Siegfried Ruhl, EU

„Unsere Anleihen sind großartig gelaufen“

Siegfried Ruhl, der bei der EU als Advisor maßgeblich die Refinanzierungsaktivitäten steuert, legt im Interview der Börsen-Zeitung dar, wie sich der Kapitalmarktauftritt der EU 2022 gestalten wird und wie es mit dem Aufbau der grünen Bondkurve der EU weitergeht.

„Unsere Anleihen sind großartig gelaufen“

Kai Johannsen.

Herr Ruhl, welches Funding-Volumen plant die EU für 2022, und wie vergleicht sich das mit dem Refinanzierungsvolumen für 2021?

Die Europäische Kommission hat am vergangenen Mittwoch den Finanzierungsplan für das erste Halbjahr 2022 veröffentlicht. In den ersten sechs Monaten des kommenden Jahres planen wir Bond-Emissionen in einem Gesamtvolumen von 50 Mrd. Euro für den temporären Wiederaufbaufonds Next Generation EU – NGEU. Zusätzlich erwarten wir einen Finanzierungsbedarf von circa 5,5 Mrd. Euro für andere Programme wie etwa das SURE-Instrument zur vorübergehenden Unterstützung bei der Minderung von Arbeitslosigkeitsrisiken. Daraus ergibt sich ein durchschnittliches monatliches Emissionsvolumen von circa 9 Mrd. Euro. Damit liegen wir knapp unter dem durchschnittlichen Emissionsvolumen, das wir seit dem Start von NGEU im Juni 2021 erzielt haben im Zeitraum Juni bis Dezember 2021, dem Start von NGEU. Zusätzlich werden wir unser erfolgreich gestartetes EU-Bill-Programm fortsetzen und regelmäßig in drei- und sechsmonatigen Laufzeiten EU-Bills per Auktion begeben.

Welche Erfahrungen haben Sie 2021 gemacht, insbesondere mit der Einführung dieses Bill-Programms und des Auktionsverfahrens?

Unser Finanzierungskonzept für NGEU wurde sehr positiv vom Markt aufgenommen. Das gilt insbesondere für den Ansatz, den Finanzierungsbedarf für NGEU mit einem Marktauftritt vergleichbar dem der großen europäischen Staaten zu decken. Die regelmäßigen Emissionen großvolumiger Anleihen in allen Laufzeitbereichen sowie die Einführung von Auktionen – beides unterstützt durch ein starkes Netzwerk von Banken und einer transparenten Kommunikation – machen EU-Anleihen attraktiv für viele Investoren. Positiv dabei ist, dass unsere Anleihen den europäischen Kapitalmarkt bereichern und zu keinerlei Konkurrenz mit anderen Emittenten geführt haben. Wie wir an den vielen erfolgreichen Emissionen der Europäischen Kommission, der europäischen Staaten und der anderen nationalen und supranationalen Emittenten im vergangenen Jahr sehen konnten, ist der europäische Kapitalmarkt insgesamt derzeit sehr attraktiv für Investoren. Das belegen nicht nur die Orderbücher, sondern auch Gespräche mit Investoren und anderen Emittenten. Dazu beigetragen hat sicherlich auch die Einführung unseres EU-Bill-Programms. Die neue Möglichkeit, in liquide EU-Papiere mit kurzen Laufzeiten zu investieren, hat neue Investoren in den Markt gebracht, beispielsweise ausländische Zentralbanken, die ihre Währungsreserven anlegen.

Anstelle der angekündigten 80 Mrd. Euro haben Sie nur 71 Mrd. Euro refinanziert und den Markt mit der Absage der letzten Transaktionen etwas überrascht, was war der Hintergrund?

Wir kommunizieren unser geplantes Finanzierungsvolumen basierend auf den geplanten Auszahlungen. Im Zeitablauf kann es dabei – wie überall – zu Anpassungen kommen. Es ist uns wichtig, möglichst bei den angekündigten Volumen zu bleiben. Unsere Finanzierungsstrategie, in der es auch ein Liquiditätsportfolio gibt, bietet uns daher die Möglichkeit, Änderungen in den geplanten Auszahlungen bis zu einem gewissen Grad auszugleichen. Allerdings ist Liquiditätshaltung auch mit Kosten verbunden und im Sinne unserer Mitgliedstaaten – also letztlich des europäischen Steuerzahlers – müssen wir diese im Auge behalten.

Sind solche kurzfristigen Änderungen auch in Zukunft möglich?

