Elektroautopionier

Tesla könnte zur nächsten Netflix werden

Trotz der kräftigen Kursverluste der jüngsten Zeit ist die Aktie von Tesla nach wie vor sehr hoch bewertet, was angesichts der zunehmenden Risiken für eine weitere Korrektur sorgen könnte.

Tesla könnte zur nächsten Netflix werden

Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt

Mit der Aktie des erfolgsverwöhnten Elektroautopioniers Tesla konnte man im bisherigen Jahresverlauf richtig viel Geld verdienen – indem man Leerverkäufe auf sie tätigte. Nach den jüngsten Daten haben Leerverkäufer auf diese Weise gemäß den Daten des Dienstleisters Ortex nicht weniger als 8,2 Mrd Dollar verdient. Wer hingegen mit steigenden Kursen rechnete und sich dementsprechend positionierte, hatte enorme Verluste zu verkraften: Im bisherigen Jahresverlauf hat die Aktie 27% an Wert eingebüßt. Allein im Mai hat sich der Aktienkurs um 16% erleichtert. Bezogen auf das Tief von Ende Mai verringerte sich der Börsenwert in rund eineinhalb Monaten um stolze 487 Mrd. Dollar.

Bei Tesla selbst liegen jedenfalls die Nerven blank. So soll Tesla-Chef Elon Musk nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters in einer internen E-Mail an Führungskräfte von der Notwendigkeit des Abbaus von 10% der Belegschaft gesprochen haben. Außerdem soll er verfügt haben, dass sich sämtliche Manager wieder unverzüglich aus dem Home Office in den Büros einzufinden haben und dort auch mindestens 40 Stunden pro Woche durch Anwesenheit zu glänzen haben. Der Konzern avisiert zudem einen Aktiensplit, ein bislang sicherer Weg, den Aktienkurs anzutreiben, ohne dass sich operativ etwas verbessert. Anleger fordern auch bereits ein großvolumiges Aktienrückkaufprogramm. Immerhin hat sich die Aktie wieder von ihrem Tief von vor rund einer Woche von nur noch wenig mehr als 628 Dollar auf über 750 Dollar erholt. Ob dieser Trend nachhaltig ist, steht allerdings in den Sternen.

Viele Beobachter sind der Ansicht, dass der Wertverlust bei Tesla auch damit zusammenhängt, dass Tesla-Chef Elon Musk sein Übernahmeangebot für Twitter abgegeben hat und dass dieses derzeit nicht besonders gut läuft. Befürchtet wird, dass Musk sich genötigt fühlen könnte, eine größere Zahl von Tesla-Aktien zu verkaufen, um den Twitter-Deal erfolgreich abschließen zu können.

Probleme in China

Tesla hat aber auch operative Probleme, vor allem in China. So wurde die „Gigafactory“ in Schanghai Ende März zeitweise geschlossen und Anfang April mit verringerter Kapazität wieder in Betrieb genommen. Aktuell berichtet Bloomberg von einer Auslastung von rund 70%. Im April konnten in der Fabrik sogar lediglich rund 10000 Fahrzeuge gefertigt werden und lediglich ungefähr 1500 abgesetzt werden – weil Covid-19 auch die chinesischen Autokäufer zu Hause bleiben ließ. Im Dezember waren in Schanghai noch rund 71000 Einheiten gebaut worden. Somit ist es fraglich, ob der von Bloomberg erhobene Konsens der Analysten, dass es im zweiten Quartal konzernweit 300000 gebaute Fahrzeuge geben könnte, erreicht wird. Im ersten Quartal hat der weltweite Absatz bereits stagniert, der deutliche Anstieg des Gewinns ist auf andere Effekte zurückzuführen – wie etwa eine Reduzierung der allgemeinen Verwaltungskosten um 502 Mill. Dollar.

