Anleihemarkt

Unternehmens­anleihen in der Zinswende

Zwar hielt sich die EZB mit Details zum neuen Instrument TPI jüngst sehr bedeckt, und auf absehbare Zeit ist wohl kaum mit Käufen von Unternehmensanleihen zu rechnen, doch für den Kreditmarkt ist das TPI nun, fast wie ehemals der „Draghi-Put“, ein zusätzliches Sicherheitsnetz, meinen Experten im aktuellen Umfeld.

Unternehmens­anleihen in der Zinswende

Von Carsten Lüdemann*)

Die Rentenmärkte haben seit Jahresbeginn eine äußerst turbulente Zeit durchlaufen, die in erster Linie hohe Verluste beschert hat. Aufgrund der massiv ausufernden Inflationsraten sind sehr hohe Leitzinsanhebungen der Europäischen Zentralbank (EZB) eingepreist worden. Unternehmensanleihen haben hierunter doppelt gelitten, da sich zum allgemeinen Zinsanstieg noch eine Ausweitung der Risikoaufschläge – aufgrund der stark eingetrübten Konjunkturaussichten – hinzuaddierte. Besonders kräftig sind die Aufschläge am Derivatemarkt für Credit Default Swaps und deren Indizes der iTraxx-Familie ausgefallen. So hat sich der Spread für den iTraxx-Europe-Index für 125 repräsentative europäische Unternehmen aus dem Investment-Grade-Bereich von knapp 50 Basispunkten (BP) zu Jahresbeginn in der Spitze um das Zweieinhalbfache auf bis zu 127 BP ausgeweitet. Zuletzt sind die Spreads allerdings auch wieder überraschend stark gesunken. Während bei Bundesanleihen zunehmend die Sorge vor einer bevorstehenden Rezession eingepreist wird, profitieren Unternehmensanleihen von immer noch recht guten Geschäftsergebnissen.

Spreads weiten sich aus

Ähnlich kräftig wie bei Investment-Grade-Titeln war der Spread-Anstieg beim iTraxx Crossover, der aus 75 Unternehmen aus dem High-Yield-Bereich erstellt wird. Dieser ist von 250 BP in der Spitze bis auf 630 BP angesprungen. Gerade bei Firmen aus dem Hochzinsumfeld besteht die Sorge, dass sich diese – weil ohnehin mit kritischen Verschuldungsgraden finanziert – bei steigenden Zinsen nicht mehr ausreichend mit liquiden Mitteln versorgen können. Noch sind hier jedoch kaum erhöhte Probleme zu beobachten.

In der ersten Jahreshälfte sind weltweit 43 von Moody’s beobachtete Unternehmen zahlungsunfähig geworden. In der ersten Jahreshälfte 2021 waren es noch 29. Die globale Ausfallrate für High Yield Corporates ist in den vergangenen Monaten nur gering auf den sehr niedrigen Stand von 2,1% gestiegen, in Europa liegt sie noch etwas niedriger. Ein großer Teil der europäischen Ausfälle betrifft ukrainische Banken, die durch den Kriegsausbruch in Zahlungsschwierigkeiten geraten sind. Insgesamt sind die Auswirkungen auf die Zahlungsfähigkeit der aktuell beträchtlichen Probleme durch Krieg, Materialmangel und Lieferschwierigkeiten sowie den dramatischen Anstieg von Rohstoff- und Vorproduktepreisen bisher bemerkenswert gering. Allerdings sind Ausfallraten auch ein stark nachlaufender Indikator, da sich Zahlungsprobleme meist erst mit der Zeit aufbauen. Doch auch im weiteren Ausblick zeigt sich die Ratingagentur Moody’s in ihrem Hauptszenario nicht sonderlich pessimistisch. Aufgrund der stark eingetrübten Konjunkturaussichten und der erheblich ge­strafften Kreditkonditionen hat Moody’s seine Prognose für die Ausfallrate (12 month trailing) in zwölf Monaten zuletzt auf 3,7% angehoben. Dies wäre immer noch niedriger als der langfristige Durchschnitt von 4,1%. Moody’s hält vielen Unternehmen aus dem High-Yield-Bereich zugute, dass sie sich in den zurückliegenden zwei Jahren bereits ausgiebig Liquidität zu günstigen Konditionen beschafft haben und daher nun in stark steigender Zinslandschaft nicht im Zugzwang sind. Die Unsicherheit über den Konjunkturverlauf ist allerdings groß und könnte leicht von vielen Faktoren wie z.B. der Gasversorgung in Europa, der Steilheit des Leitzinspfades in den USA oder der Lockdown-Maßnahmen vor allem in China stark beeinträchtigt werden. In einem moderaten Negativszenario mit milder globaler Rezession rechnet Moody’s daher mit einer deutlich höheren Ausfallrate von 6,9%, die kräftig steigende Risikoaufschläge bei High-Yield-Bonds nach sich ziehen würde. Käufer müssen sich in dieser Assetklasse mit einem entsprechend höheren Aufschlag für die zu befürchtenden Ausfälle kompensieren lassen. In einem schweren Negativszenario sollte die Ausfallrate auf 12,4% anspringen. Zum Vergleich hatten die Ausfälle in der globalen Finanzkrise mit 13,5% höher gelegen.

