Was ist los mit der Laufzeitenprämie?
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Was ist los mit der Laufzeitenprämie?
Von Christoph Rieger
Die Laufzeitenprämie ist einer der wichtigsten Parameter an den Anleihemärkten, da sie bestimmt, in welchem Umfang Investoren für ihr Durationsrisiko kompensiert werden oder welchen Preis Emittenten zahlen müssen, um sich längerfristig zu finanzieren.
Das Konzept ist intuitiv und die Definition trivial: Die Laufzeitenprämie ist die Differenz zwischen der Rendite eines längerfristigen Instruments und dem erwarteten kumulierten kurzfristigen Finanzierungssatz über diese Laufzeit.
Offene Fragen
Leider ist die Bestimmung der Laufzeitenprämie nicht so einfach. Die Renditen sind zwar direkt beobachtbar, nicht aber der erwartete kurzfristige Finanzierungszinssatz über den jeweiligen Zeithorizont. Selbst die am meisten verbreiteten Ergebnisse werfen Fragen auf. Nehmen wir das Modell von Adrian, Crump & Moench (ACM), das von Analysten am häufigsten zitiert wird (wahrscheinlich, weil die Ergebnisse täglich auf Bloomberg verfügbar sind): Die aktuelle Schätzung für zehnjährige US-Treasuries liegt bei 0 Basispunkten (BP). Da die zehnjährigen Treasury-Renditen 53 BP höher sind als die OIS-Swaps (die sich auf die Fed-Zielzinsen beziehen), würde die swapbasierte Laufzeitenprämie wohl sogar eher bei -53 BP liegen.
Im Umkehrschluss bedeutet das, dass der Markt davon ausgeht, dass der durchschnittliche kurzfristige US-Zinssatz in den nächsten zehn Jahren etwas über 3,5% liegen wird (zehnjährige Rendite minus Laufzeitenprämie). Dies würde über den meisten Schätzungen des neutralen Zinssatzes liegen. So lag die HLW-Schätzung der NY Fed für den neutralen Realzins im ersten Quartal bei 0,7%, d.h. nominal bei 2,7%. Die meisten Volkswirte sind sich vermutlich einig, dass eine sehr restriktive Geldpolitik über mehr als ein Jahrzehnt zu einer Unterschreitung der Inflationsrate und einer Überschreitung der Arbeitslosigkeit führen würde (dies ist schließlich das Konzept des neutralen Zinses).
Diese unbefriedigenden Ergebnisse haben uns veranlasst, die Modelle zu hinterfragen. Eine interessante Erkenntnis, die uns zu denken gibt, ist, dass die oft hochkomplexen Schätzungen meist durch eine einfache lineare Kombination einer Handvoll Zinssätze reproduziert werden können. Die Ergebnisse eines Modells, das gelegentlich von EZB-Mitgliedern verwendet wird, können sogar mit nur einem Zinssatz weitgehend dargestellt werden.
Schwierige Prognose
Dies soll nicht heißen, dass diese Schätzungen falsch sind. Es ist jedoch wichtig, die grundlegende Funktionsweise der Modelle zu verstehen, um ihre Einschränkungen zu erkennen. Die meisten Modelle basieren auf einer „fairen“ Schätzung der zukünftigen Zinsentwicklung. Die Prognose von Zinsen für viele Jahre im Voraus ist jedoch äußerst schwierig. Wenn diese Modelle dies mit hinreichender Genauigkeit könnten, würden sie für weit mehr als die Berechnung einer Laufzeitenprämie eingesetzt – und die Analysten, die sie entwickelt haben, würden heute wahrscheinlich alle bei Hedgefonds arbeiten!
In diesem Fall scheint es uns sinnvoll, die mathematische Komplexität zu reduzieren und den gesunden Menschenverstand zu erhöhen.