China ist für Tesla ein sehr wichtiger Markt, weil es sich bei dem Reich der Mitte um eines der wenigen Länder handelt, in dem die Kaufkraft der breiten Massen auch langfristig noch steigt, während sie in den USA und Europa deutlich und auch langfristig fällt. Tesla ist auf eine hohe Kaufkraft der Kunden angewiesen, weil der Konzern vor allem in den höherpreisigen Marktsegmenten unterwegs ist. Im ersten Quartal hat aber Tesla in China bereits 8000 Autos weniger verkauft als im vierten Quartal 2021 und der Marktanteil bei den Elektroautos stagniert bei 10%.

Längerfristig könnte es Probleme im Chinageschäft auch insofern geben, als sich das politische Verhältnis zwischen den USA und China stetig verschlechtert. Inzwischen gibt es erste neue Sanktionen des Westens gegen China. Radikale Kräfte innerhalb der US-Regierung fordern gar, dass Washington einen ähnlichen Sanktionskrieg gegen China wie gegen Russland beginnen sollte. Selbst wenn Tesla davon direkt nicht betroffen sein sollte, besteht insofern Gefahr, als chinesische Konsumenten dafür bekannt sind, in ihren Kaufentscheidungen zunehmend patriotisch zu handeln und als feindlich empfundene Unternehmen großräumig zu meiden, zumal auch zu erwarten ist, dass neue chinesische Wettbewerber zunehmend in der Lage sein werden, Tesla preislich zu unterbieten. In den USA wiederum hat Tesla immer noch kein produktionsfertiges Modell seines für den US-Markt wichtigen Pick-up Trucks vorgestellt, während Ford mit seinen F-150 Lightning und Rivian mit seinen Trucks die Nase vorn hat.

Ein weiteres Problem ist die Produktqualität. In der Rangliste der Zuverlässigkeit der einflussreichen US-Verbraucherzeitschrift „Consumer Reports“ sind Tesla-Modelle ganz unten zu finden. In einer ähnlichen britischen Rangliste nur von Elektroautos nimmt Tesla den schlechtesten Platz ein. Die Elektromodelle traditioneller Autohersteller schneiden deutlich besser ab. Stark umstritten ist auch das Autopilot-System von Tesla wegen einer größeren Anzahl von Unfällen.

Vor diesem Hintergrund fällt die nach wie vor hohe Bewertung der Aktie auf. Zwar hat sich das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) auf Basis der Analystenschätzungen für die kommenden zwölf Monate schon deutlich von seinem Allzeithoch von 152,4 vom November 2021 entfernt. Gegenwärtig erreicht Tesla gemäß den Daten von Refinitiv ein KGV von 52,2, was sich mit einem Branchendurchschnitt von 6,1 vergleicht. Lediglich der chinesische Elektroautohersteller BYD als Marktführer in seinem Heimatland wird mit einem KGV von 97,8 noch höher bewertet als Tesla, wobei BYD im Gegensatz zu Tesla in den vergangenen zehn Jahren stets Gewinne ausgewiesen hat. BYD prognostiziert ein doppelt so hohes Wachstum der Stückzahlen wie Tesla und das Unternehmen verfügt auch noch über andere Geschäftsfelder als den Elektroautobau.

Selbst wenn sich der Marktwert von Tesla um weitere 60% reduzieren sollte, käme der Konzern auf ein KGV von knapp über 20, was immer noch über dem Branchendurchschnitt liegen würde. Gegenwärtig sind die Analysten noch recht zuversichtlich, was die Aussichten für die Aktie betrifft. Von 43 Analysten empfehlen immerhin noch 21 den Kauf und vier stufen den Titel mit „Overweight“ ein. Allerdings raten auch 13 Häuser nur dazu, die Aktie im Portfolio zu behalten, bei einer Einstufung mit „Underweight“ und vier Verkaufsempfehlungen. Die Konsensschätzung für das Kursziel in zwölf Monaten liegt mit 971,96 Dollar derzeit noch 29% über dem gegenwärtigen Kursniveau. Mit Blick auf die dramatischen Auswirkungen der Sanktionen gegen Russland und die weitergeführte Nulltoleranzpolitik gegen Covid-19 in China besteht aber die Gefahr, dass Tesla noch weiter stark unter Druck gerät und eventuell an der Börse noch ähnlich abstürzt wie die einst hochfliegende Netflix.

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