Warum enttäuschen Emerging Markets?
Von Xueming Song*)
Die Währungen der Schwellenländer haben 2021 kein leichtes Jahr gehabt, obwohl man intuitiv von einer Währungsstärke hätte ausgehen können, weil alle wichtigen Argumente dafür sprachen. Zum einen hat sich die Weltwirtschaft kräftig erholt vom Tief im Vorjahr, zum anderen sind die Rohstoffpreise stark gestiegen, was sich positiv auf die Währungen hätte auswirken sollen. Drittens hätten deutliche Zinsanhebungen in einigen Ländern positiv wirken müssen. Dennoch hat all dies nichts genützt. Woran hat es gelegen?
Die Coronakrise betraf alle Länder gleichermaßen. Die Länder, die hohe fiskalische Kapazitäten hatten, konnten den Wachstumseinbruch durch fiskalische Maßnahmen eingrenzen. Das waren vor allem westliche Industriestaaten. Hingegen konnten die Länder in Afrika und Lateinamerika kaum fiskalisch reagieren, so dass der Wachstumseinbruch dramatisch ausfiel. Auch die Erholung in diesem Jahr fällt moderat aus. Das hat negative Auswirkungen auf die Währung.
In Asien fiel die Coronakrise insgesamt gesehen weniger stark aus, so dass große fiskalische Unterstützung nicht notwendig war. Eine nicht zu unterschätzende Folge war, dass das erzeugte Inflationspotenzial klein blieb. Niedrige Inflation und solidere Finanzpolitik führten dazu, dass die Währungen vergleichsweise stabil blieben.
In Lateinamerika ist die Situation etwas heterogener. Mexiko beispielsweise hatte schon vor der Coronakrise mit einem schwachen Wachstum zu kämpfen. Hinzu kommt die Tatsache, dass der Staat das angeschlagene Ölunternehmen Pemex mit ca. 20 Mrd. US-Dollar unterstützen musste. Der Finanzmarkt fragt daher zu Recht, ob das gut investiertes Geld ist. Ferner hat die politische Unsicherheit bezüglich der Energiepolitik auch nicht geholfen. Das alles lastet auf der Währung.
In Brasilien wiederum spielt weniger die Wachstums-, sondern die Inflationsentwicklung eine maßgebliche Rolle für die Entwicklung der Währung. Die jährliche Inflation stieg von 4,5% im Januar 2021 auf 10,7% im November an. Dieser Inflationsdynamik musste die Zentralbank schon sehr früh mit einer Zinsanhebung begegnen. Der Zinsanstieg von 2% im März auf 9,25% im Dezember hätte der Währung eigentlich helfen sollen. Doch es kam anders. Der Real konnte entgegen den Erwartungen nicht profitieren, weil internationale Investoren wegen der unsicheren Wachstumsaussichten stark verunsichert waren und deswegen ihr Kapital aus Brasilien abzogen.
Osteuropa hat auch eine sehr hohe Inflation – zwischen 6 und 8%. Das ist zum Teil eine Folge der schwachen Währungspolitik in den letzten Jahren. Die Auszahlung des Kurzarbeitergeldes nach der Coronakrise und die zu niedrigen Zinsen trieben die Inflation so stark nach oben, dass die Zentralbanken nun nur mit Zinsanhebungen beschäftigt sind. Diese Zinspolitik konnte die Währungen in Osteuropa zuletzt stabilisieren.
Die südliche Halbkugel hat in den letzten zwei Dekaden stark von China profitiert: Der Export von Metallen und Agrarprodukten nach China wuchs kontinuierlich. Doch zuletzt hat dies nicht mehr ausgereicht, weil sich Chinas Wirtschaft stark abgeschwächt hat. Australiens Eisenerz-, Angolas Öl- und Brasiliens Sojaexporte sind zwar noch hoch, aber sie steigen nicht mehr. Folglich können die Währungen dieser Länder nicht mehr von China profitieren.