Die von uns bevorzugte Methode zur Berechnung der Laufzeitenprämie basiert auf Umfragen. Wir sind der Ansicht, dass bestimmte Expertenbefragungen von Marktteilnehmern am besten geeignet sind, die tatsächlichen Markterwartungen zu ermitteln. Die mittlerweile bessere Datenverfügbarkeit hilft uns, die früheren Unzulänglichkeiten dieses Ansatzes zu überwinden. Darüber hinaus sind wir über einen Algorithmus in der Lage, die Laufzeitprämie auf täglicher Basis zu berechnen, und nicht nur zu den Stichtagen der Umfragen.
In den USA stellt die Fed in ihrer Umfrage unter Primärhändlern genau die richtige Frage: „Wo erwarten Sie, dass der durchschnittliche Leitzins in den nächsten zehn Jahren liegen wird?“ Wir können uns kaum eine bessere Schätzung der tatsächlichen Markterwartungen für diesen entscheidenden Input der Laufzeitenprämie vorstellen als die kollektive Weisheit von 24 Primärhändlern, die sich täglich mit dieser Frage auseinandersetzen müssen.
Für den Euroraum enthält die Analysten-Umfrage der EZB (Survey of Monetary Analysts, SMA) diese Frage leider nicht. Wir sind jedoch in der Lage, aus den verfügbaren Umfragedaten über die erwarteten €STR-Sätze eine brauchbare Schätzung für den 10j. Swapsatz abzuleiten.
Unsere neuen Schätzungen der Laufzeitenprämie sind höher als andere verfügbare Schätzungen für die USA und stimmen für den Euroraum grob mit den anderen Schätzungen überein, wobei die Datenverfügbarkeit hier deutlich eingeschränkter ist.
Swap-Kurve als Grundlage
Wir bevorzugen es, die Laufzeitenprämie auf der Grundlage der Swap-Kurve zu berechnen und die „Credit-Prämie“ (die alle mit dem Emittenten verbundenen Risiken beinhaltet, einschließlich des Angebots) separat auf der Grundlage der Swap-Spreads zu analysieren.
Sowohl bei den Laufzeiten- als auch bei den Credit-Prämien sehen wir weiteres Aufwärtspotenzial. Die aktuelle Konstellation aus politischer Unsicherheit, hoher Staatsverschuldung, schwachem Wachstum und hartnäckiger Inflation spricht gegen einen Rückgang der Laufzeitenprämien, selbst wenn man die Risiken einer Trump-Präsidentschaft, die die Unabhängigkeit der Fed gefährden könnte, außen vor lässt. Verfügbare längerfristige Schätzungen auf Basis von Umfragedaten in den USA deuten zudem auf höhere Laufzeitenprämien in der Vergangenheit hin. Gleichzeitig sprechen das reichliche Angebot an Staatsanleihen, QT und die begrenzte Nachfrage nach Duration für höhere Credit-Prämien.
Selbst nach der Neubewertung der Zentralbankerwartungen in den vergangenen Monaten preisen die Forwards einen Rückgang der Fed Funds Rate nur auf 3,2% und beim EZB-Depotsatz auf etwa 2%. Dies würde bedeuten, dass die Geldpolitik von einer restriktiven zu einer neutralen Ausrichtung übergeht, bevor sie wieder restriktiv wird. Die Berücksichtigung einer höheren Laufzeitenprämie impliziert eine weniger restriktive Geldpolitik.
Wir gehen dagegen nicht davon aus, dass die Zentralbanken die Zinsen so stark senken werden, wie es die Forwards nahelegen, da die Inflation hartnäckiger bleibt als erwartet und die neutralen Zinsen höher liegen als von den meisten Beobachter erwartet wird.
Die Zinskurven haben für die kommenden Monate noch mehr Versteilungspotenzial vom kurzen Ende. Bei den Staatsanleihen-Kurven sehen wir längerfristig noch mehr Risiken für eine Versteilung vom langen Ende, wenn die Zinssenkungen früher enden als erwartet, die Inflation höher bleibt und die Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage weiter zunehmen.
*) Christoph Rieger leitet bei der Commerzbank das Zins- und Credit-Research.