Wall Street blickt nach Washington

Nach einem perfekten Jahr für US-Aktien könnte die Politik die Bullen nach neun Jahren aus dem Tritt bringen

Wall Street blickt nach Washington

Im gerade abgeschlossenen Börsenjahr hat der US-Aktienindex S & P 500 in jedem Monat Zuwächse verzeichnet. Die Hoffnungen auf den wirtschaftsfreundlichen Kurs der neuen Regierung haben dazu ihren Beitrag geleistet. 2018 wird der Bullenmarkt nach Einschätzung der meisten Marktbeobachter seinen neunten Jahrestag feiern. Ausgerechnet die Politik in Washington könnte die Bullen aber doch aus dem Tritt bringen.Von Stefan Paravicini, New YorkAuch wenn die US-Börsen kurz vor Ultimo am vergangenen Freitag etwas geschwächelt haben, geht der abgelaufene Turnus mindestens in einer Hinsicht als perfektes Jahr für die Wall Street in die Geschichte ein: Der S & P 500 hat in jedem Monat ein Plus erzielt (siehe Grafik). Der Dezember markierte bereits den 14. Monat in Folge, in dem es für den breit angelegten Auswahlindex nach oben ging. In den vergangenen 22 Monaten hat der Index nur in einem Monat abgebaut. Geht es nach den meisten Marktbeobachtern, dürften die wichtigsten Indizes auch im neuen Jahr die Richtung beibehalten. Moderates Plus erwartetZum Jahresschluss standen für die Aktien aus dem S & P 500 bei etwas mehr als 2 670 Punkten Zuwächse von insgesamt 19,4 % und damit das beste Ergebnis seit 2013. Der Dow Jones Industrial Average ist 2017 sogar um 25,1 % vorgerückt und der technologielastige Nasdaq Composite um 28,2 % geklettert. Dieses Tempo werden US-Aktien nach Einschätzung der meisten Beobachter im neuen Jahr nicht halten können. Mit einem Plus von gut 5 % auf etwas oberhalb von 2 800 Punkten für den S & P 500 werden die Zuwächse nach Meinung der meisten Wall-Street-Adressen zum ersten Mal seit sechs Jahren auch wieder hinter dem erwarteten Wachstum der Unternehmensgewinne bleiben. Dass der Bullenmarkt im März seinen neunten Jahrestag feiern und im August offiziell die Spitzenposition im Ranking der längsten Haussen auf dem US-Aktienmarkt übernehmen wird, gilt für viele Beobachter aber als ausgemacht.Den letzten Handelstag des alten Jahres beendeten die wichtigsten US-Auswahlindizes mit Verlusten, wobei Technologiewerte überdurchschnittlich nachgaben. Bei vergleichsweise dünnen Handelsvolumina fuhren die Indizes das Gros der Abschläge zwar jeweils erst in den letzten 15 Minuten der Sitzung ein. Doch auch wenn die Einbußen zum Jahresschluss angesichts der Gesamtbilanz nur als kleiner Schönheitsfehler gewertet wurden, zogen manche Marktbeobachter bereits negative Schlüsse für die weiteren Aussichten von US-Aktien.In den Tagen vom 22. Dezember bis zum 3. Januar – während der sogenannten “Santa-Claus-Rally” – hat der S & P 500 in den vergangenen Jahren durchschnittlich 1,3 % zugelegt, rechnet Jeff Hirsch vor, der den Stock Trader Almanac herausgibt. Vor dem Start in die erste Handelswoche 2018, nach fünf von sieben Tagen der diesjährigen Weihnachtsrally, sei der Index allerdings nur um 0,1 % vorangekommen. Das politische Geschehen in der Hauptstadt Washington, wo im Januar erneut darüber verhandelt werden muss, wie eine zumindest statutarische Zahlungsunfähigkeit des Staates durch eine Heraufsetzung der Schuldenobergrenze verhindert werden kann, dürfte in den ersten Handelstagen des neuen Jahres wieder einmal auf der Stimmung lasten und könnte einen langen Schatten auf das Börsenjahr werfen. In zehn der vergangenen 17 Jahre, in denen wie 2018 sogenannte Midterm Elections für den US-Kongress im Wahlkalender standen, folgte die Entwicklung des S & P 500 über das gesamte Jahr der Richtung, die der Index im Januar eingeschlagen hatte.Mit der Politik verbinden sich wie schon vor einem Jahr auch die größten Hoffnungen für den amerikanischen Aktienmarkt. Denn nachdem US-Präsident Donald Trump kurz vor Weihnachten die vom Kongress beschlossene Steuerreform unterzeichnet hat, hoffen Investoren auf neue Wachstumsimpulse infolge sinkender Unternehmenssteuern und Erleichterungen für die Mittelschicht.Skeptischere Stimmen rechnen damit, dass die Effekte der Steuersenkungen rasch verpuffen, da sie sich in zusätzlichen Aktienrückkäufen und gesteigerten M & A-Aktivitäten niederschlagen werden, ohne die langfristigen Wachstumsaussichten oder die Produktivität der Firmen zu verbessern. “Es wird ein einjähriges Wunder bleiben”, sagt David Kelly von J.P. Morgan Asset Management zu den Impulsen der Steuerreform. “Die Leute sollten die Party mitfeiern, aber sich schon einmal vergewissern, wo der Mantel hängt.”Vereinzelt gewarnt wird auch vor einem Überhitzen der US-Konjunktur infolge der Steuerreform, was zu einer sprunghaft steigenden Inflation und schließlich zu einem beherzten Eingreifen der US-Notenbank führen könnte, die bisher drei Zinsschritte für das neue Jahr im Plan hat. Analysten der Société Générale warnen bei einer rascheren Normalisierung der US-Geldpolitik vor einem Rückschlag für den S & P 500 im neuen Jahr um gut ein Viertel auf nur noch 2 300 Punkte. Kongresswahlen ein RisikoAls zunehmendes politisches Risiko nehmen viele Marktteilnehmer zum Auftakt des neuen Handelsjahres auch den Ausgang der Kongresswahlen im November wahr, bei denen die Regierungspartei der Republikaner Gefahr läuft, die Kontrolle über wenigstens eine der beiden Kongresskammern zu verlieren, was Trump neben den Unzulänglichkeiten seiner Regierung bei der Umsetzung seiner wirtschaftsfreundlichen Agenda zusätzlich bremsen würde. “Wenn die Demokraten auch nur eine Kammer kontrollieren, kann man die Legislative für die nächsten Jahre auch gleich zusperren”, sagt Ian Winter von Wedbush Securities, der den S & P 500 zum Jahresende nur bei 2 350 Punkten erwartet.