Wie Liquidität bei ETFs entsteht
ETFs erfreuen sich seit vielen Jahren einer großen Beliebtheit bei Anlegern. Sie sind einfach zu handhaben, kostengünstig und in den meisten Fällen liquide. Wie diese Liquidität entsteht und wovon sie abhängt, ist jedoch weniger bekannt. Denn es gibt einen entscheidenden Unterschied zum Aktienhandel, wo sich Käufer und Verkäufer direkt an der Börse treffen und damit den Kurs einer Aktie feststellen: Im ETF-Handel sorgen Marketmaker dafür, dass es jederzeit Kauf- und Verkaufskurse gibt. Dazu greifen sie auf einen speziell für den ETF-Markt entwickelten Mechanismus zurück.
Allein auf der größten europäischen ETF-Börse Xetra stehen inzwischen mehr als 2000 Produkte mit einem Gesamtvolumen von rund 1 Bill. Euro zur Verfügung (Quelle: Deutsche Börse, Das ETF- und ETP-Jahr 2022 auf Xetra, 1.2.2023). Wer als Anbieter in Deutschland einen ETF an der Börse registrieren will, benötigt dazu einen Marketmaker, mindestens einen Designated Sponsor sowie einen Authorized Participant (AP). Häufig – aber nicht zwangsläufig – treten Marketmaker auch in den beiden anderen Funktionen auf. Auf Xetra sind 19 Marketmaker registriert, 14 davon sind auch als Designated Sponsor tätig. In den letzten Jahren haben sich einige neue Anbieter mit spezialisierten Handelssystemen in diesem Bereich etabliert, da nur wenige Banken über die technologischen Voraussetzungen verfügen, um ETF-Preise präzise zu berechnen und an den Börsen oder anderen Handelsplätzen zu quotieren. Die Société Générale ist einer der größten ETF-Marketmaker in Europa und an allen großen europäischen Börsen aktiv.
Marketmaker, Designated Sponsor und Authorized Participant erfüllen unterschiedliche Aufgaben, die ineinandergreifen und dadurch für Liquidität in den Märkten sorgen. Während Marketmaker opportunistisch agieren können, um jederzeit die passende Gegenseite zu einem Käufer oder Verkäufer einzunehmen, sind Designated Sponsors dazu verpflichtet, nach den Vorgaben der Deutschen Börse Geld- und Briefkurse zu stellen sowie entsprechende Stückzahlen zu zeigen. Die APs wiederum haben das Recht, bei einem ETF-Anbieter neue ETF-Anteile zu zeichnen oder zurückzugeben.
Dieser sogenannte Creation-Redemption-Prozess beginnt bei den Marketmakern, die vor Beginn jedes Handelstages zunächst den exakten Wert eines ETFs auf Basis seiner aktuellen Zusammensetzung berechnen. Daraufhin legen sie die Kauf- und Verkaufskurse für den ETF fest, auch als Geld-Brief-Spanne oder Spread bezeichnet. Der Spread enthält sowohl alle Kosten, Steuern und Gebühren, die beim Marketmaker für Transaktionen mit den zugrundeliegenden Wertpapieren anfallen, als auch den Ertrag, den er mit Geschäftsabschluss erzielen möchte.
Eine „Creation“ wird ausgelöst, wenn der Marketmaker eine Kauforder für ETF erhält, die er nicht selbst im Bestand hat. In der Rolle als AP kann er neue ETF-Stücke zum Net Asset Value (NAV) zeichnen und damit „erschaffen“. Im Gegenzug liefert er Aktien oder Anleihen mit der passenden Gewichtung an den ETF-Anbieter. Dadurch bekommt der Fonds die Wertpapiere, die er halten muss, um den Index abzubilden, und der Marketmaker erhält die ETF-Anteile, die er an den ursprünglichen Käufer an der Börse liefern muss, und das in der Regel innerhalb von zwei Tagen. Genau entgegengesetzt läuft der Vorgang ab, wenn der Anleger ETFs verkaufen möchte. Dann kommt es zu einer Rückgabe oder Redemption.
Jederzeit Geld- und Briefkurse
Dieser Mechanismus erlaubt es den Marketmakern, unter normalen Marktbedingungen jederzeit Geld- und Briefkurse für die ETFs zu stellen. Ausschlaggebend ist dabei immer der zugrundeliegende Markt der im ETF enthaltenen Vermögensgegenstände, seien es Dax-Aktien, thematische Indizes oder Schwellenländer-Staatsanleihen. Bei globalen Indizes ist der Preisfindungsprozess etwas komplexer, da nicht alle Märkte gleichzeitig geöffnet sind. Die Marketmaker können dann jedoch mit Hilfe anderer Quellen, wie zum Beispiel den Futures-Märkten, Kurse berechnen.
Solange der zugrundeliegende Markt liquide ist, stellen Marketmaker jederzeit Preise für den entsprechenden ETF, und zwar unabhängig vom an der Börse gehandelten Volumen. Ob 100 oder 1000 Stück oder ein Vielfaches davon: Der ETF bleibt handelbar, da die Marketmaker durch den Creation-Redemption-Prozess stets auf den entsprechenden Wertpapiermarkt zugreifen können. Bei ETFs mit höheren Volumina ist zwar in der Regel auch der Handel aktiver, da deutlich mehr Käufer und Verkäufer im Orderbuch stehen. Aber auch ETFs mit geringem Volumen können hochliquide gehandelt werden, solange der zugrundeliegende Markt Zugang gibt. Das gilt übrigens auch für Marktphasen mit hoher Volatilität, selbst wenn die Spreads dann teilweise weiter ausfallen. Häufig sind in volatilen Märkten sogar mehr Marketmaker und APs aktiv als in ruhigeren Phasen.
Der für alle Anlegerinnen und Anleger sichtbare Börsenhandel macht allerdings nur rund 30% des gesamten ETF-Umsatzes aus. Institutionelle kaufen und verkaufen ETFs meist im OTC-Bereich über den direkten Kontakt mit Marketmakern und erreichen damit 70% des ETF-Umsatzes. Auch diese Transaktionen werden mit etwas zeitlicher Verzögerung am Markt sichtbar. Noch umfangreicher als diese beiden Sekundärmärkte zusammen ist jedoch der Primärmarkt, an dem die zugrundeliegenden Wertpapiere für ETFs angezapft werden. Die größte Liquiditätsquelle für den ETF-Markt bleibt daher unsichtbar.