht mehr viel übrig geblieben. Zwischenzeitlich notierte das Edelmetall seit Jahresbeginn sogar unter Wasser. Damit drängt sich die Frage nach den charttechnischen Auswirkungen der beschriebenen Achterbahnfahrt auf. Was bedeuten diese Ausschläge für die weiteren Edelmetallaussichten?

Bevor wir uns der Beantwortung dieser Schlüsselfrage widmen, suchen wir zunächst nach Erklärungen für die volatile Marktphase. Ein wesentliches Puzzleteil dürfte in diesem Zusammenhang die zehnjährige Rendite der US-Staatsanleihen darstellen.

Zinsanstieg als Bremsklotz

Nach dem lehrbuchmäßigen Aufsetzen auf der 200-Tages-Linie (aktuell bei 3,42%) gelang dem Zinsbarometer zusätzlich die Auflösung einer seit Oktober 2022 bestehenden Korrekturflagge sowie der Abschluss eines klassischen Doppelbodens. Alle drei Entwicklungen deuten auf einen weiteren Zinsanstieg hin. Interessanterweise ergibt sich aus der unteren Umkehr ein rechnerisches Kursziel von rund 4,30 %. An dieser Stelle haben Anlegerinnen und Anleger möglicherweise ein Déjà-vu, denn auch die angeführte Konsolidierungsflagge legt einen Anlauf auf das letztjährige Mehrjahreshoch bei 4,34% nahe. Damit liefern wir einen wichtigen Risikohinweis vorweg, denn steigende Renditen stellen für die Edelmetalle einen Belastungsfaktor dar.

Nach diesem Exkurs kommen wir zum Goldpreis zurück, bleiben jedoch im Sinne des „vorsichtigen Kaufmanns“ zunächst auf der Risikoseite. Aus gutem Grund, denn die schwache Februar-Kerze lässt unter dem Strich ein ganz besonderes Kursmuster entstehen. Aufgrund eines höheren Hochs bei gleichzeitig tieferem Tief sprengt der Februar die Grenzen des Vormonats, wodurch ein sogenannter Außenstab entsteht. Dieses besondere Kerzenmuster tritt dabei exakt im Bereich einer absoluten Kernunterstützung bei rund 1800 Dollar auf. In diesem Dunstkreis hat das Edelmetall seit 2011/2012 in schöner Regelmäßigkeit immer wieder wichtige Hoch- und Tiefpunkte ausgeprägt. Verstärkt wird die hier entstehende Bastion noch zusätzlich durch die 38-Monats-Linie (aktuell bei 1799 Dollar). Darüber hinaus besteht auch aus Sicht des Point-&-Figure-Charts auf diesem Level eine wichtige Kreuzunterstützung. Zwei unterschiedliche Chartarten dokumentieren also die Bedeutung der Marke von 1800 Dollar. Mit anderen Worten: Hier sollte, hier muss es halten!

Als Rettungsanker könnte sich der Faktor „Saisonalität“ erweisen. Angelehnt an den US-Präsidentschaftszyklus haben wir untersucht, wie sich der Goldpreis typischerweise in Vorwahljahren der Vereinigten Staaten entwickelt. Als Datenbasis dienen dabei alle Vorwahljahre seit dem Jahr 1971. Nach einem volatilen Nullsummenspiel – wie wir es 2023 auch tatsächlich gesehen haben – greift dem Goldpreis ab Mitte März der dann einsetzende saisonale Rückenwind unter die Arme. Diese saisonal starke Phase hält bis zum Ende des Vorwahljahres an und wird lediglich durch die typische Korrektur von Ende Mai bis Anfang Juli sowie von einer Schiebezone von Ende September bis Mitte November unterbrochen. Im Durchschnitt beschert das Vorwahljahr Goldinvestoren ein deutlich zweistelliges Kursplus bei einer Trefferquote von 69%. D. h., 9 der 13 Vorwahljahre seit 1971 konnte der Goldpreis mit Kursgewinnen beenden.

Ab dem Frühjahr dürften deshalb neue charttechnische Long-Signale auf fruchtbaren Boden fallen. Das ehemalige Rekordhoch vom September 2011 (1920 Dollar) markiert dabei ein erstes Anlaufziel, ehe die jüngsten beiden fast de­ckungsgleichen Monatshochs vom Januar/Februar bei 1949/1960 Dollar wieder in den Mittelpunkt rücken. Jenseits dieser Marken wäre auch der oben genannte Außenstab nach oben aufgelöst. Insbesondere in der zweiten Jahreshälfte – mit nochmals verstärkter zyklischer Unterstützung – halten wir sogar die bisherigen Allzeithochs bei 2070/2072 Dollar für erreichbar. Per saldo befindet sich der Goldpreis derzeit in einer spannenden Ausgangslage, welche zudem ein gutes Chance-Risiko-Verhältnis bietet.

Einstiegssignal bei Silber

Eine neuralgische Haltezone und infolgedessen ein attraktives CRV ist die ideale Überleitung zum Silberpreis. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Schlüsselzone bei rund 21 Dollar. Hier fällt die Nackenlinie der Bodenbildung vom Herbst 2022 mit den Glättungslinien der letzten 50 und 200 Wochen (aktuell bei 21,39/21,50 Dollar) zusammen. Abgerundet wird die Bedeutung der beschriebenen Kumulationszone durch die 200-Tages-Linie (aktuell bei 20,96 Dollar) sowie durch ein Fibonacci-Level (20,82 Dollar). Diese Kernunterstützung hatte der Silberpreis zuletzt temporär unterschritten, was der RSI mit einem Vorstoß in überverkauftes Terrain quittierte. Mittlerweile haben sowohl der Oszillator als auch der MACD ein neues Einstiegssignal geliefert. Greift damit die alte Tradingweisheit „False breaks are followed by fast moves“? Einen Anstieg über die 200-Wochen-Glättung definieren wir dabei als entscheidenden Taktgeber. Während im Erfolgsfall der seit Februar 2021 bestehende Abwärtstrend (aktuell bei 24,32 Dollar) ein wichtiges Erholungsziel absteckt, bietet sich das jüngste Verlaufstief bei 20,40 Dollar als Stop-Loss auf der Unterseite an.

*) Jörg Scherer ist Leiter Technische Analyse bei HSBC Deutschland.

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