Für die schwache Entwicklung der Schwellenländer-Währungen war auch noch ein weiterer Aspekt wichtig: Internationale Investoren, die Anfang des Jahres positiv für diese Länder gestimmt waren, wurden systematisch enttäuscht. Infolgedessen haben sie seit Mitte des Jahres ihre Positionen reduziert. Der Abbau von sogenannten Carry Trades hat negative Auswirkungen auf die Währungen gehabt, da die Marktliquidität niedrig war.
Die Gruppe der Schwellenländer ist sehr heterogen, daher sollen auch einige idiosynkratische Fälle betrachtet werden. Mit Abstand die schwächste Währung in diesem Jahr ist die türkische Lira, die die Hälfte ihres Wertes verloren hat. Der türkische Präsident wünscht sich niedrige Zinsen, weil nur so eine niedrige Inflation zu erreichen sei. Bekanntlich steht das genau im Gegensatz zur gängigen Lehrmeinung. Alle Zentralbanker, die gegen diese Meinung waren, wurden in den letzten drei Jahren ausgetauscht, so dass nicht nur internationale Investoren das Vertrauen in die Lira verloren haben, sondern vor allem die Bürger im Land selbst. Die Folge dieser Politik: Die Wirtschaft ist inzwischen in einem hohen Maße „dollarisiert“.
In China hat sich das Wachstum zwar abgeschwächt, aber die Währung wird durch Kapitalzuflüsse unterstützt, denn die Staatsanleihen Chinas sind in den letzten zwei Jahren in die wichtigen Anleiheindizes aufgenommen worden. Die Währung ist vor allem aus ökonomischen Gründen stark: stets positive Handelsbilanzen und niedrige Inflation. Eine positive Handelsbilanz gehört zur „ostasiatischen Tradition“ wie zum Beispiel auch in Japan, Korea oder Taiwan. Die Inflation wird bei den hohen Überkapazitäten in der Wirtschaft und der Konsolidierung des Immobiliensektors zudem nicht schnell steigen können.
Für den russischen Rubel gilt: Er konnte sich gut gegenüber dem US-Dollar behaupten. Das Hauptargument ist der Ölpreis, der im Wesentlichen die Handelsbilanz bestimmt. Auch wenn die Inflation sehr hoch ist (8,4% im November), hat das der Währung nicht nachhaltig geschadet, weil die Zentralbank sehr früh klargestellt hat, rigoros gegen die Inflation zu kämpfen. Das hat das Vertrauen der Investoren gewonnen.
Aussichten verbessert
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass folgende drei Faktoren künftig die Richtung der Schwellenländer-Währungen bestimmen werden: Erstens, die Wachstumsaussichten der Schwellenländer haben sich etwas verbessert, aber nicht in allen Ländern. Die politischen Unsicherheiten in Brasilien und Mexiko überwiegen immer noch, und das Wachstum dort könnte im nächsten Jahr sogar noch schwächer ausfallen. Hingegen besteht das Problem kaum in Osteuropa und Asien.
Zweitens, die Inflation wird im nächsten Jahr überall nachlassen, nicht nur weil die Zentralbanken tätig geworden sind, sondern auch weil die Inflation – bedingt durch den Basiseffekt der gestiegenen Rohstoffpreise – sinken sollte. Bei einigen Ländern könnten lokale Anleihen sogar sehr interessant werden; es könnte vermehrt Kapital zufließen.
Drittens, es hängt auch von der Geldpolitik der US-Notenbank ab, ob die Investoren ihre Investitionen in den Schwellenländern reduzieren werden. Sicher ist, dass die Fed das Anleihekaufprogramm im März einstellen wird. Die letzten Kommentare deuten darauf hin, dass die Inflation hoch bleiben könnte, so dass die Renditen doch steigen könnten. Falls es dazu kommt, ist mit einem Kapitalabfluss aus den Schwellenländern zu rechnen. Es ist also keineswegs sicher, dass die Währungen der Schwellenländer stabil bleiben oder aufwerten werden. Die Aussichten dafür haben sich allerdings verbessert.
*) Xueming Song ist Chief Currency Strategist der DWS.