Edelmetalle

Verlorenes Jahr für den Goldpreis – oder doch nicht?

Aus unterschiedlichen charttechnischen Blickwinkeln betrachtet, befindet sich der Goldpreis derzeit in einer vielversprechenden Ausgangslage.

Verlorenes Jahr für den Goldpreis – oder doch nicht?

Von Jörg Scherer*)

Im bisherigen Jahresverlauf 2021 hat der Goldpreis nicht glänzen können. So zählt das Edelmetall zu den wenigen Assetklassen, deren Wertentwicklung in den ersten zehn Monaten negativ ausfällt. 2021 ist für den Goldpreis bisher also alles andere als ein Sahnejahrgang. Unsere Überschrift ist deshalb bewusst gewählt und dennoch nicht frei von Ironie. Schließlich durchschreiten die Edelmetallmärkte derzeit wichtige Konsolidierungen, wodurch sich aktuell – aber auch über den Tellerrand hinaus für das Jahr 2022 – eine extrem spannende Ausgangslage ergibt.

Im Gegensatz zu unseren sonstigen (langfristigen) Gepflogenheiten beginnen wir unsere heutige Analyse mit einem Blick auf den Tageschart. In dieser Zeitebene bestätigen die Dips vom August und September jeweils den Basisaufwärtstrend seit Ende 2015 (aktuell bei 1735 Dollar). Gleichzeitig besteht die Chance, dass sich die bisherigen Jahrestiefs bei 1676/1684 Dollar übergeordnet als die entscheidenden Leitplanken eines Doppelbodens erweisen.

An dieser Stelle wird es interessant, denn das jüngste Low könnte sich zusätzlich als inverse Schulter-Kopf-Schulter-Formation erweisen. Damit entsteht ein sogenanntes verschachteltes Kursmuster – nach dem Motto: „Kleiner Boden, großer Boden“. Bildlich gesprochen steht der Goldpreis demnach vor einer Situation, in welcher der Abschluss einer kleinen Bodenbildung ein hinreichendes Anschlusspotenzial verspricht, um auch die größere Trendwende zu vollziehen. Die Rück­eroberung der Glättungslinien der letzten 50 bzw. 200 Tage (aktuell bei 1780/1793 Dollar) sorgt dabei für ein zusätzliches Ausrufezeichen, so dass die Hochs vom Juli/September bei 1832/1834 Dollar das nächste Anlaufziel definieren. Jenseits dieser Hürden wäre die oben genannte S-K-S-Umkehr tatsächlich komplettiert. Diese hält dann wiederum ein hinreichendes Anschlusspotenzial bereit, um auch den großen Doppelboden mit einem Spurt über das Juni-Hoch bei 1916 Dollar zu vervollständigen.

Der Signalgeber schlechthin

Zu unseren Lieblingsansätzen gehören nicht nur die Analysen unterschiedlicher Zeitebenen, sondern wir sind auch vom Mehrwert der Verknüpfung unterschiedlicher Chartarten überzeugt. Anhand der Edelmetallentwicklung lässt sich unsere Herangehensweise derzeit exemplarisch verdeutlichen. So haben wir die Relevanz der Glättungslinien der letzten 50 bzw. 200 Tage oben bereits herausgearbeitet. Auch auf Point-&-Figure-Basis entsteht oberhalb der Marke von 1800 Dollar ein wichtiges Kaufsignal, denn auf diesem Niveau bildet der Abwärtstrend seit dem Frühjahr 2020 zusammen mit den Hochs von 2011/2012 einen wichtigen Kreuzwiderstand. Bei einem erfolgreichen Befreiungsschlag liefert somit neben dem klassischen Candle­stick-Chart auch die in Europa etwas in Vergessenheit geratene Point-&-Figure-Darstellungsform ein prozyklisches Einstiegssignal. Im Erfolgsfall definiert die Kombination aus dem Juni-Hoch und dem alten Allzeithoch aus dem Jahr 2011 bei 1916/1920 Dollar das nächste Anlaufziel – ebenfalls eine Gemeinsamkeit der beiden unterschiedlichen Chartarten. Unter die Arme greifen könnten dem Goldpreis dabei die saisonalen Rahmenbedingungen. Sowohl die typische Entwicklung des zweiten Halbjahres als auch das Verlaufsmuster des US-Nachwahljahres legen bis zum Jahresultimo zyklischen Rückenwind nahe.

Verschachteltes Kursmuster

Neben dem P&F-Chart liefert der Kursverlauf des Goldpreises in Euro möglicherweise einen wichtigen Fingerzeig. Schließlich präsentiert sich die technische Ausgangslage aus Sicht eines Euro-Investors ganz ähnlich zu den oben genannten Rahmenbedingungen. Im August kam es hier durch einen lehrbuchmäßigen Pullback zunächst zu einer idealtypischen Bestätigung des Bruchs des Korrekturtrends seit August 2020. Dank der Rückeroberung der 38-Wochen-Linie (aktuell bei 1505 Euro) sowie des Spurts über den flacheren Baissetrend der letzten 15 Monate (aktuell bei 1514 Euro) liegt hier bereits eine kleine Schulter-Kopf-Schulter-Formation vor (siehe Chart). Diese ist ebenfalls Teil des größeren, unteren Umkehrprozesses. Mit anderen Worten: Aus Euro-Sicht ist der Goldpreis bereits einen Schritt weiter! In Sachen Verbesserung der Ausgangslage liefert zudem die Auffächerung der beiden genannten Abwärtstrendlinien den Goldbullen ein weiteres Argument an die Hand. Das charttechnische Anschlusspotenzial der kleinen S-K-S-Umkehr lässt sich auf rund 120 Euro taxieren. Mehr als ausreichend, um auch den endgültigen Befreiungsschlag zu landen – sprich den Sprung über die Nackenzone der großen Bodenbildung (aktuell bei 1567 Euro). Letzteres würde die Perspektiven des Edelmetalls nachhaltig verbessern. Perspektivisch sollte dann das bisherige Allzeithoch vom August 2020 bei 1758 Euro wieder in den Mittelpunkt rücken. Als strategische Absicherung können Euro-Anleger dagegen die oben genannte Glättungslinie heranziehen.

Aus unterschiedlichen Blickwinkeln heraus betrachtet befindet sich der Goldpreis derzeit in einer vielversprechenden Ausgangslage. Deshalb sehen wir 2021 nicht als „verlorenes Jahr“. Vielmehr bietet sich dem Goldpreis die Chance, auf den letzten Metern des Jahres noch etwas Boden gutzumachen und den Grundstein für ein konstruktives Jahr 2022 zu legen.

*) Jörg Scherer ist Leiter Technische Analyse bei HSBC Deutschland.

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