Anleihen

Wendemanöver bei den Anleiherenditen

Die aktuelle technische Lage signalisiert für die Anleiherenditen einen moderaten, mittelfristigen neuen Aufwärtstrend.

Wendemanöver bei den Anleiherenditen

Von Karen Jones*)

In letzter Zeit hat man vor jeder Sitzung der Fed oder der EZB den Eindruck, dass die Finanzwelt mit Spannung auf das Ergebnis wartet. Viele Fragen sind zu beantworten: Wird das Wachstum und der weltweite Aufschwung nach der Überwindung der Pandemie wirklich anziehen und durchzuhalten sein? Ist die Inflation nur vorübergehend deutlich höher oder bleibt sie dauerhaft auf höherem Niveau als vor der Pandemie? Wann wird mit (US-)Zinserhöhungen begonnen – oder werden noch weitere monetäre Impulse benötigt, falls die Konjunkturerholung ins Stocken gerät?

Da aktuell auch wieder viele Unsicherheiten die Handelsaktivitäten an den Finanzmärkten beeinflussen – gibt es etwas, was wir heranziehen können, um uns ein klareres Bild zu verschaffen? Es gibt einen Spiegel, der die Meinungen und Erwartungen vieler Marktteilnehmer bündelt, den Monats-Chart für die zehnjährige Euro-Rendite. Er liefert zentrale Aussagen – wie zum Beispiel, dass wir uns nicht mehr in einem Baisse-Trend der Renditen befinden (die Tiefs im Jahr 2020 stellten einen technischen Wendepunkt dar). Was führt zu dieser Analyse und Prognose? Zu den ersten Dingen, die die technische Analyse herausarbeitet, zählen die Definitionen von Hausse- und Baisse-Trends. Ein Baisse-Trend definiert sich durch in Folge auftretende niedrigere Kurstiefs und niedrigere Zwischen-Kurshochs. Die zehnjährige Euro-Rendite erfüllt dieses Grundkriterium nicht mehr; tatsächlich verzeichnet sie seit Februar 2021 steigende Kurstiefs und steigende Kurshochs. Vor dem Hintergrund der sich intensivierenden Tapering-Diskussion durch die Fed und der höheren (US-)Inflationsdaten bleibt festzuhalten, dass trotz globaler Corona-Pandemie, Lockdowns und Lieferkettenproblematiken die Anleiherenditen in weltweit vielen Ländern (leicht) angestiegen sind.

Zudem hat die zehnjährige Euro-Rendite im Februar 2021 ein wichtiges Widerstandsniveau nach oben durchbrochen – nämlich ihren langfristigen Abwärtstrend, der im Jahr 2008 startete. Dies unterstreicht, dass das Tief vom März 2020 bei minus 0,913 das mehrjährige Baisse-Low und den technischen Wendepunkt (nach oben) darstellt. Der Chart der zehnjährigen Euro-Rendite verdeutlicht, dass der langfristige Abwärtstrend verlassen wurde und damit der zwölfjährige Baisse-Trend beendet ist. Dies wirft die analytische Frage auf, ob jetzt eine mittelfristige, technische Bodenformation (z.B. in Form einer Seitwärtspendelbewegung) oder direkt ein neuer, mittelfristiger Aufwärtstrend folgt. Die aktuelle technische Lage signalisiert eher einen moderaten, mittelfristigen neuen Aufwärtstrend und damit leicht steigende Renditen. Aus technischer Sicht sollte es nicht überraschen, wenn sich die Aufwärtsdynamik beschleunigt, sobald die 200-Monats-Linie (aktuell bei minus 0,059%) von unten nach oben gecrosst wird. Eine noch gewichtigere technische Bedeutung be­kommt aber die Marke der Null (Rendite wieder bei 0,0%). Dieses Niveau stellt eine enorme psychologische Barriere dar – wird sie wieder nach oben durchbrochen, sollte aus technischer Sicht auch eine deutlich erhöhte (Intraday-)Volatilität einkalkuliert werden.

Nach Crossen der Null signalisiert dieses neue technische Signal, dass die zehnjährige Euro-Rendite weiter klettert, zunächst in Richtung 0,15%. Hierbei würde es sich um eine 61,8-prozentige Korrektur der Abwärtsbewegung seit 2018 handeln, ein klassisches technisches Zwischenziel. Ein weiteres mittelfristiges technisches Zwischenziel wäre dann die Zone 0,41/0,44%, wo sich ein doppeltes Fibonacci-Retracement seit 2008 und 2018 befindet. Als Zeitrahmen für dieses Zwischenziel ergeben sich auf Basis der aktuellen Aufwärtsdynamik allerdings eher Quartale als wenige Wochen.

Doch nicht nur die zehnjährige Euro-Rendite klettert allmählich, sondern auch die US-Rendite. Es mag jedoch überraschen, dass sich die Differenz zwischen beiden seit Ende 2018 sogar verringert hat. Es dauerte eine ganze Weile, bis dies zu einem Anstieg des Euro-Dollar-Kurses beitrug, der erst im März 2020 bei 1,0636 einen Boden ausbildete. Da die zehnjährige EU-Rendite immer noch der US-Rendite hinterherhinkt, erhält der Euro kaum Impulse durch die Einengung der Renditedifferenz und scheint sich zumindest zunächst auf eine Seitwärtsbewegung in einer Spanne zu beschränken, die von 1,15 und 1,2350 Dollar begrenzt wird.

Aktien-Rally droht Aus

Die sich einengende Differenz sollte jedoch dazu beitragen, das Abwärtspotenzial des Euro zu begrenzen; wir erwarten keine Rückkehr zum Tief von 1,0636 Dollar. Die allmählich steigenden Renditen hatten auch noch keinen Einfluss auf die Aktienmärkte. Doch da die langfristigen Abwärtstrends gebrochen sind und die Renditen jetzt im Aufwärtstrend sind, ist zu befürchten, dass der Aktienmarkt letztlich kapitulieren und einen Teil seiner Gewinne wieder abgeben wird und dass die Zeit seiner Rally abläuft. In Zukunft muss man dem Chart der zehnjährigen Euro-Rendite deshalb mehr Aufmerksamkeit widmen. Die Auswirkungen des sanften Aufschwungs sind zwar noch nicht deutlich zu spüren. Aber wahrscheinlich wird sich das 2022 ändern. Im Vix-Index treten bereits Ausschläge nach oben auf, und dieser Chart versucht anscheinend, einen Boden auszubilden – was eine höhere Volatilität für den Markt im vierten Quartal 2021 und im nächsten Jahr impliziert.

*) Karen Jones ist bei der Commerzbank FICC Technische Analyse Research tätig.