GASTBEITRAG ZUR SERIE ANLAGETHEMA IM BRENNPUNKT (30)

Steht das Ende der Outperformance von Growth-Aktien bevor?

Börsen-Zeitung, 1.8.2018 Trotz der Korrektur im Februar und zuletzt hoher Kursausschläge einzelner Aktien hat er jüngst ein neues Allzeithoch erklommen: der amerikanische Nasdaq-Index. Getrieben haben den Index die Technologiegiganten - insbesondere...

Steht das Ende der Outperformance von Growth-Aktien bevor?

Trotz der Korrektur im Februar und zuletzt hoher Kursausschläge einzelner Aktien hat er jüngst ein neues Allzeithoch erklommen: der amerikanische Nasdaq-Index. Getrieben haben den Index die Technologiegiganten – insbesondere die sogenannten “FAANGs” (Facebook, Amazon, Apple, Netflix und Google; Mutterkonzern: Alphabet). Die starke Wertentwicklung dieser “Growth”-Werte weckt inzwischen Erinnerungen an die “Dotcom Bubble” zur Jahrtausendwende und stellt Manager gewisser Anlagestile vor große Herausforderungen. In der aktuellen Unternehmensberichtssaison ist die Angst vor einer Blase gestiegen, insbesondere nach den Kursstürzen bei Facebook, Netflix und Twitter, die mit ihren Quartalszahlen und Wachstumsprognosen die Anleger nicht mehr überzeugen konnten. Steht damit das Ende der Outperformance von “Growth-Aktien” bevor? Die akademische Literatur hat gezeigt, dass die Rendite eines Investments in einen risikofreien Zins plus weitere Risikofaktoren zerlegt werden kann. Für diese systematischen Risikofaktoren können Investoren eine Prämie vereinnahmen. Gemäß dem “Value”-Faktor (Drei-Faktoren-Modell von Fama/French) entwickeln sich günstig bewertete Aktien (Aktien mit geringem Preis-Buchwert-Verhältnis) auf lange Sicht besser als teure Aktien. Im Unterschied zu “Value” bezeichnet “Growth” den gegensätzlichen Investmentstil mit Anlagen in schnell wachsende, tendenziell hoch bewertete Unternehmen. Anhänger des Growth-Stils argumentieren, dass ein überdurchschnittliches Gewinnwachstum auch zu einer Outperformance gegenüber dem Gesamtmarkt führt, da Unternehmensgewinne maßgeblich den Unternehmens- und Aktienwert bestimmen. Doch gibt es keine einheitliche Definition für Value und Growth. Der Indexanbieter MSCI verwendet drei Bewertungskennzahlen auf sektoraler Basis: das künftige Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), das Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) und das Verhältnis von Unternehmenswert zu operativem Cash-flow (EV/CFO). Die MSCI-Indizes versuchen so die Fallstricke des Value Investing zu adressieren – Aktien, die günstig sind, da das Unternehmen Probleme hat und der Aktienwert entsprechend fällt (“Value Trap”). Der Index-Mitbewerber Stoxx macht Value versus Growth unter anderem anhand der Kriterien “Prognostiziertes KGV des nächsten Fiskaljahres”, “Erwartetes Gewinnwachstum in den kommenden drei bis fünf Jahren”, “Aktuelles KGV”, “Kurs-Buchwert-Verhältnis” und anhand der Dividendenrendite des letzten Jahres fest. Ungeachtet der Definitionsunterschiede zählen üblicherweise Sektoren wie Banken, Öl und Gas, Versorger, Telekommunikation, Autos und Basiskonsumgüter zu den Value-Sektoren, während Sektoren wie Technologie, Pharma und Medien zu den Growth-Sektoren gehören (vgl. Grafik: Growth-Aktien haben sich zuletzt besser als Value-Aktien entwickelt).In den USA nähert sich das Verhältnis von Growth- zu Value-Aktien dem Niveau vom Jahr 2000. In der Vergangenheit haben sich die Verhältnisse von Value- zu Growth-Aktien in den USA und Europa ähnlich entwickelt. Ende der Neunziger baute sich eine Technologieblase auf, einhergehend mit einer deutlichen Outperformance von Wachstumsaktien. Damals hatten viele Wachstumsunternehmen verlustträchtige Geschäftsmodelle und extrem hohe Bewertungen. Da sie die erwarteten Gewinne nicht realisieren konnten, stürzten die Kurse der Technologiewerte ab und das Niveau der Stile normalisierte sich. Im darauf folgenden Aufschwung von 2002 bis 2007 wiesen Value-Aktien eine bessere Wertentwicklung auf, unter anderem getrieben durch die gute Kursentwicklung der Banken. Seit dem Absturz dieser Aktien hatten dann Growth-Aktien wieder die Nase vorn. Das lag in Europa hauptsächlich an der schwachen Wertentwicklung der Finanzwerte und in den USA an der Outperformance von Technologiewerten. Die deutlich bessere Kursentwicklung