Für Europa hat Moody’s etwas moderatere Prognosen. Im Basisszenario wird ein Anstieg der Defaults auf 3% erwartet, in den Negativszenarien 5,5% respektive 8,7%. An den Kapitalmärkten wird bereits mit den Negativszenarien gerechnet. Der iTraxx Crossover mit einjähriger Fälligkeit preist aktuell eine Zwölfmonatsausfallrate von etwa 6% ein. Der fünfjährige Crossover preist auf einem Niveau von 540 BP eine implizite Ausfallwahrscheinlichkeit über fünf Jahre von kumuliert 36% ein. Dies liegt über dem historisch schlechtesten Fünfjahreszeitraum, den dieser Index bisher durchlebt hat, denn der hatte eine Default-Quote von kumuliert 30% aushalten müssen. Der historische Durchschnitt liegt weit tiefer bei 15%. Somit ist aktuell bereits eine mittelschwere Rezession eingepreist. Dies liegt wahrscheinlich auch daran, dass viele Investoren die recht liquiden iTraxx-Indizes zur Absicherung ihrer Anleihebestände nutzen und damit die Spreads zusätzlich getrieben haben. Sofern also ein schweres Rezessionsszenario für Europa ausbleibt, könnte der obere Rand der Spread-Ausweitung bereits erreicht worden sein. Bei Kassa-Anleihen hingegen sind die Spread-Ausweitungen spürbar hinter dem Kreditderivatemarkt zurückgeblieben. Da die Risikoreduzierung vielfach über Kreditderivate vorgenommen wurde, ist der Kassamarkt von einer größeren Verkaufswelle verschont geblieben. Dieser hätten die Marketmaker voraussichtlich auch nicht standhalten können, da die Liquidität im Jahresverlauf sehr stark verloren gegangen ist. Das liegt zum großen Teil am Rückzug der EZB als bisher größtem Käufer. Während von der Notenbank bis Ende Juni zusätzlich noch Papiere mit einem Gegenwert von etwa 5 Mrd. Euro netto neu hinzugekauft wurden, betragen die fälligen Ersatzkäufe in den kommenden zwölf Monaten im Durchschnitt nur noch etwa 2 Mrd. Euro monatlich.

Gedrückte Renditen

Mit einem Zinsschritt um 50 BP ist die EZB dann doch zügiger in die Zinswende eingestiegen als von ihr selbst angekündigt. Nach einem ersten Schrecken kamen Käufer in den Markt und Shorteindeckungen drückten die Renditen massiv nach unten. Für Unternehmensanleihen kam zusätzlich noch ein deutlicher Rückgang der Risikoaufschläge hinzu. Auch in diesem Fall waren es wiederum Kreditderivate, die besonders stark reagierten. Am Kassamarkt fehlt aktuell die Angebotsseite, da Neuemissionen in der Sommerpause rar sind. Bei den Un­ternehmensanleihen hat die Notenbank die Marktteilnehmer mit dem Hinweis überrascht, dass im Zuge ihres neuen Transmissionsinstruments TPI auch Anleihen von privaten Emittenten gekauft werden könnten. Im Markt war man überwiegend davon ausgegangen, dies Instrument sei lediglich zur Steuerung von Staatsanleihespreads vorgesehen. Zwar hielt sich die EZB mit Details zum TPI sehr bedeckt, und auf absehbare Zeit ist wohl kaum mit Käufen von Unternehmensanleihen zu rechnen, doch für den Kreditmarkt ist das TPI nun, fast wie ehemals der „Draghi-Put“, ein zusätzliches Sicherheitsnetz.

*) Carsten Lüdemann ist im Makro-Research der DekaBank.