Einzelhandelsriese

Walmart vor großen Herausforderungen

Aktuell beherrschen wieder einmal die großen amerikanischen Internetkonzerne mit ihren Rekordergebnissen und ihrem gewaltigen Ergebniswachstum die Schlagzeilen. Man mag es kaum glauben, liest man nur die US-Finanzmedien, aber es gibt auch in den...

Walmart vor großen Herausforderungen

Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt

Aktuell beherrschen wieder einmal die großen amerikanischen Internetkonzerne mit ihren Rekordergebnissen und ihrem gewaltigen Ergebniswachstum die Schlagzeilen. Man mag es kaum glauben, liest man nur die US-Finanzmedien, aber es gibt auch in den Vereinigten Staaten tatsächlich noch so etwas wie eine „Old Economy“ oder auch Realwirtschaft, die sogar noch große Relevanz hat.

Einer der größten börsennotierten Konzerne aus dem Bereich ist der Einzelhandelsriese Walmart. Das Unternehmen hat eine immense Bedeutung für die amerikanische Volkswirtschaft. Es handelt sich um den mit Abstand größten Arbeitgeber des Landes und um den größten Importeur von Gütern und, gemessen am Umsatz, auch um das größte Unternehmen der Welt. Rund 2,4% des gesamten amerikanischen Bruttoinlandsproduktes entfallen auf Walmart. Die Konzernerlöse entsprechen in etwa dem gesamten Bruttoinlandsprodukt Schwedens. Sie sind fast doppelt so hoch wie die Umsätze von Amazon – auch wenn der Emporkömmling recht flott aufholt – und wenn man das lukrative Cloud-Geschäft von Amazon einmal ausblendet, ist der operative Gewinn von Walmart etwa dreimal so hoch wie der von Amazon.

Kleiner als Amazon

Während Walmart von den Erlösen her deutlich größer ist als Amazon, ist der Konzern von der Marktkapitalisierung her im Vergleich fast schon ein Zwerg: Während Amazon auf 1,83 Bill. Dollar kommt, erreicht Walmart gerade einmal 399,8 Mrd. Dollar und weckt auch deutlich weniger Fantasie der Anleger: Auf Sicht von einem Jahr hat die Walmart-Aktie 9,2% hinzugewonnen, seit Anfang 2021 aber 1,5% eingebüßt. Amazon erfreut sich hingegen mit einem Anstieg des Aktienkurses von 19% binnen zwölf Monaten und 11,35% im laufenden Turnus sehr viel stärker der Gunst der Investoren. Auch sehen die Analysten bei Walmart geringere Chancen als bei Amazon: Mit einem durchschnittlichen Kursziel der Walmart-Aktie von 162,94 Dollar auf Sicht von zwölf Monaten wird dem Titel ein Potenzial von 14,5% zugestanden. Bei Amazon sind es hingegen, sollten die Analysten recht behalten, immerhin 18%, trotz des bereits rasanten Kurs­anstiegs.

Analysten zuversichtlich

Die Analysten sind Walmart gegenüber recht positiv eingestellt. Von 37 Banken raten immerhin 21 zum Kauf, während zwei Häuser den Titel mit „Overweight“ einstufen. Verkaufsempfehlungen gibt es allerdings nur zwei und ferner raten acht Analysten dazu, die Aktie lediglich im Portfolio zu behalten. Aber auch hier sieht es bei Amazon natürlich glänzender aus, da praktisch alle Analysten Empfehlungen mit „Buy“ oder „Overweight“ aussprechen.

Der in den USA praktisch omnipräsente Einzelhandelskonzern wurde 1962 von der Familie Walton gegründet. Börsennotiert ist er seit 1972 und außerhalb der USA erfolgreich in Kanada, Großbritannien, Zentral- und Südamerika sowie in China präsent. Expansionsversuche nach Deutschland, Japan und Südkorea schlugen allerdings fehl. Bis gegen Ende der 1980er Jahre schrieb sich der Konzern noch den Grundsatz „Buy American“ auf die Fahne. Danach war der Konzern entscheidend für die Deindustrialisierung Amerikas und den Aufstieg Chinas als Werkbank der USA mitverantwortlich – dies erforderte schon die Niedrigpreisstrategie von Walmart. Der Konzern ist in einem hohen Maß von China abhängig, von wo er nicht nur einen sehr großen Teil seiner Waren bezieht, sondern auch selber ein großer Player auf dem chinesischen Einzelhandelsmarkt ist. Walmart sieht sich einer Reihe bedeutender Veränderungen ge­genüber. So besteht die Gefahr, dass Walmart ein Opfer des neuen Kalten Kriegs zwischen den USA und China werden könnte, der auch von der gegenwärtigen Biden-Administration mit Eifer vorangetrieben wird. Mit Blick auf die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten in den USA hat der politische Druck auf Walmart wegen der traditionell sehr niedrigen Löhne und Gehälter erheblich zugenommen. Der „Associate“ genannte Walmart-Angestellte, der einen zweiten Job benötigt, um zu überleben, ist eines der landesweit bekannten Stereotype des neuen Amerika.

Inzwischen behauptet der Konzern, fast zwei Drittel seiner Produkte würden wieder in den USA angebaut, hergestellt oder zumindest endgefertigt. Außerdem verspricht das Management, in den kommenden zehn Jahren zusätzliche 350 Mrd. Dollar für Produkte aus den USA ausgeben zu wollen. Walmarts Stundenlöhne fangen aber immer noch bei 11 Dollar an, während fast die gesamte Konkurrenz mindestens 15 Dollar bezahlt.

Unbekanntes Territorium

Vor allem aber muss sich Walmart der Konkurrenz von Amazon & Co. erwehren und mit dem Internet ein für den traditionellen Einzelhändler unbekanntes Territorium nachhaltig erobern. Auch dort ist Walmart gegenüber Amazon ein Zwerg: Amazon kommt auf einen Marktanteil im amerikanischen Internethandel von rund 50%, Walmart von ungefähr 5%. Immerhin verzeichnete das Internet-Geschäft von Walmart vor dem Hintergrund der Coronavirus-Pandemie wie die gesamte Branche kräftige Wachstumsraten, allerdings ausgehend von einem niedrigen absoluten Niveau. Ferner bietet das gigantische Walmart-Netzwerk von Supermärkten eine gute logistische Basis für den Wachstumsmarkt der Online-Bestellungen und Lieferungen von Lebensmitteln, in dem sich Amazon schwertut. Dort ist Walmart die Nummer 1 im amerikanischen Markt.

Sorgen des Managements

Im Mai dieses Jahres gelangte jedoch ein konzerninternes Strategiepapier in die Öffentlichkeit, in dem Zweifel geäußert werden, dass es Walmart gelingt, seine führende Position im US-Lebensmitteleinzelhandel zu verteidigen. Marktanteile drohen nicht nur an die Online-Händler, sondern auch an stationäre Wettbewerber wie Publix, Target und Albertsons zu gehen. Als Hauptgegenmaßnahme wird derzeit ein Abo-Modell nach dem Vorbild von Amazon Prime gesehen – ob das ausreicht, steht in den Sternen. Die Herausforderungen, vor denen Walmart steht, dürften sich in den kommenden Jahren eher noch deutlich verschärfen.