des US-Technologiesektors kann dabei auch durch eine deutlich dynamischere Gewinnentwicklung erklärt werden – die hohe Profitabilität ist auch der Unterschied zur Technologieblase der Jahrtausendwende. In den letzten Jahren hat es Investoren angesichts des moderaten Aufschwungs auf der Suche nach steigenden Unternehmensgewinnen jedoch grundsätzlich in die Growth-Sektoren gezogen. Die Auswirkungen der langen Underperformance von Value-Aktien sind teilweise gravierend. Der Value-Risikofaktor ist insbesondere in den USA vermeintlich nicht mehr existent. Auf dem Prinzip des Value Investing basierende Management-Ansätze haben in den letzten Jahren meist schlechter als der breite Markt abgeschnitten. Insbesondere marktneutrale Strategien im Bereich der Hedgefonds und alternativen Investments haben deutlich verloren, da erwartete Risikoprämien jahrelang nicht realisiert werden konnten.Goldman Sachs stellte kürzlich fest, dass aufgrund der geringen Inflation und Investitionstätigkeit zuletzt nur noch 13 % der europäischen Unternehmen ein Umsatzwachstum von mehr als 8 % hatten. Auch beim MSCI All Country World Index ist diese Quote mit 25 % auf ein langjähriges Tief gefallen. Anleger sind vor diesem Hintergrund bereit, für Wachstum eine Prämie zu zahlen, weil es so selten geworden ist. Nach dem starken Anstieg der letzten Jahre ist nun die zentrale Frage, ob die Growth-Aktien die hohen Erwartungen an die Gewinnentwicklung weiter erfüllen können. Die Unternehmensergebnisse zum zweiten Quartal wurden von Anlegern diesbezüglich deutlich differenzierter beurteilt. Alphabet und Amazon konnten die Analysten mit Rekordgewinnen überzeugen. Hingegen wurden Netflix, Facebook und Twitter aufgrund gesunkener oder langsamer wachsender Nutzerzahlen abgestraft. Ihre Aktien verloren am Tag nach den Quartalszahlen bis zu 20 % an Wert. Bislang schienen die Bewertungen mit Ausnahme der ambitionierten Fälle Amazon und Netflix gerechtfertigt oder zumindest begründbar, zumal eine höhere Eigenkapitalrentabilität und Ertragsstärke eine höhere Bewertung der Growth-Aktien rechtfertigt. Die Bewertung von Growth-Aktien im Vergleich mit Value-Aktien ist bei weitem nicht so hoch wie zur Zeit der Dotcom Bubble. Die Anzahl kritischer Stimmen ist in den letzten Tagen aber gewachsen. In Verbindung mit der Einschätzung, dass wir in einem fortgeschrittenen Konjunkturzyklus mit steigenden Zinsen sind, erhöht dies zunehmend die relative Attraktivität von Value-Aktien. In der Vergangenheit haben nämlich Value-Aktien gegenüber Growth-Aktien in Zeiten steigender Anleiherenditen outperformt. Mit dafür verantwortlich ist die hohe Gewichtung von Banken und anderen zyklischen Sektoren in Value-Indizes. Zugleich werden Growth-Aktien stärker von einer höheren Abdiskontierung der Gewinnerwartungen belastet. Von einer Umschichtung von Growth- in Value-Aktien würden insbesondere Europa und Asien profitieren, da deren Sektorstruktur einen Value Bias hat. Ausgewogen positionierenAnstatt auf eine scheinbar klare Trennung zwischen Value- und Growth-Aktien zu setzen und einen kompletten Stilwechsel bei der Geldanlage zu vollziehen, sollten Anleger sich ausgewogen positionieren und vielmehr Wachstumsunternehmen geringerer Qualität meiden und selektiv Value-Aktien von hoher Qualität im Portfolio berücksichtigen. Nach der langen Outperformance von Growth-Aktien und den höheren relativen Bewertungen sollten Investoren eher verstärkt auf eine hohe Qualität und eine angemessene Bewertung bei der Aktienauswahl achten. Mit Aktien von nachhaltig wachsenden Unternehmen, die eine dauerhaft hohe Profitabilität erreichen, können Anleger langfristig am ehesten überdurchschnittliche Renditen am Aktienmarkt erzielen. In einem Umfeld steigender Zinsen und einer positiven Konjunktur profitieren allerdings nicht nur Value-Aktien. Auch ein Growth-Portfolio aus zyklischeren Investments profitiert in so einer Phase, wie z. B. Unternehmen aus den Sektoren Industriegüter, Luxusgüter oder Halbleiterfirmen. Defensive Sektoren wie stabile Konsumgüter des täglichen Bedarfs leiden dann eher, da sie nicht vom zyklischen Aufschwung profitieren und die Bewertung durch steigende Zinsen zunächst beeinflusst wird. —-Guido Urban, Senior Analyst Multi Asset Strategy & Research Berenberg