Der Großteil des Finanzierungsbedarfs für NGEU entfällt auf die Aufbau- und Resilienzfazilität – kurz ARF. Während diese 2021 eine Vorfinanzierung ermöglicht hat, sind künftige Auszahlungen damit verknüpft, dass konkrete Ziele und Meilensteine erreicht werden, die mit den Mitgliedstaaten vereinbart worden sind. Damit kann es zu vorübergehenden Abweichungen von den ursprünglichen Plänen kommen. Wie gesagt, wir versuchen, solche Abweichungen auszugleichen, allerdings können wir Anpassungen der Finanzierungspläne nicht vollkommen ausschließen. Falls es zu Änderungen kommen sollte, werden wir diese umgehend und transparent kommunizieren.

In der Vergangenheit haben Sie ein jährliches Volumen von 150 Mrd. Euro angekündigt, für das erste Halbjahr 2022 hingegen nur 50 Mrd. Euro, was ist der Hintergrund? Werden Sie im zweiten Halbjahr 100 Mrd. Euro zu refinanzieren haben?

Die genannten 150 Mrd. Euro stellen in etwa das mathematische Mittel des Gesamtfinanzierungsbedarfs von bis zu circa 800 Mrd. Euro dar – verteilt auf den Zeitraum bis Ende 2026. Wir nutzen diesen Wert, um den Marktteilnehmern eine grobe Vorstellung von unseren zukünftigen Finanzierungsvolumina zu vermitteln. Der tatsächliche jährliche Finanzierungsbedarf richtet sich nach den Fortschritten bei der Implementierung der nationalen Wiederaufbaupläne.

Sie haben kein Emissionsfenster für den Monat Januar angekündigt. Was ist der Hintergrund?

Wir werden im Januar mit zwei Bill- und einer Bond-Auktion aktiv sein. Insgesamt haben wir derzeit eine komfortable Liquiditätssituation. Gleichzeitig gehen wir davon aus, dass der Januar wie in den vergangenen Jahren sehr angebotsstark sein wird, insbesondere im syndizierten Format. Wir nutzen daher die Flexibilität unsere Finanzierungsstrategie und starten erst im Februar mit unseren syndizierten Transaktionen.

Wie verteilt sich dieses Funding-Volumen auf Geldmarktpapiere und Kapitalmarktinstrumente, und gibt es Verschiebungen im Vergleich zu 2021?

Die angekündigten 50 Mrd. Euro beziehen sich ausschließlich auf unsere Kapitalmarktemissionen in konventionellen und grünen Anleihen, da wir unsere Auszahlungen grundsätzlich langfristig finanzieren. Dazu kommen die Emissionen unserer EU-Bills. Diese kurzfristigen Emissionen dienen dem Liquiditätsmanagement und der temporären Finanzierung von Auszahlungen, bis diese in Kapitalmarktfinanzierungen überführt werden. Das gibt uns die Möglichkeit einer stetigen und gleichmäßigen Präsenz im Primärmarkt.

Für welche Projekte werden die Gelder im kommenden Jahr eingesetzt?

Die Gelder werden für die Finanzierung der einzelnen NGEU-Programme eingesetzt. Etwa 90% entfallen dabei auf die ARF und werden also genau so verwandt, wie es in den nationalen Plänen mit den Mitgliedstaaten vereinbart worden ist. Die ARF-Verordnung sieht dabei vor, dass mindestens 37% der Gesamtausgaben dem Klimaschutz und 20% der Digitalisierung dienen müssen. Damit stellen wir sicher, dass die ARF nicht nur die kurzfristigen Folgen der Pandemie abfedert, sondern auch langfristig in die Zukunft investiert: in den Übergang hin zu einem grüneren, digitaleren und damit auch resilienteren Europa.

Sind Sie ausreichend flexibel, um auf der Funding-Seite reagieren zu können, wenn die Pandemie noch mal schärfer um sich greift und neue weitreichende Maßnahmen der Politik erforderlich werden könnten?

Der bestehende rechtliche Rahmen ermöglicht die Aufnahme von bis zu circa 800 Mrd. Euro zur Finanzierung der einzelnen NGEU Programme. Hierfür haben wir eine diversifizierte Finanzierungsstrategie mit unterschiedlichen Finanzierungsinstrumenten implementiert und damit einen flexiblen Werkzeugkasten geschaffen. Durch das Angebot liquider Papiere in allen Laufzeitbereichen können wir eine große Investorenbasis innerhalb und außerhalb Europas ansprechen. Gleichzeitig ermöglichen uns Syndikate und Auktionen den Zugang zu unterschiedlichen Marktsituationen. Dabei können wir auf die Unterstützung des größten Primary Dealer Netzwerks in Europa, be­ste­hend aus 42 Banken, bauen.

