Aktieninvestments

Unterteilung in Value und Growth zu hinterfragen

Eine kategorische Unterteilung von Aktieninvestments in Value und Growth birgt die Gefahr, den Investmentprozess auf eine Momentaufnahme der Märkte zu reduzieren.

Unterteilung in Value und Growth zu hinterfragen

Investieren stellt einen dynamischen und kontinuierlichen Prozess dar, der sich nicht auf eine Momentaufnahme der Märkte reduzieren lässt. Doch Investoren, die Aktieninvestments im Rahmen der aktuellen Debatte kategorisch in Value und Growth unterteilen, laufen Gefahr, genau Letzteres zu tun. Investieren im Aktienmarkt verlangt danach, mit dem Blick in die Zukunft zu handeln und nicht mit dem Blick in den Rückspiegel. Doch was hat dies mit der Value-versus-Growth-Debatte zu tun?

Erinnern wir uns daran, dass während des Superzyklus Rohstoff- und Energieaktien von Indexanbietern als Wachstumsaktien eingestuft wurden. Aber mit dem Ausbruch der globalen Finanzmarktkrise waren sie über Nacht keine Wachstumsaktien mehr und wechselten in das Substanzwertlager. Damals hatte sich Chinas Hunger nach Rohstoffen und Energie eingetrübt, was zu sinkenden Energie- und Rohstoffpreisen führte. Ebenso schnell verdüsterten sich die Wachstumsaussichten.

Doch dieser Blick in den Rückspiegel, die strikte Unterteilung in Substanzwert- oder Wachstumslager, gab nicht die richtigen Antworten, um in dem damals sehr herausfordernden Aktienmarkt zu bestehen. Eine statistische Analyse des MSCI AC World belegt, dass die Fluktuation von Aktien zwischen den beiden Kategorien nicht nur während der globalen Finanzmarktkrise sehr hoch war. Auch heute ist dies der Fall. So wechseln jedes Jahr rund 20% der Unternehmen die Seite.

Die Indexanbieter beweisen damit, wie problematisch eine strikte Unterscheidung von Aktien in Substanzwert- und Wachstumskategorien ist. Was in einem Jahr laut MSCI eine Wachstumsaktie ist, mag im nächsten Jahr ein Substanzwert sein und umgekehrt.

Über längere Zeitspannen, wie sie etwa für Pensionskassen relevant sind, funktioniert diese Betrachtungsweise also nur in sehr eingeschränktem Maße. Deshalb ist es wichtig, sich bei langfristigen Investitionen nicht mit statischen Betrachtungen von Substanzwert- und Wachstumsaktien zufriedenzugeben. Ein aktiver Fondsmanager muss vielmehr die künftigen Wachstumsaussichten seiner Portfoliounternehmen sowie deren Bewertungen zu jedem Zeitpunkt hinterfragen.

Nicht zielführend sind dagegen der Blick in den Rückspiegel oder ein fundamentales, konsensbasiertes Zahlenwerk, wie es von Indexanbietern als Hilfsbrücke genutzt wird. Ein negatives Beispiel wäre, billige Aktien mit tiefem KGV oder Kurs-Buchwert-Verhältnis als Substanzwerte zu kategorisieren, ohne sich zu fragen, ob eine Wachstumsbeschleunigung das in Zukunft ändern könnte. So werden etwa Aktien mit hohem Return on Equity (RoE) als Qualitätsaktien eingestuft, wobei dieser RoE nur das Resultat der Qualität der Aktie ist, nicht aber deren Erklärung. Und wenn Aktien mit überdurchschnittlichem Umsatz-, Gewinn- und Margenwachstum als Wachstumsaktien deklariert werden, muss man hinterfragen, wie nachhaltig dieses Wachstum ist.

Aus diesen Gründen kann ein aktives Management mit einem disziplinierten Ansatz über lange Zeitspannen einen Mehrwert generieren, ohne sich von der Value-versus-Growth-Debatte ablenken zu lassen. Dabei sind unterschiedliche Signale denkbar: Sei es, dass die Wachstumsduration für die kommenden Jahre unterschätzt wird, dass kurzfristig ein Gewinnüberraschungspotenzial besteht oder dass ein zu erheblicher Abschlag zu einem fairen Unternehmenswert aufgebaut wurde, der über einen längeren Zeitraum abgebaut werden kann.

Keiner dieser Ansätze wird sich auf die Vergangenheit konzentrieren, wie es die Einteilung in Value und Growth tut. Aktive Investoren müssen das Rückgrat haben, dem Signal zu folgen, anstatt vor solchen Debatten zu kapitulieren. Als Konsequenz trennen sich Wachstumsinvestoren von Unternehmen, bevor sich deren Wachstum abschwächt und sie womöglich von Indexanbietern als Value-Aktien eingestuft werden. Oder es führt dazu, dass Value-In­vestoren ein Bewertungspotenzial heben, weil sich die Wachstumsaussichten eines Unternehmens verbessern, bevor ein Indexanbieter solche Unternehmen als Wachstumsaktien einstuft.

Doch wie zielführend ist nun die Unterscheidung von Value und Growth? Bietet sie in einem volatilen Umfeld Lösungsansätze? Gemäß dem Argument, dass Value-Aktien eine niedrige Duration haben und Wachstumsaktien eine hohe Duration, sind Letztere zinssensitiver und wären daher zu meiden. Die Aktienduration lehnt sich an den Anleihemarkt an. Doch Anleihen besitzen keine Preissetzungsmacht, und genau diese ist der beste Inflationsschutz.

Deshalb ist die Qualität einer Aktie, die in der Value-versus-Growth-Debatte keinen Platz hat, so wichtig. Schließlich können Qualitätsunternehmen durch starke wirtschaftliche Burggräben und die damit einhergehende hohe Preissetzungsmacht in ihren Märkten die Inflation an ihre Kunden weiterreichen, wodurch die Inflation kompensiert oder überkompensiert werden kann. Ein Beispiel dafür ist Microsoft. Das Unternehmen hat das gerade mit seinen Preiserhöhungen im Ausmaß von bis zu 25% für die Microsoft-365-Produkte eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Außerdem bieten Qualitätsunternehmen durch ihre niedrige Verschuldung in einem Umfeld steigender Realzinsen Schutz. Investitionen werden bei solchen Unternehmen häufig intern finanziert und nicht mit Anleihen oder Krediten, die sich im aktuellen Umfeld verteuern.

Aus all diesen Gründen erscheint gerade im aktuellen Umfeld eine Kategorisierung nach Value und Growth für langfristige Investitionsentscheide wenig sinnvoll.