Wacklige Aussichten für China-Aktien

Anleger dennoch optimistisch gestimmt - Warten auf staatliche Stimuli - Volkskongress als Hoffnungswert

Wacklige Aussichten für China-Aktien

Während die Coronakrise den westlichen Aktienmärkten ein wildes Auf und Ab beschert, wirken Chinas Festlandbörsen eher von Richtungslosigkeit geprägt. Der gewaltige Wirtschaftseinbruch im ersten Quartal hat die Anleger kaum beeindruckt. Sie setzen fest auf neue Konjunkturstimulierungsmaßnahmen.Von Norbert Hellmann, SchanghaiChinas Wirtschaftseinbruch im ersten Quartal mit der ersten Schrumpfung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) seit mindestens dreißig Jahren bietet den Investoren wahrlich einigen Anlass, kalte Füße zu bekommen. Das BIP ist um 6,8 % abgestürzt, die Industrieaktivität ist noch weit vom Normalniveau entfernt, und der Einzelhandel liegt regelrecht am Boden. An den Festlandbörsen in Schanghai und Shenzhen hat sich jedoch eine für chinesische Verhältnisse eher unübliche Lethargie breitgemacht. Zäher SeitwärtstrendDer Ausbruch der Corona-Epidemie und die Verhängung von weitreichenden Ausgangssperren haben den Leitindizes Shanghai Composite und CSI 300 zwar Anfang Februar einen gehörigen Schlag verpasst. Seitdem allerdings haben allerlei Hiobsbotschaften über die kurz- und langfristigen Konjunkturfolgen der Corona-Pandemie nur wenig Eindruck auf die in China das Börsengeschehen dominierende Privatanlegerschaft gemacht. Der in den letzten Tage eingelaufene Ergebnisschwapp für das erste Quartal hat mit einige wenigen Ausnahmen heftige Gewinneinbußen offenbart; aber auch dies war nicht geeignet, den zähen Seitwärtstrend bei tendenziell niedrigen durchschnittlichen Handelsvolumina zu verändern.Die Grundstimmung ist positiv, aber die Anleger befinden sich noch in Abwartehaltung. Der Shanghai Composite hat im Lauf des Aprils zwar immerhin um 3,4 % zugelegt, doch vergleicht sich das mit einem Anstieg des MSCI All Country World Index als breitestmöglicher Benchmark von imposanten 11 %. Im bisherigen Kalenderjahr hat der marktbreite Shanghai Composite bislang nur wenig Federn lassen müssen. Bei zuletzt 2 860 Punkten liegt man nur gut 6 % unter dem Stand zu Jahresbeginn.Im Gegensatz zu amerikanischen und europäischen Börsen, die in den ersten Monaten des Jahres noch Rekordstände verzeichnen konnten, haben Chinas Börsen also keinen dramatischen Einbruch erlebt. Das heißt aber auch, dass es keinen Anlass für eine groß angelegte Aufholjagd gibt. Freilich liegt dies auch daran, dass sich Chinas Wirtschaftslenker im krassen Gegensatz zu Regierungen in führenden Industrieländern bei fiskalischen und monetären Anschubmaßnahmen und großzügigen Corona-Wirtschaftshilfen bislang merklich zurückgehalten haben. Peking wirkt dabei allerdings eher gelähmt denn gelassen.Ein so jäher Absturz der Wirtschaft durch eine Sondersituation wirbelt das tradierte und an staatlichen Wachstumszielvorgaben für wichtige wirtschaftliche Größen wie BIP, Industrieproduktion, Anlageinvestitionen, Inflation, Außenhandel orientierte Lenkungskonzept völlig durcheinander. In einer Zeit des konjunkturellen Chaos mit eindeutigen und belastbaren Richtungsvorgaben zu hantieren ist fast ein Ding der Unmöglichkeit. Da man auch an den Märkten nicht weiß, was sich Peking als diesjähriges Wachstumsziel vorstellt, gibt es keine klare Vorstellung zum seitens der Wirtschaftslenker verorteten Stimulierungsbedarf. Immerhin weiß man nun seit Wochenmitte, dass endlich ein Termin für den traditionell Anfang März abgehaltenen und wegen Corona verschobenen einwöchigen chinesischen Volkskongress ansteht. Er wird ab dem 22. Mai nachgeholt, und damit gibt es nun auch ein Datum für den jährlich zu Kongressbeginn vorgelegten Jahreswirtschaftsbericht der Regierung. In dessen Rahmen wird man die Vorgaben für das BIP-Wachstum und andere Größen erfahren. Bis dahin dürfte sich auch erkennen lassen, ob es der chinesischen Wirtschaft tatsächlich gelungen ist, nach der Corona-Delle bereits wieder an Fahrt aufzunehmen. Für die Börsianer ist damit eine neue Zeitmarke gesetzt, an die sich Erwartungen für einen großzügigeren Stimulusplan Pekings festmachen lassen. Ob sie dabei wirklich auf ihre Kosten kommen werden, steht allerdings auf einem anderen Blatt.Zum einen ist alles andere als sicher, dass die Regierung im Wackeljahr 2020 tatsächlich bereit ist, sich auf eine offizielle und entsprechend ambitiöse Wachstumsvorgabe einzulassen. Zum anderen gibt es wenig Anzeichen dafür, dass die Zentralbank ihren stark vorsichtsbetonten geldpolitischen Kurs aufgeben wird. Er ist nämlich von Chinas Schuldenproblematik und schlechten Erfahrungen mit überzogenen monetären Stimuli in der Vergangenheit geprägt. Mehr als ein paar weitere Senkungen der Mindestreservesätze für Geschäftsbanken und ein behutsames Herabschleusen der neuen Kreditzins-Benchmark Loan Prime Rate sowie der Geldmarktrefinanzierungssätze ist nach Überzeugung der meisten Ökonomen nicht drin.Auch an der fiskalischen Front sind abseits von Steuererleichterungen für Kleinunternehmen, neuen Exportförderungshilfen und einem Schwall an Lokalregierungsanleihen zur Finanzierung von neuen Infrastrukturprojekten keine Sondermaßnahmen im Stile früherer Konjunkturpakete absehbar. Die große Frage ist damit, ob der Monat Mai mit dem Volkskongress sich nicht eher als ein Laune-Killer für die Anleger entpuppen wird. Luftfahrt lebt nochInsgesamt aber überwiegt der Optimismus, dass Chinas Unternehmen auch in heftig getrübten Sektoren wie Automobilbau, Transport, Tourismus oder Gaststättenbetrieb rascher als im Westen aus der Misere wieder herausfinden. Selbst bei den gebeutelten Fluggesellschaften hält sich die Misere noch in Grenzen. Chinas führender Langstrecken-Carrier Air China etwa verzeichnet zwar hohe Verluste im ersten Quartal, die Aktie hat sich noch relativ wacker gehalten und seit der Verhängung von ersten Reise- und Ausgangsbeschränkungen in China weniger als 20 % eingebüßt.