Zinserhöhung

Was bedeutet die EZB-Wende für den Euro?

Es könnten Zweifel daran aufkommen, ob die EZB wirklich so kräftig an der Zinsschraube dreht, wie derzeit vom Markt eingepreist wird, oder ob sie nicht doch schon einen leichten Inflationsrückgang nutzt, um sich zurück ins Lager von „Team Transitory“ zu schlagen.

Was bedeutet die EZB-Wende für den Euro?

Von Ulrich Leuchtmann*)

Lange hatten sich die EZB-Offiziellen in der Position des „Team Transitory“ eingegraben: in der Ansicht, dass der gegenwärtige Inflationsschock transitorisch sei und deshalb kein Handeln erfordere. Aus dieser festgefahrenen Position haben sich Europas Währungshüter letzte Woche herausmanövriert. Vernehmlich, denn diese Message kam am Markt an, weshalb der Euro schon während der Pressekonferenz von EZB-Präsidentin Christine Lagarde deutlich zulegen konnte und zwischenzeitig nahe der 1,15-Dollar-Marke handelte (nach rund 1,13 vor der EZB-Pressekonferenz).

Wann kommt der EZB-Lift-off, d. h. die erste Zinserhöhung der Europäischen Zentralbank? Die Antwort kling fast zu trivial: Es kommt auf die Inflationsentwicklung an. So trivial, wie er klingt, ist dieser Satz aber gar nicht. Dass es tatsächlich auf die Inflationsentwicklung der nächsten Monate ankommt, ist eine europositive Neuigkeit. Entsprechendes konnte man nicht behaupten, solange die EZB sich sozusagen als Mannschaftskapitän von „Team Transi­tory“ gab und damit die Inflationsentwicklung zu ignorieren schien. Für den Euro ist das Umdenken positiv. Der Geldmarkt impliziert momentan einen EZB-Einlagensatz von rund 0% per Ende 2022 und rund +0,5% per Ende 2023. Kommt es so, werden Euro-Positionen dann attraktiver. Und da in einem effizienten Markt jeder an zukünftiger Euro-Stärke sofort partizipieren will, kam die Wechselkursbewegung sofort.

The sky is the limit?

Heißt das: The sky is the limit für Euro-Dollar? Nicht so schnell! Was aus den Worten von EZB-Präsidentin Christine Lagarde herauszuhören war und was auch andere EZB-Ratsmitglieder im Nachgang der Sitzung anzudeuten scheinen, ist: Die EZB will sich Zeit lassen. Allein schon technische Zwänge verhindern einen allzu raschen Lift-off. Viele Beobachter rechnen daher mit einer ersten EZB-Zinserhöhung erst im September, EZB-Ratsmitglied Klaas Knot deutete sogar erst das vierte Quartal als Lift-off-Termin an. Bis dahin ist noch viel Zeit. Und bis dahin wird es noch viele Inflationszahlen geben, die einerseits weiterhin schmerzhaft hoch ausfallen könnten, aber andererseits nicht mehr so extrem hoch wie die 5,1%, die für Januar von Eurostat gemeldet wurden. Das könnte zweierlei heißen:

Es könnten Zweifel daran aufkommen, ob die EZB wirklich so kräftig an der Zinsschraube dreht, wie derzeit vom Markt eingepreist wird, oder ob sie nicht doch schon einen leichten Inflationsrückgang nutzt, um sich zurück ins Lager von „Team Transitory“ zu schlagen.

Und selbst wenn der Markt weiter an die Zinserhöhungen im derzeit erwarteten Tempo glaubt, könnten hohe Inflationszahlen den Eindruck verstärken, dass die EZB dennoch hoffnungslos „behind the curve“ ist und dass sich hohe Inflation entweder verfestigt oder nur durch ein späteres massives Bremsmanöver einzufangen ist. Letzteres wäre – weil dann mit realwirtschaftlichen Bremsspuren zu rechnen wäre – auch kein eurofreundliches Szenario.

Hinzu kommt ein anderes Argument gegen allzu viel Euro-Stärke gegenüber dem Dollar: die US-Notenbank Fed. Von der Fed erwartet der Markt einen Lift-off im März. Den hatte Fed-Chair Jerome Powell recht deutlich nach der letzten Sitzung des Fed-Offenmarktausschusses angekündigt. Für dieses Jahr nimmt der Geldmarkt fünf Fed-Zinserhöhungen an, für nächstes Jahr zwei weitere. Doch verstehen Sie mich nicht falsch. Ich will nicht denen nachplappern, die behaupten, der Dollar würde in den nächsten Monaten zulegen können, wenn’s so kommt, wie eingepreist ist. So einfach kann es in einem halbwegs effizienten Markt nicht sein, Wechselkursbewegungen vorherzusagen. Die erwarteten Zinserhöhungen dürften in den derzeitigen Dollar-Kursen eingepreist sein. Selbst eine andere als die angenommene Geschwindigkeit der Zinserhöhungen dürfte am Dollar relativ harmlos vorübergehen, wenn nicht dadurch der Endpunkt des Zinserhöhungszyklus infrage ge­stellt wird.

Markt noch vorsichtig

Doch genau in diesem Punkt ist der Markt derzeit noch vorsichtig. Bei rund 1 ¾% erwartet der Geldmarkt ein Ende des Fed-Zyklus. Das ist wenig, schließlich werden für die USA gleichzeitig Inflationsraten erwartet, die auch nächstes und übernächstes Jahr nur langsam zurückgehen und noch etliche Jahre deutlich über dem Fed-Ziel von 2% liegen werden. In den 1990ern und den frühen 2000ern wäre solch ein Szenario, wie es der Markt unterstellt, unrealistisch gewesen. Damals hätte die Fed ihren Leitzins deutlich über das Inflationsniveau anheben müssen, um eine Inflationsbeschleunigung zu stoppen und die Teuerungsrate wieder zu drücken. Lediglich beim letzten Fed-Zinszyklus (von 2015 bis 2018) konnte die Fed es sich leisten, den Leitzins nicht nennenswert über das Inflationsniveau hinaus anzuheben. Die Inflationsdynamik war offensichtlich weitaus moderater als früher und mit viel weniger Zinsanhebungen kontrollierbar.

Nach dem Inflationsschock

Die große Frage ist nun: Wie sieht die Welt nach dem derzeitigen Inflationsschock aus? Wie in den letzten Jahren, als moderate Zinserhöhungen ausreichten? Oder erleben wir eine Rückkehr in die Verhältnisse der 1990er oder der 2010er? In letzterem Fall wird die Fed nicht bei 1 ¾% Schluss machen können, sondern wird den Leitzins (und damit auch den Zinsertrag auf Dollar-Positionen) weiter anheben müssen. Solch eine Entwicklung ist nicht sicher, doch ist die Konfidenz, mit der der Markt sie derzeit in seinen Erwartungen ausschließt, fragil. Kommt sie ins Rutschen, wäre das positiv für die US-Währung, weil dann mittelfristig höhere US-Zinsen den Greenback attraktiver machen.

Aus der Wende der EZB gleich zu schließen, dass der Euro gegenüber dem Dollar durch die Decke geht, ist voreilig. Wenn die EZB sich zu viel Zeit lässt mit ihrem Lift-off, könnte dieser als unangemessen spät wahrgenommen werden. Und darüber hinaus gibt es Potenzial für weitere Stärke des Dollar. Angesichts dessen halte ich es schon für einen Erfolg, wenn der Euro am Jahresende etwas höher notiert als derzeit.

*) Ulrich Leuchtmann ist Leiter des Devisen-Research der Commerzbank.

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