Ihre Anleihen sind praktisch querbeet gut gelaufen – seit Beginn Ihrer Emissionstätigkeit. Wie ist es derzeit um das Investorensentiment bestellt, und was erwarten Sie diesbezüglich für 2022.

Unsere Anleihen sind nicht nur gut, sie sind großartig gelaufen. Die Anleger haben unsere Bemühungen mit einer überwältigenden Nachfrage belohnt, so dass unsere Emissionen einige Rekorde aufgestellt haben. Auch wenn wir zum Jahresende hin weniger Primärmarktaktivitäten gesehen haben und sich die Diskussionen im Markt stark auf die Zinspolitik der Zentralbanken fokussieren, ist die Grundstimmung weiterhin positiv. Im Sekundärmarkt sehen wir eine starke Nachfrage nach liquiden und sicheren Papieren. Spekulationen über die künftige Zinspolitik der EZB werden im neuen Jahr sicherlich phasenweise zu erhöhter Volatilität führen. Ich gehe allerdings davon aus, dass diese eher kurzfristiger Natur sein werden. Es gibt nach wie vor einen hohen Anlagebedarf. Insbesondere im Bereich der grünen Anleihen erwarte ich, dass der Markt sein starkes Wachstum fortsetzen wird und wir mit unseren grünen EU-Anleihen dieses Wachstum unterstützen können.

Planen sie wie andere Emittenten auch, beim Funding ein Frontloading 2022 vorzunehmen? Sie – wie viele andere – waren mit den Refinanzierungsaktivitäten 2021 ja schnell durch, mancher schneller als in vorigen Jahren.

Unsere Finanzierungsstrategie setzt auf eine regelmäßige und stetige Marktpräsenz, wobei wir natürlich unseren Liquiditätsbedarf berücksichtigen. Wir werden im Januar mit Bill- und Bond-Auktionen aktiv sein, die erste syndizierte Begebung ist allerdings erst für Februar vorgesehen. Es findet unsererseits also kein Frontloading statt.

Stellen Sie Unterschiede im Nachfrageverhalten der Investoren nach Regionen oder Investorentypen fest? Wer ist denn besonders stark mit von der Partie bezüglich Typus und Region?

Die Nachfrage bestimmter Investorengruppen oder Regionen hängt immer sehr stark von der Laufzeit einer Emission statt. Längere Laufzeiten sind oft bei europäischen Versicherern oder Pensionsgesellschaften gefragt, im mittleren Laufzeitenbereich nimmt häufig der Anteil außereuropäischer Zentralbanken zu. Das liegt aber im grundsätzlichen Bedarf dieser Anleger begründet und ist keine neue Beobachtung. Insgesamt steigt der Anteil der Assetmanager in den Orderbüchern. Das liegt zum einen daran, dass sich ETFs zunehmender Beliebtheit bei den Anlegern erfreuen. Zum anderen lagern Unternehmen, Banken, Versicherer und Pensionskassen das Management ihrer Assets zunehmend an Assetmanager aus, so dass deren Bedeutung insbesondere bei langen Laufzeiten steigt.

Sie haben sich für ein Miteinander von Auktionen und Syndikaten entschieden: Wie ist es bisher gelaufen, und wie werden sich die aufzunehmenden Gelder auf die beiden Emissionsvarianten 2022 verteilen? Welche Erfahrungen haben Sie mit den ersten Auktionen gemacht?

Die ersten Auktionen sind stark gelaufen, allerdings blicken wir insbesondere bei den Bond-Auktionen nur auf eine kurze Historie zurück. Unser Ziel ist es, Auktionen als Emissionsformat für EU-Anleihen im ersten Halbjahr 2022 weiterzuentwickeln. Für uns ist es ein sehr effizientes Emissionsformat. Aber auch viele Marktteilnehmer tragen diesen Wunsch an uns heran, da Auktionen die Liquidität im Sekundärmarkt erhöhen und die Papiere nicht direkt beim Endinvestor weggepackt werden.

Die Auktionen waren alle stark überzeichnet und hatten hohe Auktionsprämien, wie betrachten Sie das? Sehen sie darin auch Risiken?

