Wall Street trotzt wachsenden Risiken

US-Aktienmärkte legen starkes erstes Halbjahr auf das Parkett - Jüngste Konjunkturdaten enttäuschen

Wall Street trotzt wachsenden Risiken

Die US-Aktienmärkte haben sich im ersten Halbjahr kaum von Dämpfern aus dem konjunkturellen Umfeld beirren lassen. Entwicklungen wie die des Volatilitätsindex sind kaum mit den Rahmenbedingungen in Einklang zu bringen. Zum Auftakt des zweiten Semesters sind die Gewinnerwartungen noch intakt.Von Stefan Paravicini, New YorkDie Wall Street ist trotz enttäuschender Konjunkturdaten mit leichten Kursgewinnen in die letzte Woche des ersten Halbjahres 2017 gestartet. Das spiegelt den bisherigen Jahresverlauf insofern wider, als der S & P 500 in den ersten sechs Monaten des laufenden Turnus knapp 9 % zugelegt und an 24 Tagen auf Rekordständen geschlossen hat, auch wenn sich die Hoffnung auf Impulse durch die neue US-Regierung bislang nicht bewahrheitet hat und die Daten zur US-Konjunktur kaum Anlass für Euphorie gegeben haben.Nach Einschätzung von Marktbeobachtern gaben steigende Ölpreise den Ausschlag für den positiven Wochenauftakt. Der Dow Jones kletterte am Montag im frühen Handel um 0,25 % auf 21 449 Punkte und der breiter angelegte S & P 500 legte um 0,3 % auf 2 445 Zähler zu. Dies obwohl das Handelsministerium im Mai rückläufige Bestellungen für langlebige Güter registriert hatte. Der Technologiewerteindex Nasdaq 100, der vor einigen Tagen noch eine kräftige Kurskorrektor verzeichnete, legte zunächst um bis zu 0,7 % zu, drehte später aber leicht ins Minus.Schon bisher konnten die eher bescheidenen Fortschritte mit Blick auf die US-Konjunktur in der ersten Jahreshälfte dem Optimismus der Investoren wenig anhaben. Sie haben die von US-Präsident Donald Trump angekündigten Steuererleichterungen, Infrastrukturinvestitionen und Deregulierungsarbitrage zumindest teilweise schon eingepreist und verweisen außerdem auf die Zuversicht in Umfragen unter US-Verbrauchern und Firmenchefs.Die scheinbar unerschütterliche Zuversicht zeigt sich auch im maximalen Abstand zwischen einem lokalen Hoch und dem korrespondierenden Tief im S & P 500, das vor dem Halbzeitpfiff nie oberhalb von 2,8 % lag. Der maximale “Drawdown” zeigt nach Angaben der New Yorker Investmentboutique Bespoke Investment damit den zweitniedrigsten Wert für ein erstes Halbjahr in den vergangenen 89 Jahren. Der Durchschnitt liegt über denselben Zeitraum bei 11,2 %. Alles fein, macht der MaiSchwer mit der Realität des wirtschaftlichen und politischen Umfelds in Einklang zu bringen ist auch die Entwicklung des Volatilitätsindex Vix, der im Mai an sieben Tagen unterhalb von 10 Punkten schloss – in den 20 Jahren zuvor war das dem Index insgesamt an vier Tagen gelungen, stellen die Analysten von J.P. Morgan fest. “Denken sie einmal darüber nach”, ermuntert Marko Kolanovic, Global Head of Macro Quantitative and Derivatives Strategy bei der größten US-Bank. “Über die letzten beiden Dekaden gesehen, bot der vergangene Monat da die freundlichsten Makro-Bedingungen?”Eher nicht, denkt man an die fortgesetzten Turbulenzen rund um ein Weißes Haus im selbst gewählten Chaos, an Terroranschläge in Großbritannien, Wahlen zum britischen Unterhaus sowie den Wahlkampf um das Amt des französischen Präsidenten und eine sich rasch zuspitzende Krise am Golf.Auch zwischen weichen Stimmungsindikatoren auf der einen Seite und konkreten Entscheidungen von Verbrauchern und Unternehmern auf der anderen Seite ist bereits seit längerem eine Drift zu beobachten. Ein Beispiel: Während Umfragen unter Unternehmern seit der Wahl des neuen Präsidenten im November regelmäßig eine deutlich gestiegene Zuversicht anzeigen, sind etwa die M & A-Aktivitäten von US-Konzernen auf dem niedrigsten Level seit dem Jahr 2013 angekommen und in den vergangenen zwei Jahren allein um 40 % zurückgegangen. Eine ähnliche Entwicklung war zuletzt bei Aktienrückkäufen zu beobachten. Das lässt den Schluss zu, dass sich die nach eigener Auskunft besonders zuversichtlichen CEOs auf schlechte Zeiten vorbereiten.Die jüngsten US-Konjunkturdaten weisen in die gleiche Richtung. Aufträge für langlebige Güter, in denen alle Orders von Produkten mit einer Haltbarkeit von mehr als drei Jahren vom Toaster bis zum Flugzeug erfasst sind, gingen zum zweiten Mal in Folge zurück und fielen im Vergleich zum Vormonat um 1,1 %. Die Aufträge für Kapitalgüter zur Ausrüstung von Unternehmen verzeichneten ebenfalls einen leichten Rückgang, nachdem im April ein Plus von 0,2 % zu Buche gestanden hatte. Analysten hatten für Mai ein Plus von 0,4 % auf dem Zettel stehen.Für die Entwicklung der US-Aktienmärkte im zweiten Halbjahr wird entscheidend sein, ob die konjunkturellen Signale irgendwann doch noch auf die Gewinnerwartungen durchschlagen. Sinkende Rohstoffpreise, eine abflachende Zinskurve sowie der Run auf die ohnehin bereits überlaufenen US-Technologieaktien und auf die Emerging Markets zeigen nach Einschätzung von Marktbeobachtern jedenfalls die Sorge von Investoren an, dass Ergebniszuwächse künftig wieder ein selteneres Phänomen sein werden.