Grundsätzlich freut man sich als Emittent natürlich über hohe Auktionsprämien, sie senken die Finanzierungskosten. Man muss dies allerdings auch aus einer langfristigen Perspektive sehen. Wenn Auktionsprämien dauerhaft zu hoch sind, verlieren Investoren das Interesse daran, über Primärhändler an den Auktionen teilzunehmen. Die Folge wären Auktionen, die überwiegend vom Bestreben der Primärhändler getrieben sind, sich in eine gute Position für ein Lead-Mandat in einer künftigen syndizierten Transaktion zu begeben. Aus Emittentensicht bedeutet das, dass die Basis der Nachfrage in Auktionen kleiner wird, wodurch letztlich das Exekutionsrisiko steigt. Es ist also wichtig, hier eine gute Balance zu haben. Wir beobachten die Entwicklungen in unseren Auktionen deshalb sehr genau. Insbesondere bei den Bill-Auktionen, für die wir eine etwas breitere Datenbasis haben, sehen wir erste Anzeichen einer Normalisierung. So geht zum Beispiel die Streuung der einzelnen Kursgebote zurück. Dies zeigt, dass die Bieter eine bessere und homogenere Preisvorstellung bei der Abgabe ihrer Gebote haben.

Sie haben im Oktober den ersten Green Bond der EU an den Markt gebracht, der ein voller Erfolg war. Wie geht es mit den Green Bonds 2022 nun weiter, auf was können sich die Anleger einstellen – auch bei den Volumina?

Grüne EU-Anleihen werden ein fester Bestandteil unserer Finanzierungsstrategie sein. Wir wollen im ersten Halbjahr 2022 mit dem Aufbau unserer grünen Kurve fortfahren. Insgesamt werden wir 30% der Anleiheemissionen im grünen Format durchführen. Deren Anteil kann in den einzelnen Jahren variieren, denn er hängt davon ab, welche Fortschritte die Mitgliedstaaten bei ihren grünen Projekten machen. Es ist uns wichtig, hier auf der sicheren Seite zu sein und nur die Beträge in grünem Format zu emittieren, die auch durch entsprechende grüne Ausgaben gedeckt sind.

Soziale Anleihen wie die SURE-Bonds gehören ja auch zu Ihrem Refinanzierungsrepertoire. Sind nun bald auch Sustainability-Bonds oder Sustainability-Linked Bonds in der Pipeline?

Mit der Emission der SURE-Bonds als soziale Anleihen haben wir diesen Markt entscheidend weiterentwickelt. Der noch verbleibende Finanzierungsbedarf für das SURE-Programm wird selbstverständlich auch durch die Emission von sozialen Anleihen gedeckt werden. In diesem Jahr wurde weltweit etwa die Hälfte aller Anleihen im Bereich der Nachhaltigkeit in grünem Format begeben. 55% aller Emissionen fanden in Euro statt. Mit der geplanten Emission von bis zu 250 Mrd. Euro in grünen Anleihen bis Ende 2026 werden wir das grüne Segment des Markts für nachhaltige Anleihen weiter ausbauen. Gleichzeitig stärken wir damit auch die Rolle des Euro als Anlagewährung im Bereich der Nachhaltigkeit.

Planen Sie Änderungen an der Laufzeitenstruktur?

Nein, wir behalten unsere Strategie bei und werden in allen Laufzeitbereichen bis 30 Jahre aktiv sein, wobei wir natürlich immer die Marktgegebenheiten und das Investoreninteresse berücksichtigen.

Erwägen Sie neue Fixed-Income-Instrumente?

Zur Finanzierung von NGEU brauchen wir Instrumente, die es uns ermöglichen, regelmäßig einen großen Kreis von Investoren anzusprechen, um die erforderliche Liquidität zu beschaffen. Mit der Emission von EU-Bills, EU-Bonds und unserer grünen Anleihen haben wir ein gutes Portfolio an Finanzierungsinstrumenten, um Investoren zu gewinnen, die sichere und liquide Anlagemöglichkeiten suchen. Der Start dieser Produkte ist uns sehr gut gelungen. Wir werden uns nun darauf fokussieren, diese Produkte weiter im Markt zu etablieren und zusätzliche Investoren für diese Produkte zu bekommen.

Planen Sie, in andere Währungen zu gehen?

Nein. Der Markt in Euro ist groß und liquide. Mit unseren Marktaktivitäten werden wir den europäischen Kapitalmarkt und die Rolle des Euro weiter stärken.

Wie weit liegt die Zinskurve der EU bereits im Minus, und wo sehen Sie die Kurve 2022?

Die Zinskurve der EU hat schnell ihren Platz zwischen den Zinskurven der liquiden und sicheren europäischen Staatsanleihen gefunden. Mit den geplanten Emissionen sicherer und liquider Anleihen werden wir dafür sorgen, dass sie 2022 weiterhin dort handelt.

Das Interview führte

BZ+
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